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Autorenbuch Janine Lancker Adaption II: Allerleirauh – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Janine Lancker

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Adaption II: Allerleirauh


„Sowas ähnliches wie Kaspar Hauser.“ Mist, das hat er mir nicht abgenommen. „Wölfe werden dich wohl kaum derartige Namen gelehrt haben.“ Neugier sprang in seine Augen. Seitdem koch ich ihm die Suppe. Da kam ein junger Königssohn, / Jägersmann, Jägersmann, / Da kam ein junger Königssohn, / Jägersmann.

Ab sieben bin ich in der Küche tätig. Ich schäle Kartoffeln, schneide Kartoffeln, stampfe Kartoffeln, schäle die Rüben, schneide die Rüben, gebe alles in einen Topf. Was auch immer, der Koch passt genau auf. Manchmal setzt sein Blick zum Schlagen an. Niemals sieht er mich als Frau − besser ein Nutztier, bin vorerst zufrieden.

Ich schlief in einem hohlen Baum. Die Schwärze des Baumlochs war das Universum um die Erde, die mein Fellmantel war. Und darin wieder ein Universum voller Sterne, darunter wieder Erde: Mein buschiges Beinkleid und mittig die Waldung wuchs auch ziemlich rasch. In Embryohaltung zwischen den Rinden, meine Hände schützend im Schoß. Da waren zu viele Bilder und geistige Blitze. Bis mich die Hunde der Jagdgruppe weckten.

Die klügste und schönste. So ihr Marktwert. Meine Mutter schmiegte sich an den Körper ihres Mannes, eine schlanke Rankenpflanze um einen breiten hohen Baum herum. Die genau weiß, sie will oben zum Licht hin. Auf diese Weise rankte sie auch in seine Gedanken rein. Meinst du nicht auch −? Man könnte mal −. Vielleicht wär es gut −. Bitte lass uns −. Hattest du nicht auch schon die Idee −? Ich verstehe, was du meinst −. Nimm keine, AUSSER sie ist so wie ich – oder besser.

Im Ostflügel lag das Reich meiner Mutter. Ein großzügiger Ankleideraum, mein Vater hatte ihn hergerichtet, herrichten lassen. Am mittleren Morgen war er mit Sonnenlicht durchtränkt. Darin gab es viele Spiegel. Kleine, ovale, lange, große, schmale, bis zum Boden reichende, zwischen Bildern und Schränken, über der Ablage der Kommode. Sie kämmte sich ihr gold´nes Haar, / Gold´nes Haar, gold´nes Haar, / Sie kämmte sich ihr gold´nes Haar, / Gold´nes Haar. Ja, wir kämmten einander das blonde Haar. Dick und störrisch wie es war, räumten wir uns Zeit ein, es seidig zu glätten. In den Spiegeln verfolgten wir die Bewegungen der anderen: Das Gleiten der Hände, den Strähnen folgenden, prüfenden Blick aus graugrünen Augen. Die Anspannung der buschigen Brauen und das Ablassen der hohen Wangen. Die Zufriedenheit um den schmalen Mund herum, wenn die Vertraute fertig war. Und dabei immer ein verspieltes Abgleichen: Wie weit reich ich schon an deine Züge ran? Meine Mutter im ganzen Land, Spieglein, Spieglein. Werd ich mehr sein wie der Vater?  Seine Mutter? Deine etwa? Oder doch wie du. So sein wie du. Wann werden meine Daumen eine Taille haben? Und mein Bauch? Werd ich größer sein als du? Oder doch wie du, Spieglein, Spieglein.

Die letzte Frisur: Ich legte deine blonden Haare in Wellen auf ein Seidenkissen in einem Sarg aus schwarzem Stein. Vater Staat schloss mit kalter Hand deine Augen. Den Deckel hievten zwei Diener auf den schweren Kasten, der auf den Grund des Mausoleums gesenkt wurde. Dein Leib blieb uns von nun an verborgen. Was bleibt: Bilder an Wänden, Bilder in Köpfen.

Am frühen Morgen, den Sternen entgegen gedreht. An ein Dutzend fleißige Schneiderinnen. Und ich, das Zentrum der Sterne. Denn, so lautet die Regel: Als Mittelpunkt des Firmaments darf – wegen der großen Ferne der Himmelskörper, verglichen mit dem Erdradius – ohne wesentlichen Fehler jeder Beobachtungspunkt der Erde angenommen werden. Zurzeit bin ich Zentrum der Welt.

Alle kleben sie am Firmament. Pars pro toto tragen sie ein Partikel zum Kleid der Gestirne bei. Altair, Tarazed, Alschain. Der Kopf des Adlers leuchtet dem Sommerhimmel am meisten. Und auch seine ausgebreiteten Schwingen, weitere Sterne – hochkarätige Applikationen im Brustbereich. Ein Strahlenkranz vom Bandeau-Ausschnitt abwärts. Die anderen funkeln über den Rockteil verteilt. Jeder Unikat eines Unikats. Anser im Fuchs, ein roter Riese. 297 Lichtjahre von mir entfernt. Ob meine Mutter schon einmal dort war, jetzt, wo sie fliegt ohne Raum, ohne Zeit? Alioth, Mizar, Benetnasch, Megrez, Phekda, Merak, Dubhe − der Große Bär gab Deichsel und Kasten seines Wagens. Und Lupi des Wolfs, zehnmal größer als Mutter Sonne. Aber ich will nicht eingebildet sein. Es ist nur ein Nach-den-Sternen-greifen. Sie dagegen trägt uns bei Tag, sie trägt uns bei Nacht. Alpha Gruis bläuliches Weiß und Beta Gruis weißes Orange im Zeichen des Kranichs.

Tulpenförmiges Kleid der Gestirne. Aus Samt in bitterdunklem Blau. Ohne Träger, figurnah, weit freier Nacken. Keine Rüschen, Puffärmel, Spielereien, dergleichen. Das ist mal gewesen. Mein Vater will mich nun als ganze Frau.

Ich habe Vater Staat nackt gesehen. Er saß in der heißen Wanne. Seine Haut dampfte und eine Dienerin schnitt ihm die gelben Zehennägel kurz. Als ihr die Schere ins Nagelbett glitt, erschrak er zornig, sprang auf und stand im schwappenden Wasser. Da waberte und pochte alles an ihm ungehalten auf und ab.

Plötzlich hatten meine Daumen eine Taille. Mein Haar war glatt und lang. Den aufrechten Gang von Papá und einige seiner Kanten. Die Mischung fand er wohl besonders gut. Mein Vater sah mich von jetzt an mit anderen Augen. Eine Katze, die bewegungslos lauert, die ihre kleine Beute anvisiert. Und ihre wachen Augen sind von einer Tollheit, die auf die Zukunft zweier Körper zielt.

Wenn, falls, weil. Eine Bedingung als Voraussetzung für etwas. Eine Voraussetzung kann durch Regeln definiert sein, die ein Spielführender zuvor bestimmt. Diese Voraussetzung muss erfüllt sein, bevor ein Zustand oder Vorgang möglich ist. Zwei Dinge: Ein Kleid aus Stoff von allen Sternen. Ein Mantel aus aller Tiere Fell. Wenn dir etwas so vollkommenes gelingt, werden wir uns über alles Weitere hinwegheben, was es so gibt an Materialien, Werten, Ideen, Glück, Karma und so weiter. Dann ist dein Wille absolut. Und soll auch meiner sein. Ich tanzte heimlich vor den Spiegeln und sah bereits die Pracht an mir. Wie ich mich darauf freute! Freuen musste. Um im nächsten Moment wieder einzuknicken, einen Schritt weiter in die Zukunft zu denken. Aber wieder sah ich mich in den Gewändern vom Thron herunter winken zu meinem Volk. Nein, seinem. Neben mir. Vater, unser. Da war er wieder. Endlich. Ganz klar. Der arge Gedanke. Alles abschütteln, Spiegel ankratzen, dagegen treten und  daran mit der Haut entlang schneiden. Rötende Seide. Dann war erst mal wieder gut.

Ein edler Mantel aus Rauwarengaben. Ein jedes Tier gab friedvoll seinen Teil dazu. Da durfte kein Kürschner ran. Einem jeden war begreiflich, dass es unter der Sonne eines Herrschers gedeiht. Meinem Vater gehört die Sonne natürlich nicht direkt. Doch, er besitzt alle Orte, Räume, Flächen, Winkel, auf die das Licht in diesem Lande scheint. Und der Staatsmann entscheidet, wer es nutzen darf. Im Kerker ist es duster. Vom Standpunkt der Tiere ist er der Sonnenkönig. „In Ehren halten“, sagt man sich.

Als Pelz gilt ein Fell bei einer Dichte von über vierhundert Haaren pro Quadratzentimeter. Bei weniger als fünfzig spricht der Fachmann von Haararmut. Für die Schneiderinnen galt es, allerlei zu beachten, um zu ermessen, welcher Fetzen welchen Körperteil bedecken möge: Strapazierfähiges Fell der am und im Wasser lebenden Arten. Je kälter der Ort, desto dichter das Haar. Winterfelle sind von besserer Qualität als Sommerfelle. Übergangsfell weist leicht störende Nachwuchsstellen auf. So vergingen zwei Jahreszeiten, bis von allem etwas beisammen war. Ich verkroch mich in die Bücher. Und lebte abseits neben meinem Vater, wie bisher vertraut. Als wäre nichts. Nichts Falsches oder inkorrekt gewesen. Was niemals sein darf. Wer mit einem leiblichen Abkömmling den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe − Paragraph Hundertdreiundsiebzig, zwölfter Abschnitt, Besonderer Teil. Dann ändern wir eben die Gesetze! Raunte der Staatsmann die Weisen an. Ach, lasst es: Ausnahmen bestätigen die Regel. Er war als der Weiseste anerkannt. Biber, Bisam, Iltis, Zobel – Nerz, Wiesel – Otter, Dachs, Ziesel, Hermelin. Siebenschläfer. Marderartiges Haar ist besonders haltbar, liefert die Basis des Patchworks. Die feine Behaarung des Waschbären ist glänzend und dicht. Von der Unterwolle ein Stück für die Flanken. Der Baribal, Schwarzbär, gab aus der langen Nackenmähne für die Kapuze. Darauf in der Mitte grob und steif ein Streifen Wolf. Der Otter hat eintausend Haare pro Quadratmillimeter. Sein Versatz schützt meine Brust. Von der Wamme des Luchses: klares Weiß mit dunklen Tupfen. Taschenaufsätze für vorn. Auch die Gans hat ein Fell. Unter den Oberfedern, die werden gerupft, eine gleichmäßig flaumige Fläche. Ein Schwanenbesatz für den Kragen.

Vater Staat hält ihn mir hin, den Mantel aus Rauwarengaben, ich schlüpfe hinein. Bedecke den Sternenhimmel. Verschließe ihn lichtblind. Stockdunkel ist mir und wohlig warm. Rien ne vas plus. Und es fehlt nichts. Nichts fehlt mehr. Stein und Blume, Mensch und Tier, alles empfängt sein Licht von mir. Es bedarf nur dem Öffnen eines Knopfes. Fakt ist, schon morgen könnte ich Königin sein. Die erste Frau im Staat. Der zweite Mensch des monarchistischen Landes. Mariechen nimm dich nur in acht / Nur in acht, nur in acht / Mariechen nimm dich nur in acht / Nur in acht. Vater reicht mir die Hand. Ich gebe ihm meine. Seine Augen zeigen, er ist angekommen. Für ihn hält sich die Zukunft bereit. In dreißig Jahren weiß es keiner mehr, nimmt´s nicht mehr genau, der Staatsmann von einst wird in Frieden ruhen neben meiner Mutter, und vor seinem Thronfolger, meinem Bruder und Sohn, wird sich ein ganzes Reich verneigen. Ich lächle mit verschlossenen Lippen und danke ihm innerlich. Wie er mich auf Händen durch das Schloss trug. Ein Danke-für-alles. Wie er mir wies, einen Hummer zu verspeisen. Als Belohnung dafür, dass ich ertrug, wie man das lebendige Tier in den Kochtopf schmiss, um zu erröten. Für alles jemals, auf Dauer und mehr.

Notwendige Bedingung. Er hatte sich darauf eingelassen, er hat mich nicht einfach von hinten genommen. Nicht einfach in einen Käfig gesteckt. Ist Sachverhalt A Voraussetzung dafür, dass ein anderer Sachverhalt B eintreten kann, folgt aus dem Vorliegen von A noch nicht, dass B eintritt. Es reicht nicht aus. Es reicht nicht hin. Ich ritt ins nächste Reich. Im Nachhinein bin ich eine Lügnerin.

Der König hier mag meine Suppe gerne, traut meinem Würzen, sie tut ihm gut. Ich merke mir seinen geraden Blick, der nie anzweifelt, woher er kommt und wo hinein das Licht einfällt, seit wir uns einmal sahen.

Ich schlief in einem hohlen Baum. Die Schwärze des Baumlochs war das Universum um die Erde, die mein Fellmantel war. Und darin wieder ein Universum voller Sterne, darunter wieder Erde: Mein buschiges Beinkleid und mittig die Waldung wuchs auch ziemlich rasch. In Embryohaltung zwischen den Rinden, meine Hände schützend im Schoß. Da waren zu viele Bilder und geistige Blitze. Bis mich die Jagdhunde eines Landesvaters weckten. Ich vertuschte meinen Himmel, stellte mich als pelzig vor. Seine jungen Augen glänzten, dachte wohl an Zähmung dieses Tiers. Er meint, Mariechen sei ein Reh, / Sei ein Reh, sei ein Reh, / Er schoss Mariechen in das Herz, / In das Herz.

Heute werde ich ihm einen Klunker in die Suppe legen. Wenn der Koch beim Schlachter ist. Werde Anser vom Gewebe trennen und unter ein Stück Beinfleisch heben. Nach und nach, sachte, sachte, soll er mich erkennen dürfen.

Aus:
Weiße Frucht. Mit Illustrationen von Katharina Berndt. Verlagshaus J. Frank, Berlin 2009. ISBN 978-3-940249-2

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