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Autorenbuch Janine Lancker Hafen II – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Janine Lancker

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Hafen II


Und wir gehen schmale Wege, Wege die die Nacht uns zeigt. Die See schiebt Brisen zu uns rüber. Hier riecht´s nach Krabben, nach Fisch zu Mehl gemahl´n. Unter den Schuhen knackt kein Sand. Eine Straßenschlinge entlang. Und der weite Platz frei, einige Lastkraftwagenfahrer schlafen bei laufendem Motor, neben dem Steg zur Abfertigung. Eine Plattforminsel, tropfenförmig, umgeben vom Nicht-Meer, dem Beton. Im Häuschen toben verwegene Künstler.  Höre sie lachen. Über mich? Sehe Glasscheiben drinnen, die führen zu schlauchigen Zimmern hin. Wo sind die Menschen geblieben? Schnell weiter, weiter. Ich will mir einen schrägen Garten zeigen. Perverse könnten ihre Dinger über Erdbeerreihen schwingen. Hat er neulich mal gesagt. Mit ´nem Streichholz die Laterne und mit der Hand den Wind weghalten. Ist da noch wer? Nein. Salzige Andacht, die Ebbe, die Flut in Beton gemeißelt. Das Lichtschild schützt vor anonymen Fremdeinflüssen, ich schlag mich mit ihm durch die Nacht. Uns ist ein wenig wehmütig zu Mute. Der Matrose in uns fühlt sich um sein Wohl betrogen. So schön ist die Nacht! Dass ich froh vermissen kann. Das hat jeder schon. Museal gedacht. Tue gut daran. Walle ist nicht gut an Vergessen.

Kälte im Minus / einer Kühlhauskaje / gefrorenes Rindfleisch / klotzt an Klotz / eine Hiev hebt sich gerade // In jeder Luke / acht Stauer im Gang / unter Kommando ihres Vize / schaffen sie Güter // beim Löschen / aus dem Laderaum zur Luke / Ketten, Netze, Körbe / sichern den Kerntransport // Im Gang die acht Stauer / schlagen die Hieve / an den Haken des Krans // Hiev für Hiev senkt / der Kran seine Ladung / runter zur Rampe // Karrenschieber / übernehmen / schaffen zum Schuppen // wo Stapelleute warten // Küper im Schuppen / prüfen genau. Begutachtung meiner Beine. Jaja, guck du nur. Das weiße Baumwollhöschen zwickt am Po. Was ist eigentlich los mit dir?

Über rostige Schienen, wo ich beinah überfahren wurde. Einfach nicht vorstellbar, dass hier noch jemand „Vorsicht!“ ruft. Der Schaft meiner Stiefel ist nicht auf steile Schrägen eingestellt. Ein Stück fall ich doch. Dreckstaub abklopfen, Schürfe betasten und dem Licht trauen und der Laterne hat es nicht geschadet. Caféfeld mit großen Kübeln Süden und langen Holztischreihen in edel, blickeng an Baustellenpromenade. Spaziergang mit Hindernissen. Der Kai wird gesenkt, noch ist alles groß und schwer und offen, Chaos mit Urlaubsreinheit dran. Blaue Strahlen schaden meiner Leuchtkraft, schaden der Dunkelheit. Blau an Blau an rote Häuser. Künstlich-jede-Nacht wird zur Natur des Orts. Zwei stehen da und glotzen Hand an Hand. Ihre Augen folgen dem Wechsel Strahl zu Strahl und meinen, da bewegt sich was Ganzes nach links. Der Impuls ist aber immer neu. Einfach weiter ohne Achtung. Seine Art mir nein zu sagen. Was Hafen war, ist Rahmen jetzt. Luxus kann man sehen, auch wenn´s Material eventuell nur prollt. Schlüsselfertigbau und Transparenz, wir wollen alle reich sein. Mit Gold hat das eher weniger zu tun. Tabak vielleicht? Danke. Rangieren rum. Und das Zentrum soll sich aufblähen, bis ins Abseits hier hinein. Wie gern hätten wir´s behalten.

Beim Kranübungsplatz, da ein Stück weiter, den schmalen Kiespfad hinauf: der schräge Garten. Muss noch recht neu sein. Mein Ziel der Nacht kantet an Bahnsteig und Bauflächen ran. Hügel aus Sand, Hügel bewachsen und mittig klemmt der Strebergarten. Er sollte Recht behalten. Alles akkurat, Erdbeerreihen und ein Swimmingpoolkanister. Ein geheimer feuchter Plan für die kühle Wärme bei ab-und-zu-Mondsehn, doch keine Chance – Stacheldrahtspiralen. Ich gehe weiter. Mit dem Ziel verlässt mich auch die Zeit. Absurde Speicher, längst verkauft, verschleißen ihre letzten Männer. Ich weiß Bescheid, da liegen noch Bleche ihres Tags. Beim Brachland, übers Brachland, denk ich: Die Welt ist riesengroß. Und eine Kugel wohl. Verzerrte Flächen brachen Schrotts. Pflastersteinwürfelbrocken sind ein massives Meer, ein arger Mondkrater voll.

Vom Hafenbecken ist ein totes Dreieck hiergeblieben. An Ort und Stelle. Ein Schenkel ist so breit wie´s alte Becken war. Derselbe Winkel zur Stahlkante hin. Grüne Anlagensprenkel, grün bei Tag, säumen´s Grabmal. Ein Denkmal etwa. Ein japanischer Garten, auf ein himmeloffenes Raumschiff gehievt. – Da steht ein Mops, breitbeinig bellt er verzweifelt die Untiefe an: Fahrwassertiefe, kam Sand drauf. Zwanzig Zentimeter Algen und dazwischen liegt bewegungslos der Gummiball. Knurrt: Er rührt sich nicht. Für den Nachtmops ein gemeiner Teich, Herrchen zerrt. Heut wird das nichts. Bin ja freiberuflich tätig. Gut´ Nacht. Mein´s auch so. Oft hamwa hier, die Damen vom Ballett, die Sehnsucht eines and´ren aufgeschnappt, bereitwillig aufgesogen. Als es noch Kai war. Der ganze wilde Druck beim Landgang und die Hunderter aus den Jackentaschen. Meine Frau ist Nymphomanin, hat er gesagt, hamse alle, und wir waren sehr adrett. Erfüllung reiht sich an Erfüllung. An Verfüllung im Freihafenrevier.

An der Ladestraße / verkehren schwebende normierte Stahlbehälter / vom Voll-Containerschiff hinunter und hinauf / gehoben und gezogen // eine Ro-Ro-Anlage am Kajeversprung // Schwergutumschlag / er braucht gewaltige Brücken für gewaltige Kräne / einhundert fünfzig Tonnen Kran / dazu die Trailer / an Stelle alter Gabelstapler // Und Freiflächen statt Schuppen / Vorschüttungsmaterial / zur Stützung verrotteter Umgebung / aus Wasser wird Wüste wird Beton // Ein Gelände auf dem Reißbrett planen  / wohnen an der Hafenkante / Lofts wie Fabriketagen. Im Hafencasino kennt man sich noch, da haben wir´s schön, in alten Zeiten denken, immer mal rein wieder, auf nur ein Wort. Aber nicht jetzt in der Nacht. Da sind wir auf mich gestellt.

Das Schönste zum Schluss. Ein Staksen den Berg rauf, wir beide: hinauf auf´s Spielzeugplateau, ich, die Laterne −. Ein Blick auf´s scheußliche Fruchtdings, Halle ohne Zierung. Die Unschuld teil´ ich mit dem Tag, ich darf ihn erwachen sehen. Und er schickt mich nach Hause. Das ist okay. Kann immer noch mehr. Na und? Zwei Monde im Wasser: Echtmond und Laternenkranz. Und der Sonne entgegen gewartet.  


Aus:
Weiße Frucht. Mit Illustrationen von Katharina Berndt. Verlagshaus J. Frank, Berlin 2009. ISBN 978-3-940249-28-9
 

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