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Autorenbuch Johannes Witek Margarete und der Clown – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Johannes Witek

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Margarete und der Clown


Margarethe war bekannt für ihre Partys.


Der Vorbesitzer des Hauses,
in das sie eingezogen war,
hatte ihr im Keller unter der Garage
etwas wunderbar Altmodisches
hinterlassen: Ein Raucherzimmer.
Lange, schwarze Ledersofas standen dort
und niedrige Holztische mit riesigen
gläsernen Aschenbechern darauf.
Die Sofas waren immer schnell besetzt
von einer nach rätselhaften Kriterien
zusammengesetzten Loge Auserwählter.
Der Rest von uns stand herum und wartete,
bis ein Platz frei wurde. Margarethe hatte sich
sogar einen Plattenspieler besorgt. Sie spielte viel
langsamen Jazz; Miles Davis, Chet Baker,
solche Sachen.

Der Clown war plötzlich da. Sein Gesicht war
zu weiß und seine Lippen zu rot und das Haar
floß ihm um den Schädel wie eine seltsame Wolke.
Er saß neben Margarethe auf dem Sofa und sprach
nicht.
Nun hatte Margarethe ein gesundes Verhältnis
zu ihrer Sexualität. Wir alle hatten davon profitiert.
Es war fern jeder Außergewöhnlichkeit,
einen Mann neben Margarethe auf dem Sofa sitzen zu sehen.
Der Unterschied war nur, dass der Clown
blieb. Soll heißen: er verschwand nicht wieder
von Margarethes Seite, wie wir anderen.

Er saß neben Margarethe, trank nicht,
rauchte nicht, tat auch sonst nichts. Richtete man
das Wort an ihn, starrte er durch einen
hindurch und summte ein Kinderlied. Es ging
das Gerücht, er sei in der Telekommunikationsbranche.
Seltsam ist: Der Vergleich von Erfahrungsberichten
ergab, dass niemand von uns das Lied kannte, das er
summte. Trotzdem war es ein Kinderlied.

Noch seltsamer ist: Der Vergleich von
Erfahrungsberichten ergab auch, dass keiner
von uns je das Wort an ihn gerichtet hat.
Und etwas war mit seinen Zähnen.

Eines Nachts hörten wir Margarethe schreien.
Wir hatten erst gemerkt, dass sie weg war,
als wir sie suchten, um uns zu verabschieden.
Die Schreie kamen aus dem Haus,
genauer: aus dem ersten Stock, wo das
Schlafzimmer war. Es war furchtbar.
Es war abartig. Man konnte sich vorstellen,
wie sämtliche Meerschweinchen der Nachbarn dabei
neurotisch wurden. Es dauerte danach lange, bis
wir wieder anständig und wie Menschen onanieren
konnten. Wir gingen, ohne uns zu verabschieden.

Dann war Margarethe verschwunden.
Unschlüssig, ob wir einfach so ins Haus gehen sollten,
gingen wir schließlich einfach so ins Haus. Die Tür
war nicht abgesperrt. Auf den Möbeln lag eine
Staubschicht. Die Schränke waren voller Kleider.
Das Bett unberührt. Auf den Badezimmerspiegel
hatte jemand mit blutrotem Lippenstift ein krakeliges
Grinsen gezeichnet.

Als nächstes kamen die Einladungen. Mit der Post.
Kleine, schmale Visitenkarten mit einem krakeligen,
blutroten Schriftzug darauf: "Ex ungue leonem".

Wir haben das nachgeschlagen. Es bedeutet:

„An der Klaue (erkennt man) den Löwen“. Plutarch.
Sonst ist nichts auf den Karten. Weder Name noch Adresse.
Es sind Einladungen.
Es wurde eingewandt, ob es klug wäre, sie anzunehmen.
Ein Diskussionsprozess fand statt.
Ergebnis war, dass sich die Frage nicht stellt.

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