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Autorenbuch Juliane Beer Das große Zerplatzen – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Juliane Beer

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Das große Zerplatzen


Als Violett mit dem Schlagzeuger Rachminy nach London durchbrannte, ohne zuvor Becher und mir gegenüber auch nur eine Andeutung gemacht zu haben, verloren für Becher die Dinge mit einem Schlag ihren Glanz. Eine Woche nach Violetts Flucht hing sein blaugefärbter Kamm welk am Kopf; eine weitere Woche danach war die Farbe herausgewaschen, ohne dass Becher Anstalten unternahm, sie zu erneuern.
In der dritten Woche nach der neuen Zeitrechnung lernte er ein nettes Mädchen kennen. Sie arbeitete am Empfang einer Zahnarztgemeinschaftspraxis, dreimal die Woche ging sie nach Feierabend in ein Frauen-Fitness-Studio.
Becher hat sie dann kurze Zeit darauf geheiratet.

Als Becher vier Wochen vor seiner Hochzeit aus meiner Wohnung auszog und – nachdem wir zwei Jahre Bett, Freundin und Geld geteilt hatten – mir mitteilte, dass wir uns ab sofort nicht mehr sehen könnten, räumte ich sein Dosenbier-Lager im Kühlschrank aus, weil ich begriffen hatte, dass er ernst machen würde.
Abends bemalte ich Löschpapier mit meinem Hausblau. Ein niederschmetterndes Ergebnis. Das Papier saugte die Farbe auf, die wurde unsichtbar, das Papier zerriss.

Nach seiner jahrzehntelang heiß ersehnten Ankunft in Berlin verlangte mein Großonkel Sergeij Pafnutti – 60-jährig –, sofort in ein deutsches Altenheim oder Gefängnis verbracht zu werden. Nicht einmal die Gefangenschaft fürchtete er so sehr wie das Zerplatzen seiner Lebensillusion.
Für einen Gefängnisaufenthalt fehlten ihm die Voraussetzungen, und so lebte er bis vor drei Jahren in einem Dahlem-Dorfer Seniorenheim, wo er einen Tag nach seinem 90. Geburtstag starb.
„Auch wenn du aus bestem Hause stammst, Alexeij“, mahnte er im Übrigen, als wir uns zum letzten Mal sahen, wobei sich sein Blick an meine Augenränder heftete, „die ganze Plackerei hat auch für dich niemals ein Ende. Deine Karriere, Kritiker, Preise, die Journalie ... und auch deine Familie – das geht jeden Morgen von neuem los. Also mach langsam, Junge!“
Er hatte keinen Schimmer, wie mein Leben aussah, nicht den leisesten. Sobald ich ansetzte, etwas daraus zu erzählen, gebot er mir durch eine unmissverständliche Handbewegung zu schweigen.
 

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