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Autorenbuch Klaus F. Schneider STREIFLICHTER – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Klaus F. Schneider

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STREIFLICHTER

STREIFLICHTER

einer der ersten frühlingstage. die erde weich und satt.

zwei damen gingen vorüber

mit wohlgepflegtem pudel. sie unterhielten sich

über Bartok Béla. es war kühl

er trug ein samtenes leibchen

und ich lehnte wartend        an einem morschen zaun

auf der strade amurg.                  fern von hier

 

fuhren busse mit eingedrückten türen

wehten im wind die fahnen der schichtarbeiter

gab es lange schlangen     vor den kinosälen

worin farbige geschichten gesponnen wurden

bis zur perfekten form von zuckerwatte...

an einem morschen zaun lehnte ich

und durch dieses dösende randviertel

kam don alfonso hoch zu roß

ritt auf abenteuer los.

 

überall standen zigeunerinnen.

in ihren händen läuteten schneeglöckchen

die gatten in scharen heran.

da schrieb ich gerade mein zweites gedicht

muttern deckte den tisch: "zum achten märz zum tag der frauen

                           erblühen heute frisch die auen"

in der schule lernten wir über die welt

den kosmos und die magnetischen kräfte

und ich erinnere mich an die unwiderstehliche

anziehungskraft

der gelben fenster     bei anbruch der nacht -

so als würde dahinter     in großen brutkästen

die einsamkeit vergoldet.

 

über den bergen verblutete die sonne

burschen umarmten ausgestopfte bären

oder grinsten aus fernsehramen

ihre liebste an

die sich wundleckte    an buntem speiseis.

 

!oh unsere liebe war süß und schmolz auf der zunge

ohne den winter zu überstehn

in diesem verkalkten luftkurort

wo wir uns umarmten allabendlich

im schein der untergehenden sonne fortwährend umarmten

bis der fotograf den rotfilter abschraubte

und uns fortrug        in die dunkelkammer.

 

- unsere liebe war süß - dachte ich während der ferien

rauch aufsteigend aus den gärten rötete meine augen

ein hund verfolgte mich knurrend durch den weinberg

derweil wusch großmuttern sich die füße    in sorge

(die dorfjugend pflegte mich regelmäßig zu verprügeln)

großvater las in der bibel

mit der nickelbrille vom urgroßvater

und wenn ich sicher war              sie schlafen

schlich ich in den keller.

 

ich brannte eine zigarette an.

die bewegung mit der ich das streichholz anriß

pflanzte sich fort. der zaun knarrte.

möwen flogen auf. in gedanken flog ich hinterher

sah mich aus der vogelperspektive mit einem schwimmreifen

am strand           versuchte ich meine blöße zu bedecken.

die anderen kinder bauten sandburgen.

unsere vorfahren kamen vom meeresboden

stiegen durchs mittelalter

bauten eine gotische kirche nach jedem jahrhundert.

darin spürten wir die stimmen der singenden eltern

- eine schwere kalte regenhaut - auf unseren schultern:

ein feste burg.die orgel sandte pfeile gen himmel...

die konfirmation war beendet. limousinen aus dem westen

fuhren vor. wir stiegen ein. langhaarige kousins

spielten kasetten ab: imagin there's no heaven

ritzten wir in die steine der ringmauer.

 

es war einer der ersten frühlingstage

die erde noch weich und dunkel

ich lehnte an einem morschen zaun

auf der strade amurg

zwei damen gingen vorüber

mit pudel

es war kühl

hinter ihnen tat sich ein schwarzes loch auf.

 


1983 

aus: Ein Morgen im Eisberg, F.a.M., 1990; NA - Autoportrait. Details, Stuttgart, 2002

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