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Autorenbuch Peter Berg Abstumpfen – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Peter Berg

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Abstumpfen

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Kaum ist die Freundin weg, beginnt der Herbst. Ich hasse den Herbst. Ich hasse ihn schon dafür, dass selbst die Bäume vor meinem Fenster sich ihrer bunten Kleider entledigen und sich dann, schamlos nackt, den ganzen Winter mit ihren Ästen befummeln dürfen. Verdammt ja, den Winter, den mag ich auch nicht.

Doch zum Glück bin ich diesen Winter mal nicht der Einzige, der angewidert auf glitzernde Schneeflöckchen schauen muss oder Trost im Eierpunsch sucht. Einen meiner Freunde hat es ebenfalls erwischt. Verlassen worden, schluchz, von einem zum nächsten! Nächsten Tag meine ich natürlich, nicht dass es da irgendjemand Neues gäbe. Aber wer weiß das schon? Und will man so was überhaupt wissen? Das Problem liegt ja vielleicht nicht so sehr im Trübsinn des Alleinseins, eher beim Freiraum an Fantasie. Obwohl, mit der Fantasie ist es bei mir auch nicht so weit her. Doch nicht, wenn man im Internet solange sucht, bis eines der Nacktbildchen halbwegs der Ex-Freundin ähnelt!

„Das wird schon wieder“, hab ich meinem Freund also gesagt, denn so was lockert die Stimmung. Was hätte ich auch sonst sagen sollen? Etwa die Wahrheit? Der Herbst, die traditionelle Erntezeit, und keiner wollte uns haben. Sieh uns an, wir sind alt und fertig! Zwei madige Äpfel, die sich irgendwann nur noch vom Baum stürzen.

Okay, das ist wahrscheinlich übertrieben, aber es ist auch nicht gerade die beste Zeit für einen Neubeginn. Der Herbst ist Scheiße! Den kann man nur aussitzen, am besten in einer Kneipe. Wieso also die Wohnung malern wollen? Wen interessiert das noch? Und was willst du mit dem neuen Spiegel?

Locker bleiben, sag ich, misch dich unter Leute, aber das sagt sich so! Womöglich liegt es ja daran, dass es in den kalten Jahreszeiten einfach weniger Möglichkeiten gibt oder es ist mal wieder „Murphy“, nur: Ich kann in letzter Zeit kaum noch ausgehen, ohne auf eine Ex-Freundin, mal mit-, mal ohne Neuen, zu treffen. Mein Freund und Schriftstellerkollege, der mit dem roten Bart, der findet diese Begegnungen amüsant: „Willst du vielleicht ein Taschentuch? Du kannst doch unmöglich so zartbesaitet sein, du Baby!“

Ja, wahrscheinlich liegt das Problem doch nicht beim Fantasiefreiraum. Überhaupt scheint fast jeder mit dem Herbst besser klarzukommen als ich. Kürzlich habe ich deshalb die von Psychologen empfohlene Methode der „Gute Laune Fragen“ ausprobiert. Die Gedanken sollen durch die Fragestellung und die Ichzentrierung auf Erfreuliches umgelenkt werden. Und das geht so:

Erstens: Worüber könnte ich glücklich sein?Gute Frage! Mal überlegen. Wie wäre es denn, wenn es nicht erst um halb neun hell wird, wenn man das überhaupt so bezeichnen kann! Wo ist die verfickte Sonne? Eben noch war September, eben war sie noch da, und eben noch, da war man mit der Freundin im Urlaub. Jetzt ist alles weg! Okay, zweitens: Wer liebt mich? Wer mich liebt? Ach, nächste! Drittens: Mit welchem Menschen bin ich gern zusammen? Kam das nicht eben schon? Die will nur nichts mehr von mir! Zu Schade, der Sex war fantastisch. Viertens: Was würde ich gern machen? Ja, was wohl, aber da geht es mir wie dem Pudel vor der Fleischerei: Wir dürfen hier nicht rein! Ich glaube, die Methode ist Blödsinn! Gute Laune und Herbst, das passt einfach nicht zusammen.

Was kann man denn aber dann gegen diese Herbstdepri machen? Einen lustigen Keks vielleicht oder Vitamine? Oder was Ordentliches für Zwischendurch? Es muss ja kein kompletter Neuanfang sein!

„Sehr geehrte Frau… Oder wie jetzt?“, fragte mich neulich jener Freund, „Was sagt man denn, wenn man einfach nur ficken möchte?“ Woher soll ich das wissen? Ist aber auch völlig egal, glaub ich, man muss nur lernen, gewisse Abstriche zu machen oder, wie in der Fleischerei, das Gegenteil: darf‘s ein bisschen mehr sein? Ansonsten muss man sich wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass Liebe nicht unbedingt durch den Magen geht, wozu schließlich hat man Hände?

 

Ganz offenbar wühlt der Herbstwind in den Emotionen. Wen wundert es also, dass man haltlos ist? He Optimismus, Miesepeter! Was? Ach ja, man braucht sich jetzt um ein Weihnachtsgeschenk weniger kümmern. Danke.

Noch eine Gute Laune Frage zum Abschluss? Was würde ich GANZ BESONDERS gern machen? Nun, ich bin vielleicht noch nicht so weit, ertappe mich jedoch bei dem stärker werdenden Wunsch, sämtliche Bäume aus meinem Sichtfeld zu stumpfen, das Gekuschel geht mir einfach auf die Nerven!

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