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Autorenbuch Ralf Portello Der Tag, an dem ich nicht vom Balkon sprang – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Ralf Portello

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Der Tag, an dem ich nicht vom Balkon sprang


Mailand. Katzenjammer. Nichts bewegt sich. Nichts ist zu tun.
Ich stehe in meinem atlassenen Seidenkostüm auf dem Balkon eines der großen Häuser.
Im Hintergrund, gut zu erkennen, Monte Stella, ein Trümmerberg.


Und spränge ich jetzt vom Balkon,
so stürzte mein 50-Kilo-Kokon zunächst in die Kronen der
                                                                       [Alleebäume, 
bevor auf dem Pflaster darunter er notwendig zerbrechen müßte.
Das falsche Sprungtuch aus Baumkronen – es wird flankiert
von Betongliedern einer Hochstraße, genannt Cavalcavia Bacula,
einem kleinen Platz mit Silberpappeln
und sieben Geschossen der Art Gemeines Mietshaus:
Felder aus Glattputz, lachsrot und taubengrau,
dazu einige Flecken Terrazzo, inklusive der Balkone
mit ihren obligatorisch atonischen Markisen.
Vor Balkonbewehrungen dämmern Geranien -: totrot.
An Fenstern hängen staubbedeckt Lamellenjalousien.

Im fünften Stock hantiert auf einer Leiter
ein junger Afrikaner in einem Trikot
mit einem Ministaubsauger und saugt
Staub von den Lamellen einer Jalousie.
Seine Hände stecken in leuchtend gelben Plastikhandschuhen.
Neben ihm, auf einem Tisch, steht ein blauer Eimer.
Im Hintergrund die kleine orange Straßenbahn und
die leuchtend gelbe ESSELUNGA-Leuchtschrift des
                                                          [Supermarktes.            
Einige Passanten mit gelben ESSELUNGA-Einkaufstüten
gehen in Zeitlupe die Straße hinunter.
Exakt 14 Uhr 32 beginnt der Afrikaner Staub mit einem rosa
Schwammtuch von den unteren Lamellen der Jalousie zu wischen.

Ich nehme ihm das Schwammtuch aus der Hand
und beginne mit dem großen Aufwasch:
Ich WISCHE die Krume von den Trümmern des Trümmerbergs.
WISCHE das LUNGA von der Leuchtschrift und den Tüten.
WISCHE das Trikot vom Afrikaner.
WISCHE die Plastikhandschuhe vom Gelb.
WISCHE das Schwammtuch vom Rosa.
WISCHE den Eimer vom Blau.
WISCHE den Tod und die Geranien vom Rot.
WISCHE die Fassaden von den Häusern.
WISCHE die Lamellen und die Jalousien vom Staub.
WISCHE die Kronen von den Alleebäumen.
WISCHE mich und den Balkon vom Haus.

Eine kleine Straßenbahn entrollt ihr Orange.
Trümmer Blau hängen in Skelettbäumen.
Rot bricht Licht aus Ruinensäumen.
Ein Afrikaner schüttet seine Nacktheit in die Straße.
Und immer deutlicher schiebt aus dem Staub
sich eine rosa Leuchtschrift in den Himmel:
ESSE.
 

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