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Autorenbuch Sandra Niermeyer Klingel – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Sandra Niermeyer

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Klingel


Es könnte immerhin sein, daß niemand mein Klingeln hört. Daß sie mir nicht deswegen nicht öffnen, weil sie mich ignorieren wollen, sondern weil die Klingel defekt ist. Wenn ich mein Ohr gegen die Tür lege, während ich den Knopf betätige, höre ich im Haus keinen Widerhall. So wäre es also durchaus möglich, daß die Klingel nicht funktioniert – was meinen Sie?
Sie hatte eine Kugel vor sich und lange Fingernägel, das personifizierte Klischee.
Ich bin mir sicher, sage sie, daß Sie daneben drücken. Sie legen den Finger nicht auf den Knopf, sondern neben den Knopf, und dann drücken Sie, bis Ihre Knöchel weiß hervortreten.
Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. Offensichtlich verstand die Frau etwas von ihrem Geschäft.
So habe ich das noch nie gesehen, sagte ich. Sie hielt ihre Hand auf und ich legte einen Hunderter hinein.
Beim nächsten Mal beobachtete ich meinen Finger, verfolgte seinen Weg bis zum Klingelknopf, war entschlossen, ihn nicht ausweichen zu lassen. Aber es war dunkel, die Lampe an der Haustür eingeworfen. Ich konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob das, was ich drückte, ein Knopf oder eine Erhebung im Putz war.
Versuchen Sie es bei Tageslicht, hörte ich die Stimme der Frau, die es offenbar für im Preis mit inbegriffen hielt, mit mir per Gedankenübertragung zu kommunizieren.
Tagsüber mußte ich arbeiten, mein gesamter Jahresurlaub war verbraucht, es war Winter und wurde früh dunkel.
Am nächsten Abend nahm ich eine Taschenlampe mit. Ich richtete den Lichtschein auf die Klingel und brachte meinen Finger in Position. Bevor ich ihn absenken konnte, sah ich am Fenster des gegenüberliegenden Hauses plötzlich einen Lichtschein. Der Strahl einer Taschenlampe, etwas größer als meine, direkt auf mich gerichtete, dreimal kurz unterbrochen, wie ein Morsezeichen. Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte in das nun dunkle Fenster zu spähen. Nichts tat sich. Ich richtete den Strahl meiner Lampe auf die Scheibe und versuchte die Zeichen zu imitieren. Dreimal schaltete ich meine Lampe ein und aus. Drüben blieb alles dunkel.
Da ich nun eine neue Frage, über die ich nachdenken konnte, hatte, stellte ich die Frage über die Funktionalität der Klingel vorerst zurück.
Ich ging nach Hause, richtete den Schein meiner Taschenlampe gegen die Zimmerwand und imitierte den Code immer und immer wieder. Bis mir aus allen umliegenden Häusern die Lichtkegel von Taschenlampen antworteten. Jedes Fenster trug einen glühenden Punkt, ein einziges Lichtermeer.

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