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Autorenbuch Sandra Niermeyer Zwischen den Stühlen – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Sandra Niermeyer

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Zwischen den Stühlen


Ich bin gerade eingezogen oder ich ziehe gerade aus, genau weiß ich es nicht. Ich bin immer auf dem Sprung. Wenn ich die Kisten sehe, denke ich: komme ich oder gehe ich? Ich nehme das Telefon und rufe jemanden an, einen Freund. Ziehe ich aus oder ziehe ich ein, frage ich. Er sagt es mir, er weiß es besser als ich. Ich notiere seine Antwort in mein Notizbuch. Mit Datum. Doch auch mit den Daten komme ich durcheinander, sie liegen so dicht zusammen, wie kann man innerhalb einer Woche zweimal umziehen, ich verstehe mich nicht. Ich sitze auf der Stuhlkante. Ich setze mich nie bis an die Lehne. Aus den Kisten hole ich nur das Nötigste: eine Lampe, das Telefon, drei Bücher, meinen Notizblock. Einen Stift habe ich immer in der Tasche.  
Mein Werk ist umfangreich und unveröffentlicht. Sätze, die mittendrin abreißen, unterbrochen von den Möbelpackern, die klingeln. Geschichten, die zusammenhanglos sind. Nicht für mich, ich erkenne die Zusammenhänge. Nicht aber die Verleger, sie weigern sich, mich zu veröffentlichen. Sie klingen wie auf der Flucht, sagen sie. Das ist mein Stil, sage ich.
Briefe an Wohnungen, die ich vor Monaten verlassen habe, werden mir nachgeschickt. Immer hoffe ich auf eine Zusage, einen Meinungsumschwung, die plötzliche Nachfrage nach flüchtigen Texten. Das Telefon neben mir schrillt, die Tischplatte wackelt, ich unterbreche den Satz, nehme ab, immer hoffend, immer wartend. Es ist mein Freund, der meine Daten im Kopf hat. Deine Wohnung ist gekündigt, sagt er. Sie schicken die Kündigungen zu ihm. Sie trauen mir nicht, vermuten, ich würde sie nicht lesen, in Umzugskartons verschwinden lassen, die Wohnung auch nach mehrmaliger Aufforderung nicht verlassen. Wann, frage ich. Jetzt, sagt er. In fünf Minuten kommen die Packer. Er ruft immer in letzter Sekunde an, er weiß, daß ich ständig fluchtbereit bin. Meine Haustürklingel ist kaputt, sage ich. Ich werfe den Hörer auf die Gabel. Es schrillt sofort wieder. Ich reiße den Stöpsel aus der Wand und schleudere das Telefon in einen Karton. Dann lasse ich die Jalousien herunter und drehe den Türschlüssel zweimal im Schloß. Ich rutsche bis an die Lehne und schreibe: Texte auf der Flucht vor dem Ende.

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