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Autorenbuch Sarah Fix Etwas, das mir gehört – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Sarah Fix

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Etwas, das mir gehört


In der U- Bahn saß mir eine Frau gegenüber. Es war nichts Besonderes an ihr. Um ehrlich zu sein, sah sie so durchschnittlich aus, dass ich sie nie wieder erkannt hätte. Wenn nicht später passiert wäre, was dann passiert ist. An der Haltestelle Hallesches Tor stieg ich aus. Am Mehringplatz hatte ich einen Arzttermin und als ich die trostlose Architektur betrachtete, ging es meiner Erkältung gleich schlechter. Später trank ich noch einen Kaffee in der Bäckerei. Neben mir stand ein Alkoholiker und die Gummibärchen in den Plastikboxen in der Auslage waren mindestens genau so alt wie ich. Ich sprach mit niemandem und als ich abends zu Hause ans Telefon ging, musste ich mich räuspern.
„Hallo?“
Nichts.
„Hallo, wer ist denn da?“
Immer noch nichts, wahrscheinlich falsch verbunden. Ich schaute Wer wird Millionär und wusste keine einzige Antwort. Manchmal wusste ich alle und manchmal wollte ich nach der Sendung mein Abitur an meiner Wohnungstür abgeben und mit der Aufschrift „Für umsonst“ an jeden verschenken, der es haben wollte. Ziemlich oft würde ich das am liebsten mit meinem ganzen Leben tun.

Ich kochte Wasser auf dem Herd und als ich es in die Wärmflasche schüttete, verbrühte ich mich. Ich machte fast nie Licht in der Küche. Ich wohne im Hochparterre und im Hinterhof gibt es einen Bewegungsmelder. Der reagiert auf jede Ameise. So auch jetzt und so konnte ich mich im Spiegel im Flur sehen. Scheisse sah ich aus, mit nassem T- Shirt und fettigen Haaren und keiner Lust zu irgendetwas. Fast hätte ich Nils noch angerufen. Ließ es dann aber bleiben.

Am nächsten Tag ging ich zur Uni. Das tat ich selten und fast hätte ich es an diesem Tag auch wieder nicht getan, wenn nicht meine Oma angerufen hätte, um sich nach meinem Studium und dem Status meines Kühlschrankes zu erkundigen. Beides war ungefähr gleich sinnent-leert, aber das sagte ich ihr natürlich lieber nicht. Sie sollte sich ja keine Sorgen machen. Dieses Berlin war ihr sowieso nie geheuer gewesen und jedes Scheitern auf meiner Seite wäre doch nur die Schuld der missglückten Wiedervereinigung. Denn wo außer in Berlin war die so spürbar? Nirgends. Insofern passte die Stadt doch besser zu mir, als ich es wahrhaben wollte. In meinem Seminar zum 11. September erzählten alle, wie oft sie schon in New York waren und wie sehr sie doch persönlich betroffen waren von den schrecklichen Anschlägen. Die, die bei Sat 1 Praktikum gemacht hatten, waren besonders persönlich betroffen. Warum auch immer. Ich hätte am liebsten eine saftige Story erfunden. Dass ich aus New York und an jenem Tag vor Ort gewesen sei und mir die Körperteile nur so um die Ohren geflogen sind. Aber ich sagte lieber nichts. Müde war ich, unendlich müde.

Abends saß ich wieder im Dunklen vor der Glotze, diesmal mit einem bei Tchibo neu erstandenen Heizkissen. Starrte eine Stunde auf eine Dokumentation über Hitlers Frauen und hätte gerne jemanden angerufen, um mitzuteilen, dass ich mir gerade eine Dokumentation über Hitler im Fernsehen ansah. Das klang gut, fand ich. Meine Mutter rief dann auch an und wollte, dass ich bald mal nach Hause käme, um meine alten Sachen auszumisten. Der Keller musste geräumt werden. Wohin ich mit den Sachen sollte, das sagte sie nicht. Von meinem neuerlichen Vorstoß ins Bildungsbürgertum wollte sie nichts wissen. Und irgendwie wurde es dann auch albern und ich schaltete zu Big Brother. Meine Erkältung war besser geworden.

Als das Telefon erneut klingelte, muss ich gerade eingeschlafen sein. Mein Rücken tat weh und ich war verschwitzt. Im Fernsehen lief eine Wiederholung von Vera am Mittag.
„Hallo?“
Nichts.
„Hallo?! Wer ist denn da?“
Wieder nichts.

Am kommenden Tag hatte ich richtig was vor. Meine Hose musste in die Änderungsschneiderei, meine Vorhänge in die Reinigung und mein Spülmittel war aufgebraucht. Bei Karstadt traf ich Nils. Mit seiner neuen Freundin. Die sollte jetzt also besser sein als ich. „Wie geht’s? Was macht deine Magisterarbeit?“
„Danke, geht gut voran.“ Gelogen war das, aber das war mir egal.
„Ich war ziemlich erkältet, weißt du.“
„Ja, wir auch.“ Jetzt ist man also schon gemeinsam erkältet. Früher waren wir immer gemeinsam krank, er natürlich immer viel ernster als ich.
„Ja, also dann machs mal gut“.
„Ja, tschüss.“
In der Toilette heulte ich ein bisschen und fand mich faltig um die Augen. Aber vielleicht war es auch nur das Licht.

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