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Autorenbuch Sarah Fix Das Museum of Modern Art wird renoviert. – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Sarah Fix

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Das Museum of Modern Art wird renoviert.


In der U-Bahn von New York traf sie den Vater von Monica aus der Fernsehserie Friends. Den richtigen Vater der echten Monica. Das war am Valentinstag. Mit einem Ballon in Form eines Herzens bewaffnet hatte der Vater sie angesprochen. Erst wollte sie ihm ja kaum glauben, aber er hatte ein Foto seiner Tochter dabei. Er schenkte ihr den Ballon, denn sie hatte keinen bekommen. Sonst wollte er nichts von ihr, noch nicht mal ihren Namen.
Sie ging nach Hause mit dem roten Herzen über dem Kopf. Ihr Zuhause war im West Village in einer ziemlich großen Wohnung mit getönten Scheiben. Ihren Vater gab es nicht mehr und ihre Mutter hatte seit 10 Jahren das Haus nicht mehr verlassen.
Sie hatten viel Geld und eigentlich wusste sie gar nicht woher. Sie war schon Mitte Zwanzig, aber weil ihre Mutter das Haus nicht mehr verließ, wohnte sie noch bei ihr. Sie sah eigentlich ganz gut aus, mehr so der klassische Typ, aber meistens blieb das ohne Konsequenzen von männlicher Seite. Sie hatte noch nie einen Freund gehabt. Aber sie las viel, sie las den ganzen Tag, wenn sie nicht studierte. Und sie studierte Literatur und dort las sie noch mehr. Eigentlich brauchte sie dadurch keinen Freund mehr.
Ihr Name war Antinori. Ja, der Vorname. Ihre Mutter war, als sie sich noch nach draußen wagte, einmal in Italien gewesen. In den Weinbergen des berühmten Antinori- Guts wurde sie gezeugt und deshalb hieß sie so. Als Kind hatte Antinori sich einfach Theresa genannt, das ersparte ihr peinliche Fragen. Heute nannten alle sie Anni.
„Von wem hast du den Ballon?“
Ihre Mutter kochte, nachdem Olga, die Haushaltshilfe, genau das eingekauft hatte, was sie verlangt hatte.
„Von dem Vater von Monica aus der Fernsehserie Friends.“
Ihre Mutter stellte das Handrührgerät an und schlug Sahne.
„Draußen ist es warm für Februar.“
Anni musste gegen das Getöse des Mixers anschreien.
Ihre Mutter zuckte entschuldigend mit den Schultern und hielt ihre Hand ans Ohr. Sie konnte sie nicht hören. Anni ging in ihr Zimmer und las. Abends gab es Essen. Erst Saltimbocca alla Romana und dann Erdbeeren mit Sahne. Sie aßen allein, so wie meistens.
„Heute ist doch Valentinstag. Hast du nichts vor?“
Anni schüttelte den Kopf. Sonst sprachen sie nichts mehr, aber aßen alles auf.

Am nächsten Morgen war Samstag. Da machte der Psychiater Hausbesuche und kam zu Annis Mutter. Die beiden waren im Arbeitszimmer und Anni las. Anni hatte eine Freundin, die hieß Jules und war sehr hübsch. Jules war eigentlich mehr aus Mitleid mit Anni befreundet und das wussten alle, am besten wusste das Anni selbst. Jules Mutter lief beim Marathon mit. Sie hatte sie immer wieder gefragt warum ihre Mutter denn nie aus dem Hause ging. Anni wusste es nicht. Ihre Mutter war früher mal eine lebenslustige Frau gewesen, sie war Journalistin und hatte für die New York Times gearbeitet. Eigentlich war sie aus Deutschland, war aber zum Studium nach Amerika gekommen und hier schwanger geworden und dann für immer geblieben. Sie war sehr schön und nachdem Annis Vater ihr Kindermädchen geheiratet hatte, gingen viele Männer in ihrer Wohnung ein und aus. An einem frühen Abend im Juni vor zehn Jahren war Annis Mutter früher als sonst nach Hause gekommen. Sie hatte geweint und war um sechs schlafen gegangen. Anni, die schon alt genug war, hatte sich selbst Abendessen gekocht. Danach hatte die Mutter die Wohnung nicht mehr verlassen und es gab auch keine Männer mehr. Sie hatten sich dann über die Jahre so eingerichtet, dass alles zu ihnen ins Haus kam: Getränke von Dean and Deluca, Toilettenpapier von Strawberryfields, der Friseur von Bumble and Bumble, der Psychiater Dr. Westshire und einmal im Jahr der Hausarzt Dr. Richards, der der Mutter Blut abnahm. Und weil die Mutter auch so viel las, vermisste sie nicht viel. Sie wollte auch fast nie von Anni wissen, wie es zuging, in der Welt da draußen.
Nur am 11. September hatte sie ihre Tochter auf dem Handy angerufen, um zu erfahren, ob alles in Ordnung sei. Anni war in weißen Staub eingehüllt nach Hause gekommen, ihre Universität war nicht weit von den Türmen gewesen. Doch die Mutter schlief und Anni wollte sie nicht wecken. Sie hatte den Einsturz der Türme im Fernsehen betrachtet, die verschmutzten Kleider weggeschmissen und lange geduscht. Weil in der Nacht die Sirenen so laut waren, hatte sie sich Watte in die Ohren gesteckt. Am nächsten Tag kam Dr. Westshire, obwohl nicht Samstag war. Die Uni fiel aus und Jules hatte am Telefon geweint. Anni hatte nie wieder mit ihrer Mutter über den schwarzen Dienstag gesprochen. Nur, wo ihre schwarze schöne Jacke sei, wollte die Mutter einmal von ihr wissen. Doch die hatte Anni weggeschmissen.

Jules war es, die Anni Paul vorstellte. Sie hatten Jules Geburtstag in deren Apartment in Brooklyn gefeiert. Anni hatte Sekt getrunken. Sie trug ein Kleid und sah aus wie Audrey Hepburn. In der Küche half sie Jules, kleine Häppchen zuzubereiten, als Paul in die Küche kam.
„Das ist Anni. Deren Mutter nie aus dem Haus geht.“ Jules war noch nie sehr diskret gewesen. Paul und Anni blickten auf den schwarz- weiß karierten Küchenboden.   
Später setzte Paul sich neben sie. Anni hatte nicht so viel zu sagen, aber das fiel nicht auf. Paul hatte gewiss viel zu erzählen. Er war weit gereist und sehr charmant. Er fragte sie, ob sie mit zu ihm käme. Sie sagte ja und hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter für ihre Mutter.
Bei Paul, der auch in Brooklyn wohnte, hingen viele Bilder, die er selbst gemalt hatte. Er war Künstler, seine Gemälde waren abstrakt und in dunklen Farben gehalten. Paul hatte einen großen, schwarzen Hund, der gefährlich aussah, aber sonst sehr freundlich war. Er hieß Göring. Das fand Anni ein bisschen geschmacklos und Paul sehr lustig. Anni hatte noch nie mit einem Mann geschlafen, aber weil sie schon so viel darüber gelesen hatte, fiel es nicht auf. Tatsächlich würde Paul später seinen Freunden erzählen, Anni sei bisher die Beste gewesen. Es gefiel ihr und sie taten es die ganze Nacht.
Als sie am nächsten Tag nach Hause kam, sah ihre Mutter aus, als hätte sie die ganze Nacht geweint.
„Wo warst du?“
„Bei Paul, ich glaube, er ist mein neuer Freund.“
Die Mutter nickte stumm und zerschnitt das Gemüse energischer als sonst.
Abends las Anni nicht, sondern dachte an Paul. Wie er sich angefühlt hatte und was er alles zu ihr gesagt hatte. Um elf kam die Mutter in ihr Zimmer mit dem Telefon. Es war Paul. Ihre Mutter und sie schliefen in dieser Nacht in einem Bett, das taten sie manchmal. Dann erzählten sie sich Geschichten und Anni wollte wissen, wie sie als Kind gewesen war. In dieser Nacht drückte die Mutter im Schlaf Annis Hand und sah ganz glücklich aus.

Eine Woche nach ihrer ersten Begegnung schlief Anni wieder bei Paul. Sie war am nächsten Morgen vor ihm wach und sah ihn sich an. Seine braunen Haare und seine großen Poren. Unter ihrem nackten Bein spürte sie eine feuchte Stelle auf dem Laken und sie war sehr glücklich. Draußen lärmte der Ozean der Stadt und die Heizungsrohre pochten, als ob Ratten in ihnen ihr Unwesen trieben. Paul nannte sie Prinzessin und sie schlief einmal die Woche bei ihm. Er bezeichnete sie als seine Freundin und malte ein Bild für sie. Sie schrieb eine Geschichte für ihn.

Im Sommer wollte Anni ihn mit zu sich nach Hause nehmen und der Mutter vorstellen.
Den ganzen Tag hatten Anni und ihre Mutter Kuchen gebacken und Sahne geschlagen. Außer Dr. Westshire war lange kein Mann mehr zu Gast in der Wohnung gewesen. Ihre Mutter schminkte sich sogar und trug ein braunes Woll-Kleid von Prada und flache Lederschuhe von Tods. Anni hatte ihre Jeans an und einen tief ausgeschnittenen Angorapullover von ihrer Mutter. Olga hatte frische Blumen mitgebracht, die jetzt die Anrichte in der Küche zierten. Die Mutter hatte „die Schöpfung“ von Haydn aufgelegt. Dann klingelte Paul und Olga setzte den Cafe auf. Auch er hatte sich fein gemacht und hatte Blumen dabei. Und Göring. Das hatten sie nicht vereinbart.
Er gab ihr einen langen, etwas unsicheren Kuss auf den Mund, flüsterte „die Blumen sind für deine Mutter“, als diese in den Flur kam. Als sie Göring sah, erstarrte sie.
„Mama, das ist Paul und das ist sein Hund. Er sieht zwar gefährlich aus, aber er ist ganz brav. Ich hoffe, er stört dich nicht.“
Die Mutter war kreideweiß.
„Bitte entschuldigt mich“
Sie ging in ihr Zimmer und als Anni klopfte, antwortete sie nicht und hatte die Tür verschlossen.
Göring, Paul und Anni aßen den Kuchen und Olga ging eine Stunde früher als sonst. Paul bewunderte die Wohnung und den guten Geschmack der Mutter, äußerte sich aber nicht zu deren merkwürdigen Verhalten. Anni war ihm dankbar dafür. Später gingen sie in Annis Zimmer und sahen einen Film. Dann führten sie Göring aus und als sie wieder kamen, hatte die Mutter ihnen ein Abendessen hingestellt. Als Anni noch mal an der Tür klopfte, kam wieder keine Antwort.
„Mama, können Paul und sein Hund hier schlafen, oder ist es dir nicht recht?“
Die Mutter sagte nichts.
In dieser Nacht mussten Anni und Paul sehr leise sein, denn das Schlafzimmer der Mutter war direkt nebenan. Göring schlief neben ihrem Bett und sein Atem rasselte. Das Bettgestell quietschte leise und Anni war sehr glücklich. Paul sagte ihr, dass er sie liebe und das hatte er noch nie getan. Anni fing an zu weinen und sie schliefen nochmals miteinander.

Es muss so gegen vier gewesen sein. Anni konnte sich später daran erinnern, dass sie zuerst zu ihrem rot blinkenden Wecker gesehen hatte, als der Schuss fiel. Paul fing an zu schreien und Anni wurde sofort speiübel. Als hätte der Schuss sie in den Magen getroffen. Der ohrenbetäubende Knall war aus dem Schlafzimmer der Mutter gekommen. Göring lag nicht mehr neben dem Bett und Anni versuchte sich zu erinnern, ob ihre Mutter eine Waffe besaß. Sie war wie gelähmt und es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bis sie sich in den Flur traute. Paul saß immer noch starr im Bett, benommen und bleich im Licht des Mondes. Sie traute sich nicht, Licht anzumachen. Die Schlafzimmertür stand offen. Anni stieß sie mit dem Fuß auf.
„Mama?“
Im Zimmer war es dunkel und Anni brauchte einige Sekunden, um etwas zu erkennen. Sie schrie auf. In ihrem Zimmer rief Paul die Polizei.
Ihre Mutter saß auf dem Bett in einem weißen Nachthemd mit offenem Haar. Sie hatte ihre Haare schon lange nicht mehr offen getragen, selbst nachts nicht. Sie waren länger, als Anni es in Erinnerung gehabt hatte. In der Hand hielt die Mutter den Revolver und ihre Augen blickten starr. Auf dem Boden lag Göring und aus seinem Bauch lief ein dünnes Rinnsal roter Flüssigkeit. Annis Mutter hatte Göring erschossen.

Paul wollte nach diesem Zwischenfall nichts mehr mit Anni zu tun haben und verklagte ihre Mutter auf Sachbeschädigung. Er war dann schneller mit Jules zusammen, als der Brief vom Anwalt kam.
Als Anni genau eine Woche nach der schrecklichen Tat von der Universität nach Hause kam, war ihre Mutter nicht da. Und sie war auch schon nicht zu Hause gewesen, als Olga am Morgen gekommen war. Anni rief Dr. Westshire an, doch der teilte ihr mit, dass ihre Mutter ihm erklärt habe, sie brauche ihn nicht mehr und er wusste folglich auch nicht, wo sie sein könnte. Irgendwann, es wurde schon dunkel, kam die Mutter wieder. In der Hand hatte sie eine weiße Tüte und ihre Wangen waren gerötet.
„Wo warst du?“
„Im Museum of Modern Art. Ich wollte schon immer mal einen Pollock sehen und da das Museum bald renoviert wird, dachte ich, ich gehe besser gleich. Wollen wir jetzt essen, ich habe Spargel gekauft?“
Die Mutter stellte den Mixer an, um die Soße zuzubereiten und Olga ging nach Hause. Anni las. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihre Mutter. Doch die sah aus wie immer. Nur die Haare trug sie offen. An der siebten Avenue musste es einem Unfall gegeben haben, denn man hörte ununterbrochen Sirenen. Auch noch beim Abendessen.
„Schönes Geräusch, findest du nicht?“, sagte die Mutter mit vollem Mund. Und dann mussten sie lachen. Und noch während sie das Vanilleeis aufaßen, lachten sie.
Nachts schlief Anni bei ihrer Mutter.
„Mama, wie war ich als Kind?“
Die Mutter lächelte sie an.
„Bald fahren wir nach Italien, dann erzähl ich es dir. Aber jetzt muss ich schlafen. Ich hatte einen anstrengenden Tag.“

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