Screenbreite Gegenwart
Den Zwischenruf von Jan finde ich gut. Wir bewegen uns gerade in einer Diskussion um das Ich, um Hegel, mit Adorno, die man den Texten durchaus anlegen kann. Um Jans Sorge zu entkräften: die Texte sind sehr diesseitig. Sie sind keine Abhandlung über Philosophie. Sie poetisieren das Banale auf wunderschöne Art.
Es geht um ganze konkrete Fragen: wie sieht Ausbeutung aus? Hier kommt mir die Mutter in den Sinn, die in beiden Texten eine Rolle spielt. Sie ist die überarbeitete Versorgerin, Bezugsperson und Marker des Systems. An ihr lässt sich ablesen, wie Macht- und Beschäftigungsverhältnisse funktionieren. Zugleich schwingt bei beiden eine unheimlich rührende Dankbarkeit mit.
Das Banale findet immer wieder seinen Platz. So liest Hans Hektor von einer Auktion, bei der die Quittung über die Aufführungsrechte eines Schiller-Stücks versteigert wurde. „Schiller erhielt für die Aufführungsrechte 100 Preußische Taler.“ Absatz. Es geht mit der Postmoderne weiter. Ganz unvermittelt. Hier werden keine Erklärungen gegeben, hier wird nachgedacht. Und das Nachdenken hat nicht immer ein Ziel, nicht immer eine Richtung und es ist vor allem nicht immer logisch.
Martin macht es ähnlich, wenn er über den Widerstand nachdenkt: auf „Ich weiß nicht / Wovon ich schreibe / Wenn ich über Aufstände schreibe“ folgt eine Aufzählung von Aufständen aus den letzten 7 Jahren. Die Welt ist in Aufruhr, mehr noch, als die Welt von Hans Hektor. Sie dreht sich nicht nur schneller, sie hat auch eine andere Richtung eingeschlagen.
Ja, es geht viel um das Ich in den Überschreibungen, aber es geht auch viel um politisches Bewusstsein. Gerade Martins Sprache geht hier so stark in die Gegenwart, wie es nur Lyrik kann: da wird sich „screenbreit“ empört, es gibt „Einwegprotestler“ und Schüler*innen. Er ist sprachlich im Jetzt produktiv und ringt ihm auf eine kritische, intelligente Art neue Bedeutungen ab, die uns den Spiegel vorhalten. Hier trifft das Poetische auf das Politische. Die Beobachtungen sind so scharf, dass sie ins Fleisch des Zeitgeists schneiden.
Wendet man diesen Blick wieder auf Jans Texte zurück, erscheinen sie in neuem Licht. Hier geht es weniger um eine produktive Sprache, als um die Nachbarschaft von erzählerischen Einheiten. Wie interagiet Hans Hektor mit seiner Welt? Was ringt er ihr ab? Das ist jeweils mit viel Bedeutung aufgeladen.
Also: die Texte lassen sich ganz ohne Hegel lesen. Und sie sind durch und durch politisch, und damit auch öffentlich, was für mich nicht im Widerspruch mit ihrem Poetischen steht. Mehr noch: es bedingt sie.