Neuen Kommentar schreiben

Vielstimmigkeit

Statement

Zwei Stimmen kommen im Buch zu Wort. Vier Stimmen beschäftigen sich jetzt mit ihnen. Online, wie passend bei einem E-Book, in einem neuen Format, das Interventionen durch Kommentare zulässt. Das ist für uns alle, wie Martin Piekar über sein eigenes biographisches Schreiben sagt, eine neue Erfahrung. Wie also damit umgehen?

Die vielen Eindrücke zu sortieren ist schwer. Gerade bei Jan Kuhlbrodts Aufschlag ist man dazu gewillt ein Narrativ zu suchen, das man so nicht findet. Die Eindrücke sind in der Tat – da stimme ich Ingo zu – diffus. Jans Kommentar bettet das in eine Erfahrung ein: seine Autobiographie, das System in dem er Aufwuchs, ein System, dass es so nicht mehr gibt. Die Entfremdung ist auf die Spitze getrieben und jetzt sehe ich in dieser Verlorenheit die Stärke von Jans Text. Seine Stimme ist sehr zaghaft, das Erzählen zuweilen wie ein matter Film. Dann aber spielt der Text mit Wiederholungen und es wird interessant: die Wiederholung verleiht der Mattheit eine Richtung. Es ist schwer als Beobachter teilzunehmen, schwer eine Linie zu finden. Das gilt vor allem für die Prosa. Die lyrischen Intermezzos erweitern das formelle Vokabular. Sprung zwischen den Prosaabschnitten und den lyrischen Teilen ist abrupt.  Auch wenn eine Linie schwer zu finden ist: eine Stimmung entsteht, und das merkt man sich.

An dieser Stimmung setzt Martin Piekars Überschreibung an. Er nimmt das Diffuse auf, spinnt es weiter und übersetzt es in eine Sprache, die wesentlich gegenwärtiger ist. Der Zwischenruf des Herausgebers sagt: die beide Texte stehen für sich. Ich will ihm entgegenbringen: die Texte profitieren voneinander. Ohne Jans entfremdete, nebelige Perspektive auf seine eigene Vergangenheit könnte Martin wahrscheinlich gar nicht erst so schreiben. Damit fordern die Texte einander heraus. Auch wenn Martin auf Jan reagiert – Jans text agiert dadurch neu. Überschreibungen zeigt, wie lebendig Texte sind und wie komplex Intertextualität in unseren Köpfen wirkt.

Ein letzter Gedanke noch zur Form des E-Books: wäre es nicht toll, diese provozierte Form der Intertextualität digital greifbar zu machen? Nicht, dass es realistisch ist, aber wäre es nicht toll eine App zu programmieren, die erlaubt in beiden Texten zugleich zu sein? Die Überschreibungen durch Klicks sichtbar macht? Ein E-Book ist 2016 zu oft immer noch nur ein elektronisches Buch. Das Buch anders zu denken gelingt durch den Lyrikcode, den der Verlag einzieht. Geht das weit genug?