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Auf das Klaffen der Wunden hören
„Die Wunden klaffen“ heißt es in Heines Gedicht „Enfant perdu“ und man kann sich in den Überschreibungen wund und verloren lesen; es geht ja immer auch um Reflexionen aus beschädigten Leben.
Wenn wir Jans narrativen Weg als Ausweg betrachten, um das Ichferne/ den Ichverlust zu bannen, das durch die Entfremdung von Zeit und Staat, von Kollektiv und Nation hervorgerufen wurde, dann scheint mir Martins Gegenreform tatsächlich eine Antwort zu sein, auf die noch weitere folgen müssten, wodurch die Gegenreform alsor erneut reformatorische Züge annimmt. Damit meine ich, dass nicht bloß ein Ich aus der Versenkung (aus dem „Wir“ heraus) neu hervorgeht, weil die Zustände „besser“ geworden sind, sondern weil Martin darauf reagiert, dass Jans Text eine persönliche Reaktion fordert. Ich denke also, dass Martins Versuch einer „Befremdung durch das Direkte“ auch eine sehr starke Annäherung oder Abgrenzung vorausgegangen sein muss. Das Klaffen der Wunde hat also nur Bedeutung, wenn man selbst auch etwas von dem Schmerz mitfühlt, der ja bei Jan an so vielen Stellen überlagert wird (der Schrei bleibt oft aus bzw. er bleibt stumm).
Ist es also nicht vor allem eine unheimliche Nähe, die wir zwar permanent gegenwärtig erleben, die uns aber erst dann dazu nötigt ein „Ich“ neu entstehen zu lassen, wenn wir gezwungen sind, wirklich laut zu werden, zu opponieren, uns zu engagieren? Und bürgt dies nicht wieder die Gefahren der Entfremdung, ist also Verzweiflung wirklich so individuell? An einer Stelle schreibt Martin in dem Buch: „Ich glaube an den Menschen!“ Aber reicht das? Oder geht einfach (zunächst) nicht mehr?