Interview

Mongolei Stadt

Einführung in eine mehrteilige Interviewreihe

An der Wahrnehmung der Mongolei in Deutschland sind zwei Dinge bemerkenswert. Zum einen das Ausmaß des Interesses, das ihr entgegengebracht wird: es gibt nicht viele Länder, deren politische und ökonomische Bedeutung für Deutschland so gering ist wie die des 2,9 Millionen Einwohner Staates Mongolei, und über die doch so regelmäßig berichtet wird. Es vergeht keine Woche, in der man nicht mindestens zwei Mongolei-Dokus im Fernsehen sehen kann. An manchen Wochenenden sind an drei Tagen drei verschiedene Mongolei-Dokus im Programm. Hier das Ergbnis einer kleinen Recherche von Anfang August: 

Sa. 4. August: Dschingis Khans Erben – Reise durch die Innere Mongolei (Bayern Alpha, 16:45 Uhr) [die Innere Mongolei gehört natürlich zu China];
So. 5. August: Russland/Mongolei – Mit der Rentnerkarawane unterwegs (MDR, 16:05 Uhr);
Mo. 6. August: Sehnsucht Mongolei mit Markus Lanz (Biography Channel Germany, 18:00 Uhr).

Wer das Pech hatte, den Biography Channel nicht empfangen zu können, hatte binnen sieben Tagen gleich zwei Gelegenheiten, sich „Sehnsucht Mongolei mit Markus Lanz“ auf Phoenix anzusehen. Und hier das Ergebnis einer Youtube-Suche zu „Mongolei Doku“. Unter den ersten zehn Treffern (von Doppelungen bereinigt; Stand: 12. Sept. 2013), finden sich neun weitere in Deutschland ausgestrahlte Mongolei-Dokumentationen allein seit 2005, sieben davon in Deutschland produziert:

Ostwärts mit dem Rucksack der Sonne entgegen – Durch die Mongolei, Phoenix 2013;
Die Magie der Mongolei, Phoenix 2012;
Dschingis Khan – Herrscher des Schreckens, History Channel Germany 2009 (amerikanische Produktion);
Weiden, Wüsten, Wolkenkratzer: Unterwegs in der Inneren Mongolei, Phoenix 2012;
Mit offenen Karten – Mongolei, ARTE/2007 (französisch-deutsche Co-Produktion);
Abenteuer Mongolei – Erster Teil: Goldrausch in der Gobi, Phoenix 2006;
Abenteuer Mongolei – Zweiter Teil: Die Rückkehr des Dschingis Khan, Phoenix 2006.
Kinder der Steppe. Hoffnung für die Mongolei, ORF 2005;
Die letzten Jäger der Mongolei [fünfteilig]; ARTE/MDR 2012.

Wer sich die Dokus ansieht – die Lektüre der Titel und Untertitel reicht in den meisten Fällen aus –, dem fällt schnell das zweite Bemerkenswerte auf: die extreme Selektivität in der Wahrnehmung des Landes. Mit einer einzigen Ausnahme – der sehenswerten, leider nur elf Minuten langen ARTE-Sendung Mit offenen Karten – geht es konsequent um eines der folgenden beiden Themen: A) die aussterbende (!?) Lebensform des mongolischen Viehzüchter-Nomadentums; B) Dschingis Khan.

Dschingis Khan ist seit 786 Jahren tot. Die große Mehrheit der Mongolen lebt heute in städtischen Ballungsräumen – knapp die Hälfte (mindestens 1,3 Millionen; andere Schätzungen liegen höher) in der Millionenstadt Ulaanbaatar.

Um diese, die städtische Mongolei soll es in dieser Kolumne gehen. Vor allem um die Hauptstadt, in der sich der gesellschaftliche Wandel des Landes entscheidet und am schärfsten und schnellsten abzeichnet. Da ich selber inzwischen zwar dauerhaft (mehrere Monate des Jahres), aber noch nicht allzu lange hier lebe, möchte ich mit einer Reihe von – mindestens vier – Interviews beginnen.

Meine ersten Gesprächspartner waren der in Deutschland zweifach promovierte Energie-Ingenieur und Philosoph S. Molor-Erdene und die deutsche Fotografin Mareike Günsche, die seit 2009 in der Mongolei lebt und arbeitet. Ich stelle Sie hier zusammen vor, da sich ihre Ansichten zu einem bestimmten, m.E. für die Mongolei heute ziemlich wichtigen Thema – wenn nicht widersprechen – zumindest ergänzen: Gender und Genderpolitik.

Zu S. Molor-Erdene, meinem ersten Gesprächspartner: dass er von Profession Philosoph ist, heißt nicht, dass er im politischen und kulturellen Diskurs der Mongolei einen übergeordneten, vermittelnden Standpunkt für sich reklamiert. S. Molor-Erdene bezieht klar Stellung, mischt sich aktiv – als Ex-Berater des Ex-Präsidenten und Gründer der „Alle Mongolen Arbeiter Partei“ – in das politische Geschehen ein, und macht sich damit auch Feinde. Enkhbat, seinen Verleger, warne er regelmäßig, nicht zu oft mit ihm gemeinsam aufzutreten, sonst gehe er pleite, erzählte Molor-Erdene in einem Teil des Gesprächs, das ich aus Gründen des Umfangs nicht ganz habe ins Transkript aufnehmen können. Neben zahlreichen eigenen Veröffentlichungen zu philosophischen und politischen Themen, hat S. Molor-Erdene Heidegger: Sein und Zeit, Erich Fromm: Sein und Haben und zuletzt Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja, wieviele? ins Mongolische übersetzt.

Noch eine Bemerkung vorab: Oben habe ich, was die Wahrnehmung der Mongolei in Deutschland angeht, nur das Fernsehen, und dort nur die das Doku-Segment berücksichtigt. Zieht man die großen Print-Medien hinzu, sticht – zumindest in den letzten Monaten – ein drittes Schwerpunkt-Thema ins Auge: der Kampf um die enormen Rohstoffvorkommen des Landes. Sowie ein viertes: die mongolische Neonazi-Gruppe „Tsagaan Khass“ (“Weißes Swastika/Hakenkreuz“). Dass der Bergbauboom ein relevantes Thema ist, steht außer Frage: 2011 war die Mongolei mit 17,5% Wirtschaftswachstum, getragen vor allem von Investitionen in Bergbau und große Infrastrukturprojekte, die am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft der Welt (zusammen mit Macao: Kasinohölle und Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China); 2012 mit 12,3% immernoch die am viertschnellsten wachsende Volkswirtschaft. Inwieweit das Interesse im Fall von „Tsagaan Khass“, zumal in dieser Breite (Weltspiegel, Spiegel, Stern, Der Standard...) gerechtfertig ist – u.a. darum wird es im ersten Interview gehen.

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