Im Gespräch: Elke Engelhardt redet mit der Künstlerin Elisabeth Masé
Elke Engelhardt: In deinem Interview mit Stefanie Hereaus erzählst du, dass du als du nach Bielefeld gekommen warst, also so um 1997 herum, angefangen hast, einzelne Bilder zu nähen und anzuziehen. War das der Anfang deiner „textilen Periode“?
Elisabeth Masé: Das "Textile" tauchte in meinen Arbeiten von Anfang an auf. Bereits 1985 hatte ich für meine erste Ausstellung Hemden aus handgewobenem Nesselstoff für meine drei Brüder genäht, schwarz bemalt und mit Federn bestückt. Später verwendete ich u.a. Leinen-Servietten, eingefärbte Bettdecken und bestickte Taschentücher oder nähte "tragbare" abstrakte Bilder aus farbiger Rohseide, Hüllen, in denen ich auch hätte schlafen können. Als Kind glaubte ich, dass meine Kleider empfindliche „Wesen" seien, die Nähe und Wärme suchen, aber auch sehr eifersüchtig sind.
E.E.: Du hast also seit 1985 Fäden, Sticken und Nähen in Deine Arbeiten miteinbezogen. Wie ist es dazu gekommen, was war der Impuls? Wo liegt für dich der Ursprung dieses Fadens?
E.M.: Der Faden vernäht, was auseinander brechen könnte. Er legt eine Spur und repariert, was sonst nicht funktionieren könnte. Der rote Faden und die Nadel durchstechen den Stoff oder das Papier und dabei "verletzen" sie und "heilen". Das Rot des Fadens erinnert an eine Blutspur und suggeriert Verletzlichkeit und damit auch Lebendigkeit. Die Farbe setzt optische Akzente. Der rote Faden ordnet und verbindet auch im übertragenen Sinn.
E.E.: Der rote Faden war ja bereits in deinen beiden Bildbänden „Der Hibiskus blutet“ und „Amerika give me a reason to love you“ anwesend, jetzt hast du diesen Faden im Projekt „Das Kleid“ vielen unterschiedlichen Frauen, also Frauen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, im unterschiedlichen Alter und mit unterschiedlichem Bildungshintergrund, übergeben. Was bedeutet dieser Faden für dich?
E.M.: Als ich den Film gedreht und die Frauen im fertig bestickten Kleid fotografiert hatte, wurde mir nochmals bewusst, dass der rote Faden beim Projekt "DAS KLEID" neben der Schönheit des farblichen Kontrasts Verletzlichkeit suggeriert. Die Stickereien wirken trotz ihrer dekorativen Anmutung wie Tattoos oder Hautritzungen oder Narben. Schmerz und Schönheit, Humor und Drama kommen sich nah. Nach meinen beiden Bildbänden „Der Hibiskus blutet“ und „America give me a reason to love you“ sollte "DAS KLEID" eigentlich Band drei in einer Reihe werden.
E.E.: Ist der rote Faden ein Gesprächsfaden, den du zuerst für dich gesponnen hast, und den du nun weitergibst an andere Frauen, der aber dennoch ein roter Faden bleibt, der deine gesamten Arbeiten durchzieht?
E.M.: Liebe Elke, danke Dir, ich spinne aus dem Faden vielleicht mein Hinausgehen in den gesellschaftlichen Raum.
E.E.: Du schreibst, „DAS KLEID“ hätte der dritte Teil der Folge die mit der Hibiskus blutet und Amerika give me a reason to love you, begonnen hatte, sein sollen. Aber der Rahmen ist scheinbar zu eng geworden, und das Projekt, das Thema hat den Raum von Bild und Schrift überschritten, ein neues Medium (der Film) und weitere Personen (die stickenden Frauen) sind hinzugekommen. Du selbst schreibst von deinem Hinausgehen in den gesellschaftlichen Raum.
E.M.: Das Buch "DAS KLEID" soll Band drei der Reihe werden. Diesmal mit Gemälden, mit einem Film, mit Photographien und einer Installation. Doch der rote Faden bleibt. Noch arbeite ich an der Finanzierung des Buchprojekts.
E.E.: Wenn du schreibst der Faden „vernäht, was auseinanderbrechen könnte [...] repariert, was sonst nicht funktionieren könnte“, zielst du wieder (wie in den Bildbänden) auf den doppelten Charakter ab; der Faden kann heilen und zusammenhalten, aber er kann auch gewaltsam zusammenfügen, was sich trennen will, und zurückhalten, festhalten, und damit verletzen. Die Frage, die deine Arbeiten stellen, lautet vielleicht nicht zuletzt: Wo haben wir (speziell als Frauen) den Faden selbst in der Hand, und wo stellen wir den Stoff bereit, auf den wir „die Gesellschaft“ ihre Muster applizieren lassen?
E.M.: Die Frauen haben auch privat die Fäden in der Hand. Besonders die geflüchteten Frauen lernen schneller Deutsch als Ihre Männer und knüpften rascher hilfreiche, soziale Kontakte. Die Unterdrückung der Frauen basiert m. E. auf der eigentlichen Angst der Männer, ihre Frauen zu verlieren, oder von ihnen abhängig zu werden. Der Mann fesselt die Frau mit ihrem eigenen Faden. Sie lässt es zu.Der Stoff ist das Leben, das wir in der Hand halten. Besticken müssen wir es selbst. Beim gemeinsamen Besticken des Stoffes werden Grenzüberschreitungen zur eigentlichen Herausforderung. Jede Stickerin muss zulassen können, dass auch andere Frauen in ihrem "Revier" kreativ arbeiten dürfen. Das war für viele nicht einfach. Das gemeinsame Besticken des Stoffs entwickelte eine politische Dimension. Das Nebeneinander der unterschiedlichen Motive entwickelte manches Mal Muster erfolgreicher Diplomatie.
E.E.: Noch einmal zum Anfang unseres Gesprächs: als du von Deiner Abschlussarbeit geschrieben hast, von den Hemden, die du für deine drei Brüder genäht hast, musste ich unwillkürlich an ein Märchen denken, jetzt ist mir endlich eingefallen, welches es ist. "Die sechs Schwäne" der Brüder Grimm. Auch da spielt der Faden eine wichtige Rolle und das Nähen ist ein stiller, mutiger und entbehrungsreicher Vorgang, der gleichzeitig mit der Fertigstellung der Hemden den Gegenzauber gewährleistet.
E.M.: Es war meine erste Ausstellung in einer Galerie in der Nähe von Basel. Ich stellte neben den "Hemden“ vor allem expressive, schwarz-figurige Ölmalereien und Gouachen auf dünnem Kalk-Papier aus. Ich wollte mit meiner Kunst herausfinden, wer ich bin. Märchen wie "Die sechs Schwäne", das hast Du ganz richtig erraten, oder "Die sieben Raben" faszinieren mich. Auch das Märchen "Der gläserne Berg" liebe ich. Das Kleid spielt in diesem Märchen eine wichtige Rolle.
E.E.: Verwandeln uns Kleider auch? Das Tragen ebenso, wie die Verzierung derselben?
E.M.: Kleider sind mehr als nur Schutz vor Kälte und Sonne. Sie können eine symbolische Funktion (u. a. Totenhemd, Brautkleid, Priesterhemd) ausüben oder auf eine soziale und kulturelle Zugehörigkeit hinweisen. Unsere Kleidung ist immer Teil des Bildes, das wir oder andere von uns machen. Bei meinem Projekt „DAS KLEID" veränderten sich die Frauen im fertig bestickten Kleid. Sie wurden schweigsam und ihre Bewegungen verlangsamten sich. Ihr Auftritt bekam etwas Würdevolles, fast Majestätisches.
E.E.: Liebe Elisabeth, heute also, wie versprochen, die abschließenden Fragen. Ich bin Dir wirklich außerordentlich dankbar für das Gespräch, während dessen mir einiges klar geworden ist.
Ich mache mir jetzt seit geraumer Zeit Gedanken über deine Triologie, also die Bände „Der Hibiscus blutet“, „Amerika, give me a reason to love you“ und das abschließende Projekt „DAS KLEID“. Über diese Werke findet eine aufregende Entwicklung statt, von der Nabelschnur bis zum Weben eines gemeinsamen Kunstprojekts. Aber auch von den Verletzungen über die Aggressivität zur Heilung. Ich glaube es liegt eine Notwendigkeit darin, dass die vorhergehenden Bände Verletzungen zeigen, sowohl erlittene als auch zugefügte, dass eine sehr gründliche Auseinandersetzung mit Schmerz stattfindet. Denn Schmerz öffnet, und erst durch diese Öffnung kann es zur Heilung kommen, die Du ja wunderbar in Deiner letzten Antwort beschreibst, wenn die Frauen sich im fertig bestickten Kleid verändern und ihr Auftritt etwas Würdevolles, Majestätisches bekommt.
Ich fasse mein Verständnis des Projektes „DAS KLEID“ in ein paar Worten zusammen, bevor ich Dir einige abschließende Fragen stelle.
DAS KLEID setzt sich zusammen aus den Gemälden (keine Aquarelle diesmal, sondern Ölgemälde), der Performance, der Stickerei, einem Film und den Fotos der Frauen in den bestickten Kleidern.
Der 9 Minuten lange Film zeigt die Herstellung, den Prozess der gemeinschaftlichen Arbeit, unterlegt mit einer musikalischen Neuinterpretation des Volkslieds „Maikäfer flieg“.
Die Gemälde der Kleider sind der Ausgangspunkt des Projekts. Dabei stellt eine Frau, die ein bestimmtes Gewand trägt, die immer gleiche Ausgangssituation, die Basis der Gemälde dar, die Figur ist gesichtslos, variiert werden die Farben, die Formen der Kleider. So wird es möglich, dass allein das Kleid die Stimmung des Bildes bestimmt.
Zentral ist bei diesem Projekt die Zusammenarbeit von Frauen, die mit ganz unterschiedlichen Hintergrund für die gemeinsame Arbeit aufeinandertreffen. Die einzige Vorgabe für sie ist der rote Faden mit dem gestickt wird, und das rote Kleid, das jede Frau beim Sticken trägt. Alles andere, welche Motive die Frauen sticken, ob sei einander ergänzen, oder widersprüchliche, vielleicht nicht so einfach einfügbare Motive verfolgen, bleibt ihnen selbst überlassen. Verständigung findet vornehmlich über die Handarbeit statt.
Mit den Fotos der Frauen in den fertiggestellten Kleidern, werden die Stickerinnen selbst Teil der gemeinsamen Kunstgeschichte.
Dieses Projekt ist ein wirklich großartiger und würdiger Abschluss der Arbeiten, in denen der Faden zunächst eine subtile, nicht auf den ersten Blick wahrnehmbare Rolle spielt. In DAS KLEID wird noch einmal alles zusammengeführt; Kunst, Kultur und das, wovon diese Kunst erzählt, die Aufgabe und Möglichkeit der Kunst zu verbinden und Geschichten zu erzählen, zum Verständnis beizutragen, wird anhand der Performance ganz plastisch ausgeführt.
Wann hast du angefangen, dich mit den Verletzungen zu beschäftigen?
E.M.: Das Thema hat mich von Anfang an interessiert. Es ist der Schmerz, der uns durchs Leben führt.
E.E.: Wie wichtig ist dir, dass es bei dieser letzten, abschließenden Spielart des roten Fadens ausschließlich um Frauen geht?
E.M.: Frauen passen ins Konzept der Bildserie, bei der es sich um eine Variation einer weiblichen Figur als Gefäß oder Hülle handelt. Diese Bilder waren der eigentliche Ausgangspunkt des Projektes. Das Rot des Fadens passt zu den Frauen. Rot suggeriert Lebendigkeit, Liebe, Blut und Schmerz. Auch hätte ich die gläubigen, geflüchteten Musliminnen niemals mit fremden Männern an einen Tisch holen können.
E.E.: Kleidung markiert das Ende der Unschuld, den Anfang der Differenzierung.
Der Faden erinnert mich nicht zuletzt an das Netz der Spinne (als die Louise Bourgeois ihre Mutter dargestellt hat), diese Doppelnatur des Nährenden, Heimatgewebe und Falle.
Über Mutterbilder und männliche Aggression wird hier das Hinausgehen der Frau in den gesellschaftlichen Raum thematisiert, die Ermächtigung über ihre Erscheinung, sich zeigen und gleichzeitig sich mit anderen verbinden, dabei aber den eigenen Platz verteidigen, all das spielt eine Rolle. Und beides ist wichtig in dieser Formulierung, das Spiel, die Rolle ebenso wie die Ernsthaftigkeit des Ganzen.
E.M.: Danke, liebe Elke, ganz wunderbar formuliert.
Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben