Im Gespräch: Timo Brandt redet mit Marie Luise Lehner
Am 8. Februar ist dein Debütroman „Fliegenpilze aus Kork“ erschienen. Dort geht es um die Elemente einer Vater-Tochter-Beziehung und deren Entwicklung. Obwohl (oder: gerade weil) die Geschichte in einer sehr neutralen Sprache gehalten ist, wird schnell eine große Intensität spürbar. Wie kann es dazu, dass du dieses Buch geschrieben hast? Wie gingst du beim Schreiben vor?
Ich habe viele persönliche Gespräche zum Thema Kindheit, Mütter und Väter und Familienkonstellationen gehabt. Es ist ein Thema, dass für die meisten Menschen prägend, beeinflussend, schmerzvoll, intim, schön, wichtig, traurig und nicht wegzudenken ist. Ich habe auch viel über den Heimatbegriff nachgedacht. Zurzeit wird ja viel über „Heimat“ gesprochen. Am Tag, an dem wir gegen den Identitären-Aufmarsch in der Wiener Innenstadt demonstriert haben, habe ich sehr viel über meinen persönlichen Heimatbegriff nachgedacht. Es ist ein spannendes Wort, das es, soweit ich weiß, sonst in keiner Sprache so gibt und wird mit einem Ort assoziiert, an dem man die Kindheit oder Jugendzeit verbracht hat. Als Kind oder Jugendliche konnte ich aber einen Ort gar nicht so gut gesamtheitlich erfassen. Bis heute habe ich kein Gefühl für ganz Wien, obwohl ich einen großen Teil meiner Kindheit in Wien aufgewachsen bin und immer noch hier lebe. Heimat ist in Zwischenräumen und Beziehungen und Gerüchen und Geschmäckern und einzelnen Räumen oder Straßen oder Parks oder eben bei den Eltern.
Neben dem Schreiben beschäftigst du dich auch mit der Kunst des Films, hast bereits zwei selbstständige Filmprojekte „Nichts“ und „Kaugummizigaretten“ verwirklicht. Der letztere ist gerade fertig geworden. „Nichts“ ist auf den Video und Filmtagen in Wien, dem „Little Elephant Festival“ in Maribor, dem „Phoenix Film Festival“ in Melbourne und „Crossing Europe“ in Linz gelaufen. Du studierst seit 2016 auch auf der Filmhochschule. Was reizt dich an dieser Kunstform, worin liegt dein Ehrgeiz? Siehst du Verbindungen zu deinem Schreiben?
Ich möchte Geschichten erzählen. Als Jugendliche habe ich nicht nur geschrieben, sondern auch sehr viel fotografiert. Irgendwie bin ich gerade dabei da eine Brücke zu finden. Ich bin aber über das Hörspiel zum Film gekommen. Auf der Angewandten habe ich einen Kurs zum Hörspiel bei Robert Woelfl besucht. Mich hat das Medium sehr gepackt und mich hat fasziniert, dass ich, anders als in einem geschriebenen Text, Einfluss darauf haben kann, auf welche Weise etwas übermittelt wird. In einem Text kann ich einen Absatz machen oder eine halbe Seite frei lassen, aber ich weiß nicht, wie lange die Leserin oder der Leser diese Leere ansehen wird. Im Hörspiel kann ich eine Stille so lang dauern lassen wie ich will und das Publikum muss ihr zuhören.
Zum Thema: Das Hörspiel „Womit wir schlafen oder: wir ficken einen Staat“ wurde gerade vom Bayrischen Rundfunk gemacht und ist hier nachzuhören. Eine der Stimmen ist meine.
Im Film war es dann auf einmal möglich, etwas in der Stille zu erzählen, Menschen miteinander interagieren zu lassen, ohne dass sie miteinander reden. Darum ging es dann auch in „Nichts“, einem Projekt, das ich mit Freundinnen und Freunden (allesamt Laien) gemacht habe. Es handelt von einem Paar, das nicht miteinander spricht. Es liegen einfach unterschiedliche Möglichkeiten in beiden Genres und je mehr ich über beide erfahre, umso weiter möchte ich mich in ihnen bewegen. Schreiben werde ich aber immer, weil ich es muss, weil ich es brauche. Literatur ist wichtig. So wichtig für mich.
Gibt es ein Thema, über das du einmal wahnsinnig gerne einen Text schreiben würdest, aber du weißt bisher nicht, wie du es anstellen sollst?
Ich versuche immer wieder ohne „männliche“ oder „weibliche“ Pronomina zu schreiben. Es ist nicht einfach und man stößt schnell an Grenzen. Ich habe einmal einen Text über eine Person geschrieben, die ich immer beim Namen genannt, aber nie mit „er“ oder „sie“ kategorisiert habe. Das ist schwierig, weil sich dann Sätze wie „Sie erzählt mir über ihre Mutter“ zum Beispiel nicht mehr schreiben lassen. In dem Projekt, an dem ich gerade arbeite, spielt eine Person eine große Rolle, die nur mit „Du“ angesprochen wird. Das ist eine andere Möglichkeit, die weniger schwierig ist als das vollkommene Weglassen von Fürwörtern. Was mich auch interessiert ist das Beschreiben von Sex, ohne ihn dabei zu ästhetisieren, Klischees auftreten oder eine Sinnleere entstehen zu lassen.
Wenn es eine bekannte Persönlichkeit gäbe (nicht zwingend ein/e Autor/in; nicht zwingend real), mit der du einfach so auf einen Kaffee oder ein Bier gehen könntest – wer wäre das?
Die Fotografin Nan Goldin, die Autorinnen Aglaya Veteranyi und Sarah Kane und die Musikerin JD Samson. Ich würde mit allem Bier trinken. Ich hoffe, das sind nicht zu viele?
Was würdest du antworten, wenn man dir vorwerfen würde, nicht politisch genug in deiner Kunst zu sein?
Eine Frau, die Kunst macht, ist immer politisch. Als Frau in der Öffentlichkeit zu stehen, zu publizieren, zu musizieren und Filme zu machen, eine Feministin zu sein, auf Demonstrationen zu gehen, ist politisch. Sich mit Gender, LGBTQI* Fragen und dem eigenen Körper in der Gesellschaft auseinanderzusetzen ist es auch. Ich nehme mich als politischen Menschen wahr und ich denke, dass ist auch in der Kunst, die ich mache, zu spüren.
An was schreibst/arbeitest du zurzeit?
Gerade schreibe ich an einem Romanprojekt, dass auch meine Bachelorarbeit auf der Sprachkunst ist. Der Arbeitstitel ist „Zeichensprache“. Es ist vielleicht eine Liebesgeschichte und handelt von subjektiven, vorgestellten und realen Wahrnehmungen.
Wie kam es dazu, dass du Autorin wurdest? Wie lange steht für dich schon fest, dass Schreiben das ist, was du tun willst/musst?
Ich habe sehr spät gelernt zu schreiben. Ich bin Legasthenikerin und konnte es erst mit acht Jahren. Davor habe ich meiner Mutter Texte vorgesagt, die sie für mich aufschreiben sollte. Als ich endlich selbst schreiben konnte, habe ich Geschichten aufgeschrieben, die ich wieder und wieder abgeschrieben und illustriert habe. Eine Weile habe ich als Kind skurrile, gereimte Gedichte geschrieben. Später Prosa. Mit 16 habe ich zwei Literaturpreise, den Kolik Preis und den Preis der Oberösterreichischen Nachrichten gewonnen. Ich habe dann ein Jahr lang eine Kolumne für die Zeitung geschrieben. Das war zwar keine Prosa, sondern Pseudojournalismus, aber das war der Moment, in dem ich begonnen habe, das eigene Schreiben ernst zu nehmen. Leute haben mich auf meine Texte angesprochen und ich habe damit Geld verdient: Pro Kolumne doppelt so viel wie mit einer durchkellnerten Nacht. Das Kellnern habe ich auch mit 16 angefangen. Mit 17 habe ich mich dann für Sprachkunst an der Angewandten beworben. Ich dachte zu dem Zeitpunkt nicht, dass ich die Aufnahmeprüfung bestehen würde und musste das Studium um ein Jahr nach hinten verschieben, weil ich meine Matura noch nicht hatte. Jetzt, wo das Buch da ist, traue ich mich das erste Mal „Ich bin Autorin“ zu denken. Bevor ich aber auf die Frage, was meine Arbeit ist „Autorin“ antworten kann, wird wohl noch Zeit verstreichen. Ich hab ziemlich viel Respekt vor Autorinnen.
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