Interview

Im Gespräch: Timo Brandt redet mit Jakob Kraner

Wenn du die Hauptthemen, um die dein literarisches Schaffen kreist, benennen müsstest, wie würden sie lauten? Gibt es formelle Gesichtspunkte, nach denen sich dein Schreiben immer richten wird?

Wenn ich darüber nachdenke, stelle ich fest, es geht bei meinem Schreiben um Fremdheit, um das Nicht-zu-Hause-Sein. Ich merke immer erst, wenn ich etwas fertig gemacht habe, dass es schon wieder um dasselbe ging. Ich meine das aber nicht irgendwie migrantisch, sondern innerseelisch. Es geht um die Tatsache, dass wir alle aus fremdem Material bestehen und um die Notwendigkeit sowie die Angst, dass dieses Fremde das Eigene wird. Unser psychischer Apparat ist gebaut aus den Forderungen anderer, unsere Entäußerungen können nur in Form von Sprache oder anderen symbolischen Ordnungen geschehen, die immer etwas Äußerliches bleiben, nie ganz wir selbst sind. Wir entkommen dem Fremden in uns selbst nicht. Dann gibt es uns als zuckenden, realen Brocken Fleisch und man würde meinen, das ist ja echt und das sind wirklich wir, aber wenn der mal auftaucht, dann bekommen wir es erst richtig mit der Angst zu tun. Es ist ein Trauerspiel. Natürlich weiß ich, dass es Hoffnung gibt, aber ich muss mich in der Kunst in dieser furchtbaren Grundtatsache des Menschseins aufhalten, alles andere fühlt sich falsch an. Parallel dazu habe ich das künstlerische Ziel, größtmögliche Seltsamkeit zu erzeugen. Sie brennt mir einfach auf den Nägeln und ich weiß nicht, was sie ist, wann genau sie auftritt, aber wenn ich es schaffe, sie in einem sprachlichen Bild zu bannen, dann weiß ich, ich bin am richtigen Ort.

Wenn es eine bekannte Persönlichkeit gäbe (nicht zwingend ein/e Autor/in; nicht zwingend real), mit der du einfach so auf einen Kaffee oder ein Bier gehen könntest – wer wäre das?

Tatsächlich denke ich da zuerst eher an Musiker als an Autoren. Ich würde gern die inzwischen beide verstorbenen Peter Christopherson und John Balance von Coil treffen, weil sie mit ihrer Musik ziemlich genau die Welt bauen, die ich mit dem Schreiben bauen möchte. In ihren Liedern erzeugen sie eine enorme Intensität, bestenfalls eine Art Gehirnflash, eine plötzlich Entrücktheit, eine Mischung aus Staunen und Erschrecken über die Welt, weil sie mit einem Mal nicht mehr gewohnt erscheint, sondern ganz und gar eigenartig. Ich suche immerzu nach Sätzen, die auch diese Wirkung haben. Das ist die erwähnte Seltsamkeit. Vielleicht auch Nick Cave, wegen des Pathos. Ich bin ja sehr allergisch gegen Kitsch, aber mit dem caveschen Kitsch konnte ich immer. Darüber habe ich mich selbst gewundert, bis mir klar wurde, dass er durch eine Ästhetik von Lärm, Dunkelheit und Zerstörung dorthin gelangt ist und das ist spürbar, auch wenn man sein Frühwerk nicht kennt. Deshalb ist sein Pathos für mich wahrhaftig, also eben kein Kitsch. Das gefällt mir, weil ich in meiner „Szene“ immer noch diesen umherschwebenden Imperativ der Vermeidung von Pathos und großen Gesten zu spüren glaube, aber eigentlich will ich schon das ganz Große und mich interessiert, wie das geht. Dann vielleicht noch Mr. Spock aus Star Trek, den emotionslosen Vulkanier, noch dazu ein Halbblut, zwischen zwei Welten schwimmend. Einfach deshalb, weil er für mich als Kind das role model schlechthin war und diese Tatsache zu ergründen würde mir sicher einiges über mich selbst offenbaren.

Was würdest du antworten, wenn man dir vorwerfen würde, nicht politisch genug in deiner Kunst zu sein?

Was heißt politisch sein? Es widerstrebt mir, meine Kunst in den Dienst irgendeines politischen Standpunktes zu stellen, weil ich für mich die politische Funktion der Kunst anderswo sehe, nämlich darin, den Menschen und seine Überzeugungen in ihrer Widersprüchlichkeit zu entblößen. Das ist für mich die wahre Bedeutung des Satzes, dass man immer widerständig bleiben soll. Widerständig nämlich in Bezug auf sich selbst und die eigene Verführbarkeit. Nicht aufhören, aufzuzeigen, wie brüchig, widersprüchlich und von völlig paradoxen Faktoren beeinflusst die eigenen Überzeugungen sind. Und das nicht, um sie zu diskreditieren, sondern weil ich glaube, dass das das beste Mittel gegen totalitäre Tendenzen ist. Es heißt nämlich, nicht zuzulassen, dass sich irgendein System von Anschauungen schließt und unangreifbar wird.

Man würde mir, um auf die Frage zurückzukommen, wohl vorwerfen, dass es bei mir nicht um aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen geht, sondern dass meine Texte um das Individuum, die eigene Seele, schlimmstenfalls um Befindlichkeiten kreisen. Und da würde ich antworten, dass aus diesen Seelen ja die Gesellschaft besteht und dass es da einige Arbeit zu verrichten gibt, die nicht offenkundig politisch ist, aber ins Politische hinein ausstrahlt und deshalb wichtig ist. Vielleicht gerade deshalb, weil es oft einen Abstand braucht, das Ausweichen auf eine andere Ebene, um reale Probleme zu klären. Darüber hinaus würde ich sagen, dass mir niemand vorzuschreiben hat, worum es in meiner Kunst gehen soll. Wenn es denn um offenkundig Politisches gehen soll, dann finde ich es wichtiger, Paradoxien aufzuzeigen und das Publikum und mich selbst kalt zu erwischen, als Kampf-Slogans zu schreien oder zumindest sehe ich mich einfach eher dort. Diesen Ansatz habe ich mit Matthias Vieider beispielsweise in „think feminist, act sexist“.

 

 

An was schreibst/arbeitest du zurzeit?

Ein Projekt, das ich schon lange herumtrage und das nächstes Jahr veröffentlicht werden soll, ist die Kosmologie, eine Art Welterklärung. Hauptakteure sind die Fläche, das Rohr und das Knäuel. Mithilfe dieser abstrakten Figuren kann ich diverse witzige und zugleich schauerliche Metaphern auf das Menschsein und die Gesellschaft basteln. Es soll aber auch eine sinnliche, alien-artige Welt für sich bleiben, die sich nicht gänzlich im Symbol-Sein erschöpft. Das Ganze ist kombiniert mit Zeichnungen und Prosaminiaturen. Sehr experimentell und etwas schwierig. Deshalb fing ich dann allerlei anderes an. Momentan habe ich noch ein zweites Projekt. Eine Sammlung von Miniaturen mit dem Titel „Vom hämisch-heiseren Lachen“. Ich habe auch noch einen angefangenen Roman herumliegen, in dem ein paar Leute einen religiösen Kult rund um Radioaktivität aufbauen, aber er zündet nicht so richtig und liegt schon länger auf Eis. Wie man sieht, fällt es mir schwer, Dinge fertig zu machen.

Wie kam es dazu, dass du anfingst zu schreiben? Wie lange steht für dich schon fest, dass Schreiben das ist, was du tun willst/musst?

Ich weiß nicht, warum ich schreibe, ich weiß nur, dass es mich beruhigt, dass es fast das einzige Mittel ist, mich aus Nervosität und Unvollständigkeit zu befreien und dass ich es trotzdem viel zu selten tue. Ich würde jetzt gerne von einem großen Erweckungserlebnis sprechen und von einem Feuer, das ich immer schon gespürt habe, aber so ist es nicht. Mich hat eigentlich jede Art von Kunst interessiert und ich weiß schon lange, dass ich mich irgendwie an der Eigenartigkeit des Auf-der-Welt-Seins abarbeiten muss, weil es sonst einfach unerträglich ist. Leider bin ich unglaublich gut im Aufschieben und neige zur Faulheit. Auf diese Weise herumschwimmend landete ich beim Schreiben. Ich habe es so nebenbei gemacht, wie viele, mein Vater hat dann in meiner Jugendzeit begonnen, Schreibwerkstätten zu organisieren, durch die auch ich Inputs bekommen habe, und dann erschien es mir als keine blöde Idee, mich am Institut für Sprachkunst zu bewerben, als es gegründet wurde, da war ich 23. Seitdem bin ich ernsthaft dahinter.

Gibt es ein Thema, über das du einmal wahnsinnig gerne einen Text schreiben würdest, aber du weißt bisher nicht, wie du es anstellen sollst?

Es gibt da eine sehr schöne Frau, über die ich schon lange schreiben will, aber ich weiß nicht wie. Überhaupt ärgert es mich, dass es mir nicht gelingt, über das Schöne zu schreiben. Ich will einmal einen Text schreiben, wie Sorrentinos Film „La Grande Bellezza“, aber ich kann es einfach nicht.

Arbeitest du manchmal transdisziplinär, verknüpfst deine Texte mit visuellen oder auditiven Elementen? Oder würdest du es gerne einmal tun? Was könntest du dir in dieser Hinsicht vorstellen?

Ich habe mit Matthias Vieider das Duo VIEIDER/KRANER gegründet, mit dem wir uns  zum Ziel gesetzt haben, Literaturperformances zu machen, also Aufführungen, in denen der Text zwar im Zentrum steht, aber andere Medien und Sinnesreize dazukommen. Bisher haben wir hauptsächlich mit Video gearbeitet. Auch solo habe ich schon Diverses probiert, z.B. meine eigenen Sätze zu loopen oder meine Stimme zu verfremden. Ich mag die klassische Lesung und ich mag den puren Text, aber gelegentlich will ich einfach mit mehr arbeiten, mehr Fleisch. An dem Vorwurf, dass sich durch derlei Spielereien gut die Langweiligkeit und Leere eines Textes überdecken lässt, ist leider etwas dran. Man kann tatsächlich durch die Steigerung und Vervielfältigung der Reize sehr schnell eindrückliche Effekte erzielen, ohne dass viel dahinter sein muss. Es ist so eine Sache. Es ist mir ein Anliegen, die völlig „bedeutungslose“ Ebene der Sinnlichkeit nicht aus den Augen zu verlieren, z.B. das Geräusch eines durchfahrenden Güterzuges einfach um seiner selbst willen zu genießen, und diese Ebene auch in der Kunst stark zu machen und miteinzubeziehen. Auch sprachintern – Sätze, die nicht verstehbar sind, die nichts beschreiben, aber trotzdem wirken. Ich glaube, dass diese Reize, diese unmittelbaren Wirkungen allein nicht ausreichen, aber man soll mit ihnen arbeiten. Auf die Gefahr hin, altmodisch zu sein, denn Adorno ist wahrscheinlich altmodisch, aber ich glaube einfach an die Notwendigkeit einer inneren Logik des Kunstwerks. Dass der Effekt allein zu wenig ist, sondern alle Elemente von einer Logik getragen sein sollen, die der bekannten Logik der Welt entgegensteht, was natürlich nicht heißt, dass diese Logik logisch sein oder in Worten fassbar sein muss, vielleicht beides gerade nicht! Das heißt nun auch, dass die transdisziplinären Elemente niemals nur den Text illustrieren oder einfach so nebenher laufen dürfen. Ich würde gerne einmal mit Tanz als zusätzlichem Element arbeiten, aber habe es bisher noch nicht geschafft.

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