Interview

Im Gespräch: Timo Brandt redet mit Sofie Lichtenstein

Seit 2015 betreust du zusammen mit Moritz Müller-Schwefe den SuKuLTuR-Verlag und die Reihen „Schöner Lesen“ und „Aufklärung & Kritik“ sowie die Lesereihe „Automatendichtung“. Bist du gerne als Herausgeberin von Texten tätig? Wie würdest du deine bisherigen Erlebnisse mit der administrativen Arbeit zusammenfassen?

Hallo, my dear. Die Frage ist leicht zu beantworten: Ja, ich bin gerne Herausgeberin von Texten; einfach, weil ich in der glückseligen Position bin, denjenigen Manuskripten Präsenz zu verschaffen, die etwas wollen und/oder eine eigene Stimme – so wie Beethoven und Freddie Mercury sie hatte oder Saramago und Kundera oder Picasso und van Gogh – erkennen lassen; die ich auch aus sieben mal siebzig Lichtjahren Entfernung identifizieren und ihren Urheber_innen zuweisen kann – ohne dass sich irgendwelcher Taschenspieler_innentricks bedient wurde; an die ich selbst, als Mensch und als Leserin, rankomme, weil sie etwas in mir ansprechen, das mir gar zu vertraut ist, geistig, emotional, sprachlich. Es geht dabei also nur um mich.

Darüber hinaus habe ich jetzt auch die, ja, man kann sagen: Macht sozial und politisch im größeren Umfang zu wirken, was ich auch wieder und wieder umzusetzen versuche. Zum Beispiel ermutige ich vor allem diejenigen Autor_innen, etwas bei mir einzusenden, die nicht dem Typus weißer, heterosexueller Mann entsprechen oder durchakademisiert sind oder in den vielfachen Genuss von Spitzenförderungen gekommen sind – weil sie sich ganz toll in der Wettbewerbskultur der Literatur durchgesetzt haben – oder, oder.... Darüber hinaus bemühe ich mich auch, bekannte Stimmen in unsere Reihe Aufklärung & Kritik aufzunehmen. Das erweist sich bislang aber noch als sehr schwierig, weil besagte Stimmen wahnsinnig vereinnahmt sind von anderen Projekten. Um ein Beispiel zu nennen: Die von mir sehr geschätzte Autorin Margarete Stokowski wollte mal ein Heft mit uns machen; da sie allerdings nach dem Schreiben von „Unterum frei“ völlig ausgelaugt war, hat sie uns absagen müssen. Ich erwähne das jetzt übrigens nur in der Hoffnung, dass Margarete Stokowski das liest und angetriggert wird, doch noch mal mit mir wegen eines Beitrages zusammenzukommen.

Du hast die Schule nach der elften Klasse verlassen und das Abitur abgebrochen. Wie hast du dir damals deine Zukunft ausgemalt, welche Perspektiven hast du gesehen? Hat das Schreiben damals schon eine Rolle in deinem Leben gespielt?

Ich brach die Schule zu einem Zeitpunkt ab, als ich familiär eine sehr, sehr schlimme Krise durchmachte und als Folge dessen psychisch kollabierte. Kurz bevor ich das Abi abbrach, fing ich an, eine Teeniegeschichte zu schreiben, über Drogen und Berlin und so'n Unsinn. Es war eine Zeit, (März/April 2007) in der ich vorübergehend kein Internet hatte. Das war überaus problematisch, weil ich am WorldWideWeb bereits so sehr hing wie meine postpubertären Protagonisten an der Nadel. Also schrieb ich als Ersatzhandlung meine Fantasien auf. Da ich sehr lange aufs Internet verzichten musste, war bald ein Manuskript fertigt. Bis dato hatte ich noch nie etwas zu Ende geschrieben, geschweige denn gebracht. Meine Mutter fing gleich an, mich anzustacheln von wegen Verlage usw... da ich schon von klein auf fame wollte, war ich selbstredend sofort begeistert von der Idee. Eine Vision, die mich in meinen Anfangsjahren begleitet hat: eine hochgeachtete, legendäre Schriftstellerin zu werden, die von einem Haufen Speichelleckern umgeben ist; die der Welt ein Neues Wort gibt, so wie Michael Jackson der Welt ein neues Wort gegeben hat, als er mit einem Haufen Statisten in Zombietracht einen Tanz ohnegleichen tanzte und die Zeit anhielt; und immer noch anhält, du musst dir bloß das Video anschauen, dann weißt du, was ich meine.

Ich habe immer daran geglaubt, ganz groß zu werden. Eine Prognose, die witziger Weise auch von anderen geteilt wurde. Dieser Zukunftsglaube war es auch letztlich, der mir den Mut brachte, mich auf eine Odyssee der Selbstfindung, im Sinne eines Widerstands, zu begeben. Gleichzeitig war es aber auch eine Realitätsflucht, ich habe mich meinen Ängsten nicht gestellt und ließ mich von anderen, insbesondere meiner Schwester, jahrelang aushalten. Mittlerweile habe ich mich von der vermeintlichen inneren Notwendigkeit, eine reine Schreibexistenz zu führen, emanzipiert und mache gerade das Abi nach. Einmal, weil ich eine erwachsene Frau geworden bin, ein andermal, weil ich es wichtig finde, sich auch auf andere Erfahrungen und Realitäten einzulassen. Kauzigkeit fand ich noch nie reizvoll, eher enervierend.

Wovon wünschst du dir mehr/weniger in der Gegenwartsliteratur? Welche Themen(-felder) und Aspekte sind deiner Meinung nach in der zeitgenössischen Literatur und/oder im aktuellen literarischen Diskurs unterrepräsentiert?

Weniger: Unfertige Manuskripte von Jungautor_innen, die von Lektor_innen großer Publikumsverlage für den Druck freigegeben wurden und werden; schlecht geplottete und sprachlich dürftige Coming-of-Age-Geschichten; anämische Bücher; Romane von Deutschen, die aus der Perspektiven von Geflüchteten geschrieben sind, als bräuchte es diese erretterhafte Herablassung und Anmaßung der Aneignung wirklich, als gäbe es nicht genug Autor_innen, die selbst betroffen sind darüber schreiben könnten; Einheitsbrei – ist hierzulande gerade der letzte Schrei. Schlecht lektorierte Bücher.

Mehr: Sprachverliebtes, das sich in der Diversität von Stilen innerhalb eines Werkes ausdrückt; generell Texte, die sprachlich besser, konsequenter und schlüssiger konzipiert sind bzw. überhaupt ein Konzept vorweisen können; ein_e Erzähler_in, die nicht in der Mann-Frau-Dichotomie verortet ist – weil ich nichts dergleichen bisher gelesen habe (was aber natürlich nicht bedeutet, dass es grundsätzlich nicht existiert), musste ich so ein Buch kurzerhand selbst schreiben (versuch das aber mal einen Verlag schmackhaft zu machen. Er wird davor zurückschrecken, weil er seinem Publikum nichts zutraut); Romane mit gegenderter Sprache; absurder Humor; guter Humor; Fäkalhumor; mehr niedliche Tierbilder.

Im August 2015 erschien im SuKuLTuR Verlag die Erzählung „Spontaner Trip nach Sachsenhausen“, eine polyphone Erzählung, in der eine Schulklasse in ein Konzentrationslager fährt und diese Handlung quasi als Ausflug, als Spaß, betrachtet? Gab es einen konkreten Auslöser für den Text? Würdest du sagen, dass es dir in diesem Text auch um eine Provokation geht?

Die Shoah ist ein Thema, das mich bereits seit meiner Kindheit umtreibt. Seit jeher gibt es so eine unermessliche Faszination und eine starke Empathie, die mich immer wieder zur intensiven Auseinandersetzung antreiben. Bis zur Pubertät habe ich ernsthaft geglaubt, dass der Holocaust etwas sei, das ausnahmslos alle Deutschen interessieren würde. Als ich dann allerdings eine Exkursion zur KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen gemacht habe, wurde ich eines Besseren belehrt. Meine Freunde haben sich gelangweilt und herumgealbert. Andere Klassen verhielten sich sogar regelrecht geschmacklos und tobten, um ein Beispiel zu nennen, im Leichenkeller herum. Es ist in den Gedenkstätten ein wenig so, wie wir es spätestens seit Shahak Shapiras vielbeachteter Yolocaust-Webseite kennen. Den Menschen fehlt entweder der Bezug zu diesen Verbrechen, die Einsicht, damit konfrontiert zu werden („Es muss ja irgendwann mal genug sein“) oder das Taktgefühl, sich in bestimmten Situationen und Settings zurückhaltend zu verhalten. Der Titel meines Heftes rührt übrigens daher, dass ich 2010 bei Facebook einmal ein Fotoalbum mit Handy-Aufnahmen des KZ-Geländes hochgeladen habe. Der Albumname lautete „Spontaner Trip nach Sachsenhausen“, da ich einen Tag vorher ganz „spontan“ mit meinem Vater ins ehemalige Lager gefahren bin. Völlig unbedacht und dämlich. Ein Freund schrieb recht bald in einem Kommentar so etwas wie „sehr guter Titel“. Und dann dämmerte es mir erst mal. Anfang 2015 kam mir das dann wieder in den Sinn, und so schrieb ich eine Geschichte, die am Beispiel einer Schülerexkursion die gegenwärtige Shoah-Gedenkkultur reflektiert – wie es auch bei Lovelybooks heißt; ich schrieb mithin also über etwas, das mir sehr wichtig war.

Vergleichst du deine literarische Arbeit oft mit der von anderen? Wie wichtig ist dir, dass etwas rezipiert wird, das du geschrieben hast?

Zur ersten Frage: Klar, ich bin entweder ein brünstiger Neidhammel oder kriege einen kognitiven Kollaps, weil ich nicht kapiere, warum manche Texte hart gefeiert werden. Zur zweiten: Natürlich ist mir das wichtig, denn ohne Rezeption kein fame. Und ich will ja fame, weil ich berühmter als die Pyramiden werden möchte.

In welcher literarischen Form fühlst du dich am wohlsten? Arbeitest du viel mit Notizen?

Prosa, die mit reichlich direkter Rede gespickt ist. Gegenwartslyrik ist mir größtenteils zu chiffriert. Und nein, Notizen, Himmel, auf was für Ideen kommst du Bürschchen denn. Ich habe lieber geniale Einfälle, um sie kurz darauf wieder zu vergessen.

Wenn du dir eine Schlagzeile für die morgigen Zeitungen wünschen könntest, wie würde sie lauten?

Um den Schlagzeil-O-Mat zu bemühen: „Sex-Domina frisst Hartz IV“
wahlweise auch: „Geheim-Auto schockt Knacki.“

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