weitere Infos zum Beitrag
Kolumne
Helau
Meine katholische Freundin erzählte mir neulich abend, daß sie nicht besonders gute Erinnerungen an Fasching habe. Schon als Kind hatte sie sehr schlechte Augen und mußte eine riesige Hornbrille tragen, die es möglich gemacht hätte, zum Fasching als Woody Allen zu gehen. Sie wollte aber nicht als Woody Allen gehen, sondern als Prinzessin. Sie stand vorm Spiegel und sagte traurig: Eine Prinzessin hat keine Brille. Und dann sei sie als Gelb gegangen.
„Wie? Als Farbe? Gott, wie alt warst du?“
„Neun.“
Ich fragte mich nun ernsthaft, wie man mit neun auf die Idee kommt, als Gelb zu gehen? Das ist doch bedenklich. Meine Freundin sagte: „Wenn du gelb bist, dann ist auch die Brille egal.“ Sicher, da ist was dran. Aber trotzdem, wie sieht das aus, nur mal rein praktisch gesehen, wenn man sich als Gelb verkleidet. Sehr gelb vermutlich. Aber das meine ich nicht. Was sind das für Kleidungsstücke, die, außer der Tatsache, daß sie gelb sind, noch auf den Umstand verweisen, daß man als Farbe zum Fasching kommt? Als eine entpersönlichte Eigenschaft von Dingen. „Ach wahrscheinlich ganz normale Sachen, ein gelber Pullover, eine gelbe Strumpfhose“, sagte meine Freundin. Die Antwort fand ich nicht befriedigend. Und wenn schon eine Farbe, wieso ausgerechnet gelb? Gelb hat nun wirklich keinen guten Ruf in unserer Geschichte. Der Judenstern war gelb. Gelb gilt als Farbe des Neids. Gelb ist allgemein verbreitet als Warnsignal. Zum Beispiel ein Totenkopf auf gelbem Grund. Diese Farbwahl sollte man mal tiefenpsychologisch untersuchen lassen, dachte ich, und sah meine Freundin an, liebevoll und etwas mißtrauisch. Ich nahm sie in den Arm, dann küßte ich sie und schaltete das Licht auf schummrig.
„Soll ich dir noch was verraten“, sagte sie.
„Mhm“, brummte ich.
Zum katholischen Gemeindefasching sei sie mal als schlechtes Gewissen gegangen. Dafür habe sie sich einen Buckel gebastelt. Und auch sonst habe sie sich schön verhäßlicht. Als sie durch den Saal ging, hätten alle sehr mitleidig geschaut, weil sie dachten, der Buckel sei echt. Und zum Studentenfasching, während sich die Mädchen schmuck gemacht haben, mit Netzstrümpfen und tiefen Ausschnitten, habe sie sich als gesprengter Chemiker verkleidet.
„Das ist aber nicht gesund“, sagte ich und ging in die Küche. Eine Flasche Wein holen. Wir konnten ein Schlückchen gebrauchen. Was waren eigentlich meine Faschingsverkleidungen gewesen? Ich überlegte. Das Übliche natürlich, wenn man Junge ist: Cowboy, Pirat. Und dann wollte ich immer einen Bart haben. Am liebsten einen zum Ankleben. Mir wurde aber nur ein kleiner Schnurrbart aufgemalt. Damit sah ich wieder nicht aus wie ein Pirat, sondern immer noch wie Christian. Es gibt irgendwo Fotos von mir. Darauf bin ich entweder mit Cowboyhut zusehen oder mit Augenklappe, hatte entweder einen Säbel in der Hand oder eine Pistole, und schaute sehr ernst. Clown wollte ich nie sein. Zum Kasper machte ich mich schon oft genug. Nie hätte ich eine rote Nase aufgesetzt. Ich hatte schon eine rote Wange, ein sogenanntes Feuermal, so was ähnliches wie Gorbatschow auf dem Kopf. Das habe ich immer noch. Seit sich bei mir die männliche Körperbehaarung durchgesetzt hat, trage ich allerdings einen echten Bart, genau über dem Feuermal. An anderen Stellen bin ich auch ziemlich behaart. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich entkorkte die Flasche. „Wunsch, Indianer zu werden“, heißt doch ein Text von Kafka. Indianer wollte ich ebenfalls nie sein. Allerdings aus naheliegenden Gründen. Ich war schon an den anderen Tagen des Jahres eine Rothaut. Im Studium bin ich einmal zum Studentenfasching gegangen. Da trug ich bereits einen Vollbart. Ich lieh mir eine Pfeife und eine Kapitänsmütze und ging als Seebär. Ich wurde aber die ganze Zeit Karl Marx gerufen. Im Laufe des Abends tanzte mich eine dicke Studentin an. Ich konnte nicht ausmachen, als was sie gekommen war. Geschminkte Seekuh wahrscheinlich. Sie zog an meinem Bart, weil sie nicht glaubte, daß der echt sei. Sie trank dann soviel, daß sie irgendwann vor dem Klo lag. Mit einem Kommilitonen schleppte ich sie ins Wohnheim und dann war ich endgültig von Fasching kuriert.
Ich nahm zwei Weingläser, die Flasche Rotwein und ging zurück ins Wohnzimmer.
„Du, im Fernsehen läuft gerade Mainz wie es singt und lacht“, sagte meine Freundin.
„Wo ist Al-Qaida, wenn man die mal braucht. Mainz wie es singt bis es kracht.“ Ich wühlte in den CDs.
„Wie wärs mit Kind of Blue“, sagte sie.
Ich legte die Scheibe in den CD-Player.
„Du gingst als Gelb, ich als Rothaut, auch wenn ich Cowboy oder Pirat war. Fasching ist doch Scheiße!“
„Ach Christian. Wir hätten uns früher kennenlernen sollen.“
„Und dann?“
„Wir hätten etliche Kinder und könnten als Farbkreis zum Fasching gehen.“
„Eh, ich bin doch hier der Kolumnist.“
„Gönn mir auch mal ne Pointe. Viele Ideen hast du schließlich von mir.“
„Du meinst wie Brecht von seinen Frauen.“
„Mit dem Unterschied, daß du kein Brecht bist.“
„Vielleicht liegt das ja an deinen Ideen.“
Sie piekste mich in die Seite. Ich rief: „Aufhören, aufhören“. Als ich mich wieder beruhigt hatte, fragte ich: „Hast du nie mehr den Wunsch gehabt, Prinzessin zu sein?“ Sie nahm einen Schluck Wein und sagte: „Manchmal schon.“ Und ich kratzte nun den ganzen mir zur Verfügung stehenden Charme zusammen und versuchte, ohne Ironie in der Stimme zu sagen: „Jetzt bist du eine.“