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Essay
Heinrich Heine - Erfinder der modernen Liebe
Über Heinrich Heines erste Liebe gehen die Ansichten weit auseinander; einig sind sich alle Forscher mit dem Dichter, dass sie unglücklich war. Dass es überhaupt zu näherem Kontakt mit Kusine Amalie kam, ist unwahrscheinlich; gesehen haben sich die beiden nur über wenige Wochen. Der Neunzehnjährige warb in Hamburg vergeblich um die reiche Erbin. Das soziale Elend, das diese unglückliche Liebe auch ausmachte, taucht in immer neuen Bildern des buchstäblich,räumlich Ausgeschlossenen auf, der im Schatten seine hell strahlende, von gesellschaftlichem Glanz erleuchtete Liebe anbetet: Sie haben heut Abend Gesellschaft, / Und das Haus ist lichterfüllt. / Dort oben am hellen Fenster / Bewegt sich ein Schattenbild. // Du schaust mich nicht, im Dunkeln / Steh ich hier unten allein; / Noch wen'ger kannst du schauen / In mein dunkles Herz hinein. // Mein dunkles Herze liebt dich, / Es liebt dich und es bricht, / Und bricht und zuckt und verblutet, / Aber du siehst es nicht.
Eine Heirat mit Amalie hätte den armen Vetter mit einem Mal herausgehoben aus finanzieller Abhängigkeit und berechtigten Zukunftsängsten, hätte den gesellschaftlich und ökonomisch schwankenden Boden, auf dem dieser Sohn eines glücklosen Düsseldorfer Tuchhändlers und einer ehrgeizigen Arzttochter seinen Lebenslauf beginnen musste, mit einem Schritt erhoben und befestigt. So sah es allerdings auch der Schwiegervater in spe, Salomon Heine, der vermutlich einiges daran setzte, die beiden nach Möglichkeit zu trennen - schließlich sollte für seine Töchter (möglicherweise verliebte sich Heine später auch in Therese, wenn nicht, wie in der Heine-Forschung hie und da angenommen, gleich der Reihe nach in alle vier) eine Partie gemacht werden: "In ihrer Nähe sein", schrieb Heine an den Freund Sethe im Herbst 1816, "und doch ewig lange Wochen nach ihrem alleinseeligmachenden Anblick oft vergebens schmachten, u - u - und - und - O! - O! - O Christian! da kann auch das frömmste und reinste Gemüt in wilder wahnsinniger Gottlosigkeit auflodern." Unwahrscheinlich ist allerdings auch, dass Heine bei mehr Gelegenheit sein Glück hätte erwerben können: Seine Liebesgedichte hat Amalie, die fünf Jahre später einen ostpreußischen Gutsbesitzer heiratete, "bitter und schnöde gedemütigt". Und mehr als Gedichte hatte er damals nicht. (Viel mehr sollte es auch nie werden. Es kam noch Prosa hinzu.)
Im nächtgen Traum hab ich mich selbst geschaut, / In schwarzem Galafrack und seidner Weste, / Manschetten an der Hand, als gings zum Feste, / Und vor mir stand mein Liebchen, süß und traut. // Ich beugte mich und sagte: "Sind Sie Braut? / Ei! ei! so gratulier ich, meine Beste!" / Doch fast die Kehle mir zusammenpreßte / Der langgezogne, vornehm kalte Laut. // Und bittre Tränen plötzlich sich ergossen / Aus Liebchens Augen, und in Tränenwogen / Ist mir das hohe Bildnis fast zerflossen. // O süße Augen, fromme Liebessterne, / Obschon ihr mir im Wachen oft gelogen, /Und auch im Traum, glaub ich euch dennoch gerne! Der frühe Dichter träumte und schrieb Sonette, und Tod und Hochzeit schoben sich in fast allen Gedichten zusammen. Man kann das als lyrischen Ausdruck der Hoffnungslosigkeit dieser Liebe deuten, als einen Hinweis auf die jugendliche Schwermut des Verfassers oder als eine Aggression gegen die erniedrigende, verschmähende Liebste. Aber es erinnert doch eher an Romane und Filme einer bestimmten Sorte, die auch gewisslich mit dem Hochzeitsglöcklein schließen: Es gibt ein Glück, das schier nicht auszudenken ist, weil es nicht anschließt an Erfahrung, sondern nur lose an Wünsche geknüpft werden könnte, die abstrakt sind. Wir wollen alle nur reich und glücklich sein.
Als der junge Mann aus Hamburg fortging, um in Göttingen zu studieren, nahm er nicht einmal eine Erinnerung mit: Es gab ja nichts zu erinnern als einen enttäuschten Wunsch. Und dieser geistert in allen Erscheinungen, bis hin zum Madonnenbild im Kölner Dom: Es schweben Blumen und Englein / Um unsre liebe Frau; / Die Augen, die Lippen, die Wänglein, / Die gleichen der Liebsten genau. Das Objekt von Heines erster Liebeswahl war nie Subjekt geworden. Der Gegenstand seiner Sehnsucht war nicht durch Erfahrung konturiert, blieb Folie und konnte so jede Form annehmen. Nichts aber kann hartnäckiger schmerzen als fiktive Enttäuschung, weil keine Erfahrung sie heilen kann: So bleibt der vergeblich Liebende an seine Liebe gebunden wie ein Tier an seinen Pflock. Vielleicht hat Heine sich mit der Weisheit zu trösten versucht, dass die Zeit alles heile - aber dazu eben braucht es Geduld. Die bloße Quarantäne, das sterile Fort-Sein, das Nicht-mehr-Sehen und Nichts-mehr-Hören, das alles hilft ja nicht, solange die Seele erwartungsvoll, getrieben auf der Lauer liegt, um ihre eigenen Fortschritte zu verbuchen. Die Zeit, die alles heilt, ist ja, wenn überhaupt, nicht die verbrachte und verwartete, aufmerksam registrierte, sondern nur die erlebte Zeit.
Morgens steh ich auf und frage: / Kommt feins Liebchen heut? / Abends sink ich hin und klage: / Ausblieb sie auch heut. // In der Nacht mit meinem Kummer / Lieg ich schlaflos, wach; / Träumend, wie im halben Schlummer, /Wandle ich bei Tag. So einfach und so groß ist es bestellt um die liebende Sehnsucht, dass ein kleines achtzeiliges Volkslied alles umfasst, wenn Heine es gedichtet hat: Morgen und Abend, Tag und Nacht, Traum und Bewusstsein, Hoffnung und Klage. Und je mehr die Umgebung zum Glücklichsein reizt, je schöner der Frühling sich zeigt, die Lüfte lau, die Vogelstimmen lauter werden, desto tiefer sinkt das Herz in die Schwärze. Selbst die gallige Bitterkeit, die Heines lyrische Ich-Stimmen zu ihrem Schutz ausgebildet haben, kann vor jenem Moment nicht behüten, das Heine im 37. Gedicht des Lyrischen Intermezzo beschreibt: Philister in Sonntagsröcklein / Spazieren durch Wald und Flur; / Sie jauchzen, sie hüpfen wie Böcklein, / Begrüßen die schöne Natur. // Betrachten mit blinzelnden Augen, / Wie alles romantisch blüht; / Mit langen Ohren saugen / Sie ein der Spatzen Lied. // Ich aber verhänge die Fenster / Des Zimmers mit schwarzem Tuch; / Es machen mir meine Gespenster / Sogar einen Tagesbesuch. // Die alte Liebe erscheinet, / Sie stieg aus dem Totenreich, / Sie setzt sich zu mir und weinet, / Und macht das Herz mir weich.