Poesie des Untergrunds

Ausstellung

Autor:
Uwe Warnke
 

Ausstellung

Poesie des Untergrunds - Die Literaten- und Künstlerszene Ostberlins 1979 bis 1989

Am 17. Juni eröffneten die Kuratoren Ingeborg Quaas Uwe Warnke in Neustrelitz die Ausstellung "Poesie des Untergrunds" in Neustrelitz. Sie verbildlicht die Literaten- und Künstlerszene Ostberlins in den Jahren 1979 bis 1989 und wird noch bis 31.Juli dort zu sehen sein, bevor sie nach New York weiterzieht. Uwe Warnke hielt die Eröffnungsrede:


Das Ding war so einfach nicht. Wir hatten zwar eine Ausstellung vor Augen, gingen auch sogleich an die Arbeit, glaubten zunächst unwidersprochen die Sache fest im Griff, schließlich galt es ja nur sich hinreichend zu erinnern - und sahen uns doch gelegentlich im Nebel stochern, klare Grenzziehungen verlieren – hatte nicht der große Adolf Endler bereits im Frühjahr 1989 in Kontext geschrieben: „ … ALLES IST IM UNTERGRUND OBENAUF; EINMANNFREI … “; ergänzte nicht Klaus Michael im selben Jahr: „Der Überbau ist entmachtet, der Untergrund ist tot.“ - Und hatten nicht andere gesagt und geschrieben, ‘84 sei mit der Szene schon alles vorbei gewesen? Was bedeutete das jetzt? Die Überzeugung und das Wissen, was es zu tun gilt, hat uns nie verlassen und zu Resultaten geführt.

Dabei hatten und haben wir immer noch einen faden Nachgeschmack von mancher Erinnerungsschau, die allzu schnell aus dritter Hand in den 90ern zusammengestellt oder z.B. 2009 hoch offiziell von BILD bezahlt und im Berliner Gropius-Bau von der alten und neuen Kanzlerin auch noch eröffnet, wo das Fehlen der Zeugnisse des poetischen Aufbruchs der 80er Jahre nicht einmal als Manko wahrgenommen wurde, weil, wer einmal in Unkenntnis sein Weltbild baut, nun nach Gutsherrenart nichts anderes mehr zur Kenntnis nehmen kann und will. Wir glaubten eine zusätzliche Berechtigung vorweisen zu sollen, die bedeutet, aus dem Zentrum der Bewegung, von den Protagonisten erarbeitet, sei es nun einmal an der Zeit, selbst die Hand und das Wort zu erheben, Deutungshoheit über das eigene Tun, wie auch Christoph Tannert richtig formulierte, zurückzuerlangen; mit dem wirklichen Leben, zumindest seinen Erinnerungen und den dazugehörigen Artefakten, der Stumpfheit reinen Aktenstudiums lebendig zu begegnen.

Mut, Trotz, Beharren und Einfordern simpelsten Rechts, Provokation - einmischen also und dabei immer gestalten wollen, ein Subjekt formulieren, das seinen Platz behauptet, so schwierig das auch war. Elke Erb spricht im Vorwort zur berühmten Anthologie Berührung ist nur eine Randerscheinung, die 1985 nur im Westen erscheinen konnte: „Dieses neue Selbstbewusstsein lässt sich nicht bestimmen und begrenzen von dem System, dessen Erbe es antritt. Seine soziale Reife ist die Konsequenz des Austritts aus dem autoritären System, der Entlassung einer Vormundschaft eines übergeordneten Sinns.“
Das war kein Spiel, das war ernst. „Die Situation war nicht tanzbar.“, wie es später Ronald Galenza in dem von uns herausgegebenen Buch Die Addition der Differenzen formulieren wird. Die Sicherheitsorgane taten wie ihnen befohlen und viele von uns verließen nach wie vor das Land. Die Hiergebliebenen versuchten dem Alltag zu entkommen und irgendwie aus der neuen Situation ein Privileg zu schlagen. Dies ging eigentlich nur in der Hauptstadt, der Frontstadt Berlin. Stefan Döring beschrieb dies lakonisch schon 1982 so: „ich fühle mich in grenzen wohl.“

Die uns damals beschäftigenden Lebensverhältnisse sind dabei eher als prekär zu beschreiben. Das war dennoch kein Problem, denn das Leben kostete nicht viel, so dass Akteure und Kunstfreunde sich auf Augenhöhe begegneten. Eine Haltung, die sich als ein großer Vorzug herausstellte, war, nicht mehr enttäuscht werden zu können. Hoffnung auf Veränderung war aufgegeben worden oder zumindest vom System gelöst und stand nun auf einem anderen Blatt; jenem, das sich wenden konnte, gegebenenfalls.
Über andere, die dies so nicht hinbekamen, hieß es schnell, sie quälten sich. Ich kann auch diesen bis heute meinen Respekt nicht verhehlen.

Und wir? Unsere Jugend verging und wir waren zunehmend mit unseren Projekten beschäftigt. Gaben trotz allem oder gerade in den 80er Jahren Bücher in kleinen Auflagen heraus, nutzten die Siebdrucktechnik auf Küchentischen, schrieben unsere Texte mit Kohlepapierdurchschlägen auf der Schreibmaschine, gründeten illegale Zeitschriften. Sie trugen Namen wie Papiertaube, Mikado, Entwerter/Oder, Schaden, Und, USW., USF., Anschlag, Reizwolf, Caligo, Braegen, Koma-Kino, Ariadnefabrik, Zweite Person um nur einige zu nennen. Wir tauschten untereinander und verteilten diese zwischen Wismar und Karl-Marx-Stadt, nutzten Kanäle in den Westen, verkauften an Sammlungen in Ost und West und Übersee, gingen zu illegalen oder privaten Wohnungslesungen, sahen ebenda Theateraufführungen oder Ausstellungen, feierten, stritten, hörten handgemachte Musik,  Punk, Jazz, tranken, liebten. Gegen Ende dieser 80er Jahre war schon vom Zeitschriftenunwesen die Rede und einige Künstler, mittlerweile auch ziemlich einträglich nur noch mit dem Herstellen von Künstlerbüchern beschäftigt, sprachen schon von ihrem Jahr des Buches. So bekam das Leseland DDR einmal einen neuen Sinn. Das Verbindende, bei aller Differenz, war, das der Markt zunächst schlicht keine Rolle spielte. Kunst, so glaube ich bis heute, entsteht nur so.
Und plötzlich waren all diese Produkte Zeugnisse, Artefakte - und diese von großer Relevanz, weil ohne Auftrag und ganz aus sich selbst entstanden. Authentizität war das Stichwort. Manche sind berührend einfach, opulent die anderen. Luxuriös sind sie nie. (Sie sehen diese hier zahlreich an den Wänden / Wir haben bei all unseren Ausstellungen uns selbst jene Messlatte aufgerichtet, uns nicht zu wiederholen. Wir wollen immer neue Zusammenhänge herstellen und etwas entdecken. Hier in diesen Räumen sind vor allem Einladungskarten, Plakate, grafische Arbeiten und einige Fotografien zu sehen. Es ist eine Erweiterung der New Yorker Hängung. Sie kann nur einen Ausschnitt der vielfältigen Aktivitäten zeigen und ist immer subjektiv. Die unglaubliche Fülle und Varianz der Künstlerbücher und Zeitschriften z.B. konnten wir hier leider nicht zeigen, da man sie, wie sie sich denken können, nicht Rahmen kann. Doch zurück.)

Es gab damals durchaus ein Gefühl von Avantgarde. Heute kommen wir aber nicht umhin, das Museale an ihnen hinzunehmen und schließlich abzunicken. Dass man in diesem Zusammenhang auch von einem abgeschlossenen Sammelgebiet spricht, liegt in der Natur der Sache. Auch hiervon darf man sich den Blick nach vorn nicht verstellen lassen. Hans Scheib hierzu schon 1990: „ZURÜCK ist keine vernünftige bewegung.“
Unsere erste Ausstellung poesie des untergrunds zeigten wir im Berliner Prenzlauer Berg Museum im Jahr 2009. Wir, das ist eine Projektgruppe, die aus Ingeborg Quaas, Thomas Günther und Uwe Warnke besteht und zwei Jahre daran gearbeitet hatte und das Erreichte immer weiter fortführt. Die Eröffnung war ein Paukenschlag. Die Rede Christoph Tannerts führte zu Kontroversen die bis in Symposien nach Dresden und an westdeutsche Kamine führte. Schauen Sie auf unsere Website. Dort ist sie zu hören und zu sehen. Eine zweite komplett neue Ausstellung richteten wir parallel im Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum in Rheinsberg ein. Das Stadtmuseum Jena erwartete uns im Frühjahr 2010 und führte sehr groß beide Ausstellungen zusammen.  Das Koeppenhaus, auch Literaturzentrum Vorpommern, in Greifswald zeigte sie im Herbst. Im deutschen Generalkonsulat in New York, schräg gegenüber von der UNO, eröffneten wir im letzten Dezember und konnten einen zweiten Katalog vorlegen. Beide, das Buch Die Addition der Differenzen, ein umfangreicher Band mit Aufsätzen zur Literatur, Bildenden Kunst, Fotografie, Super-8-Film und Rockmusik der 80er Jahre sowie der Katalog Poesie des Untergrunds können heute Abend hier für 20 Euro erworben bzw. bestellt werden.

Gestatten sie mir noch zwei wichtige Stimmen als Zitate zum Schluss. Beide aus dem Buch Zersammelt, einem Sammelband gleichnamiger Veranstaltung im Berliner Brecht-Haus von 2001: Andreas Koziol schreibt unter der Überschrift Ankunft ist nur eine Randerscheinung: „Aus den linguistischen Mauerspechten des alten DDR-Systems sind im Laufe der Jahre noch seltsamere Vögel geworden. Sie tragen die Federn der Entfremdung von ihren ideologischen Rabeneltern auf den freien Meinungsmarkt und locken damit die Grünschnäbel an...     /    ...sie hacken sofort auf den Finger, auf den sie sich setzen...“
und   Annett Gröschner im selben Band unter der Überschrift Szenenwechsel: „Mein Alptraum war immer ein Altersheim, in dem wir am Ende alle sitzen. Es gibt eine Kantine mit Pelmeni und Tomatensuppe und einen Bierausschank an dem die Sozialhilfe versoffen wird. Eine Ausnüchterungszelle, einen Toberaum und einen Friedhof hinter dem Haus. Leute, die das Gesetz der Szene missachten, werden für 48 Stunden in eine Zelle gesperrt, nicht ohne vorher einem Tribunal beigewohnt zu haben.“


Uwe Warnke, Berlin/Neustrelitz, 17. Juni 2011