Monatskolumne
Im Kreis der Lieben, Teil 1
Neulich kam meine katholische Freundin auf die Idee, ihren runden, beinah rundlichen Geburtstag, dessen Umfang ich als Kavalier verschweigen möchte, im kleinen Kreis ihrer Familie zu feiern. Nun ist aber der kleine Kreis einer von Kindern gesegneten katholischen Familie immer noch so groß, daß ich, wollte ich eine ähnliche Anzahl von Familienmitgliedern aufbringen, die entferntesten Verwandten meiner vom Aussterben bedrohten atheistischen Kleinfamilie mit Hilfe eines Voodoopriesters aus dem kühlen Erdreich locken müßte. Lebendige Vertreter meiner Familie gibt es nur wenig mehr als eine handvoll und, um offen zu sein, die sind mehr als genug. Ich bin Einzelkind bereits in zweiter Generation, meine Eltern sind ebenso Einzelkinder, man kann also von einem traditionellen Hang zur Vereinzelung in unserer Familie sprechen. Was mich an diesem runden Geburtstag beunruhigte, war jedoch nicht allein der Umstand, daß der „kleine Kreis“ der katholischen Familie meiner Freundin auftauchen würde, sondern auch meine Eltern, die meine Freundin leichtsinnigerweise gleich mit eingeladen hatte. Bisher war es mir gelungen, die Sphären beider Familien getrennt zu halten. Aber wie man aus der Geschichte weiß, selbst der römische Limes vermochte irgendwann nicht mehr die germanischen Horden abzuwehren. Immerhin war meine narzißtische Oma nicht eingeladen worden. Sie hätte die ganze Zeit im Mittelpunkt stehen und obendrein auf ihrem Standpunkt beharren wollen, ganz gleich worum es geht oder ob ein anderer Mensch es möglicherweise besser wüßte als sie, was sie grundsätzlich für unwahrscheinlich hält. Sie ist 1926 geboren, war im Jungvolk, BDM, Reichsarbeitsdienst, Kriegshilfsdienst, und als gelernte Hitleristin läßt sie bis heute nichts auf ihren Führer kommen. Das ist ihr Lieblingsstandpunkt. Weder Altersweisheit noch Alzheimer stellten sich ein, um daran was zu ändern. Sie könnte in Talksshows auftreten und Guido Knopp in Blut und Boden reden. Doch meine nazistische Oma soll nicht die Hauptperson dieser Kolumne werden. Schnell kann es nämlich passieren, daß sie sich durch die indirekte Rede bemerkbar macht, wozu sie ja auch als Oma ein gutes Recht habe, schließlich müsse sie einiges klarstellen, was durch den Enkel hier falsch dargestellt worden sei, das könne sie nicht einfach so auf sich sitzen … Nein Oma! Nein! Schluß! Aus! Hab ich es nicht gesagt! Um die Okkupation meiner Kolumne zu verhindern, werde ich dieses ältere Familienmitglied mit den drei Buchstaben nicht weiter erwähnen. Am besten ich mache erstmal einen Absatz.
Wehret den Anfängen! Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, der Besuch. Eine Woche Zeit blieb uns am Ende, um die Wohnung einigermaßen aufzuräumen. Das ist ja das Schlimme, wenn man seine Eltern einlädt: Man versucht die Wohnung in einen Zustand zu versetzen, der ihnen etwas weniger Grund zu der Annahme gibt, daß man bereits völlig verwahrlost sei. Allein für mein Zimmer habe ich drei Tage gebraucht. Denn wie im Herbst so fallen bei mir die Blätter zu Boden, die ausgedruckten Entwürfe, die förmlich hingeworfenen Gedanken, darauf fallen die nächsten, und es sedimentiert in etlichen Schichten der Ertrag meines unermüdlichen Geistes, wofür meine Mutter natürlich keinerlei Verständnis hat. Also durchforste ich diese Papierhaufen, hebe auf, werfe weg, räume Bücher von dort nach da, kann sogar, als interessantem Nebeneffekt dieses sinnlosen Treibens, endlich mal wieder Staubsaugen, ohne dass beschriebene Blätter angesogen werden. Auch meine katholische Freundin, deren geistige Neigungen die häuslichen weit übersteigen, weshalb ich auch mit ihr zusammen bin und nicht mit meiner Mutter, hatte in ihrem Zimmer zu tun, um ihren Eltern die Illusion einer aufgeräumten Wohnung zu vermitteln. Sie fuhrwerkte recht wild mit dem Staubsauger herum und saugte gleich mal ein Nasenspray auf, das unter der Couch ein harmloses Dasein gefristet hatte. Nun verstopfte es den Staubsauger, der plötzlich keine Luft mehr bekam, was seinen müden alten Motor völlig überforderte. Er fing an zu rasseln, Funken stoben aus ihm, und ich rannte herbei, um den Armen so schnell wie möglich vom Netz zu nehmen. Aber es war zu spät. Entrüstet sagte ich zu meiner Freundin:
„Er ist ein Staubsauger und kein Nasensprayeinsauger.“
„Tut mir leid. Ich habe es nicht gesehen.“
„Nicht gesehen? Ich gucke immer erst hin, bevor ich die Staubsaugerdüse irgendwo reinhalte.“
„Ich normalerweise auch, aber du hast mich gedrängt, ich solle endlich mit dem Saugen fertigwerden.“
„Klar, jetzt bin ich schuld.“
„Natürlich, so machst Du es schließlich immer.“
An dieser Stelle kürze ich das Gespräch etwas ab. Wir kauften dann einen neuen Staubsauger. Er entläßt eine zu 99,83476 Prozent reine Abluft, wie ich der Gebrauchsanleitung entnehmen konnte. Bei unserem alten hatte ich eher den Eindruck, daß der Staub hinten wieder rauskam. Kein Wunder, daß es bei uns so staubig war. Der neue sieht aus wie das Model eines japanischen Kleinwagens. Rund und aerodynamisch ist das gleichgeschaltete Design der Zeit. Damit wir recht lange Freude an ihm haben würden (zumindest bis die Sollbruchstelle bricht), las ich folgende Stelle aus der Gebrauchsanleitung meiner Freundin laut vor: Dieses Gerät darf nicht von Personen mit eingeschränkten physischen, sensorischen oder geistigen Fähigkeiten oder mangelnder Erfahrung / Kenntnis (einschließlich Kindern)[1] bedient werden, außer sie wurden von einer verantwortlichen Person in der Handhabung des Geräts unterrichtet.
„Blödmann!“, sagte meine katholische Freundin.
Nach einigen weiteren Bemerkungen meinerseits und ihrerseits setzte ich den Staubsauger in Betrieb. Der Kampf gegen Staub und Weberknechte mußte fortgesetzt werden. Die langbeinigen Hausgenossen, die bisher so unbescholten in den Ecken an ihren Netzen webten, erlebten einen furchtbaren Tag. Manche versuchten noch wegzuhumpeln, nachdem sie bereits ein oder zwei Beinchen verloren hatten, was nichts half, die unbarmherzige Saugkraft unseres neuen Staubsaugers ließ ihnen keine Chance. Ich war aber nur der Vollstrecker dieser Ordnungsdoktrin. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir friedlich koexistieren können. Mein Zimmer ist groß genug. Ich sagte zu meiner Freundin:
„Ich habe Schuld auf mich geladen, unter Umständen werde ich als Weberknecht wiedergeboren, nur weil Du Deine katholische Familie einladen mußtest.“
„Sei froh, wenn Du nicht als Katholik wiedergeboren wirst.“
Dies war nun ein Gedanke, der mich wirklich in Angst und Schrecken versetzte. Für den Rest des Tages ließ ich das Saugen sein und las ein bißchen Nietzsche.
Fortsetzung droht.
Bis es soweit ist, noch ein kleines Überbrückungsgedicht:
Deine katholische Familie
(für C.)
Sie zücken Gottes Segen
Wie einen Degen