eingekreist - die Monatskolumne Februar 2012

Monatskolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Monatskolumne

Füßchentherapie

Der Höhepunkt des Tages war abends gegen 18 Uhr, wenn die Thrombosespritze fällig wurde, ein schon fast erotischer Vorgang. Vorher legte ich mir alles zurecht, den Alkoholtupfer, die Einwegspritze, ein Tempotaschentuch, falls doch noch etwas Blut aus dem Stichkanal floß. Meine Freundin, die eine Abneigung gegen Spritzen hat, guckte angespannt. Dann suchten wir uns eine schöne Stelle am Bauch aus. Sie mußte die Haut zusammendrücken, damit eine Falte entstand. Ich desinfizierte, wartete eine Minute, bis der Alkohol weggetrocknet war. Holte die Spritze aus der Verpackung, zog die Gummikappe ab, die Nadel lag frei. Ich schüttelte einen Tropfen von der Nadelspitze und beugte mich über den Bauch. Die Spitze setzte ich auf die Haut. Ich spürte den Hautwiderstand. Und jedesmal, auch wenn es, aus meiner Sicht zumindest, nicht sehr weh tun konnte, zuckte meine Freundin zusammen und kniff ganz fest die Augen zu, während die Nadelspitze durch die obere Hautschicht drang. Der Rest der Nadel glitt nun ganz leicht hinein. Ich drückte und zog die Nadel wieder heraus. Geschafft! Am nächsten Tag sollte sich meine Freundin auch mal selber spritzen, denn was ist, wenn ich mal nicht da bin? Sie hielt die Spritze tapfer wie ein Samurai, der das Schwert gegen seinen Bauch richtet, und dann bat sie mich, den Raum zu verlassen. Sie müsse das, was nun komme, alleine durchstehen. Außerdem könne sie jetzt keinen Beobachter gebrauchen. Besonders keinen, der blöde Kommentare abgibt. „Wieso blöde Kommentare? Ich wollte nur erwähnen, daß Du die Nadel senkrecht …“   

„Gehst Du jetzt!“, sagte meine Freundin, die die Spritze schon wie einen Dartpfeil hielt.

„Ist ja gut.“

In den darauffolgenden Wochen überließ sie es mir wieder, zu spritzen. Ich wurde also doch gebraucht. Und inzwischen ist auch fast alles wieder gut geworden, der Knochen halbwegs zusammengewachsen. Sie geht bereits ohne Krücken zur Physiotherapie, die wir, drollig wie wir in unserer fortgeschrittenen Pärchenkommunikation nun mal geworden sind, als Füßchentherapie bezeichnen. Ein paar Thrombosespritzen sind allerdings noch übrig. Wer weiß? Nach einem schönen Abendessen, bei Wein und Kerzenschein, flüstere ich ihr irgendwann ins Ohr, „mach doch noch einmal den Bauch frei.“  

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