Berührungsforschung findet statt

Poetologie

Autor:
David Frühauf
 

Poetologie

Berührungsforschung findet statt//Zur kollektiven Poetologie in Helm aus Phlox und TIMBER!

14.05.2012 | Hamburg

»Die Literatur ist ein Gefüge, sie hat nichts mit Ideologie zu tun, es gibt keine Ideologie und es hat nie eine gegeben.«, so Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem Gemeinschaftswerk Tausend Plateaus von 1980. Literatur ist ein Gefüge, das Verbindungen zwischen bestimmten Mannigfaltigkeiten aus Welt, Buch und AutorIn herstellt, und sich gleichsam der Vorstellung eines einheitlichen, souveränen Subjekts entledigt; meint: Literatur als kollektives Gefüge der Äußerung, ohne Signifikanz und ohne Subjekt.

Jeder geht mit vielen Körpern in jeden ein

So ähnlich möchten wohl auch Ann Cotten, Daniel Falb, Hendrik Jackson, Steffen Popp und Monika Rinck in ihrem 2011 im Merve Verlag erschienenen Buch Helm aus Phlox. Zur Theorie des schlechtesten Werkzeugs Gegenwartsdichtung verstanden wissen. Als »Text unter Texten« wird das Buch, das dem geschlossenen Blog STABIGABI folgte, in der Vorrede auch ausgewiesen. Ein Buch, in dem den einzelnen AutorInnen eine mehr oder weniger relative Autorenschaft zukommt; in dem heterogen und vielstimmig Fragen zu Poetologie und Ästhetik gesammelt, gesichtet und ohne Anspruch auf Normativität bearbeitet werden. Multiple Autorenschaft, Entpersonalisierung und Demokratisierung nennen sie das und eröffnen so ein poetisches Sprechen, das durch Anspielung, Aneignung und/oder Enteignung verschiedenste Bereiche in Verbindung setzt. Während ein einzelnes Subjekt – heißt es etwa in dem Kapitel Sprache und Überfall – »nicht zum Ermöglichen von pluralen Bedeutungen, sondern zu deren Einschränkung« dient, gelingt es dem lyrischen Kollektiv, die Vielfalt der Themen (poetische Verfahren als Formationen von Jagd, Sprache und Gewalt, Lyrik als Lebensform, u. a. m.) in unterschiedlichen Genres und auf teilweise absurde Weise zu verknüpfen. Da werden Fachsprachen, französische Poststrukturalisten und befreundete AutorInnen herbeizitiert, Bilder und Karten gezeichnet, Gedichte geschrieben und in den besten Momenten des Buches mit Trivialitäten, (dem sog. Status-)Quatsch und überschäumenden Abwegigkeiten gekoppelt. »Mit anderen Worten, wer Gestaltlosigkeit zu sehen glaubt, wo in Wahrheit Seelenkollektive das Universum choreografieren, hat seinen Blick einfach nicht richtig dimensioniert. Trübheit des Blickes, nicht des Schaums.«

Dass man in diesem Stimmengewirr teilweise tatsächlich den Überblick verliert, ist genauso Programm, wie der Verzicht des Manifesten oder der Einheitlichkeit. Auch hier bedienen sich die fünf AutorInnen bei Deleuze und Guattari, die sie wie kaum andere Philosophen verinnerlicht zu haben scheinen: »Der Begriff der Einheit taucht immer nur dann auf, wenn in einer Mannigfaltigkeit der Signifikant die Macht übernimmt oder ein entsprechender Subjektivierungsprozeß stattfindet«. Während in den Kapiteln, die je einer Person zum Endlektorat zugeteilt wurden, die Herangehensweise und Ausformung dementsprechend divergieren und so die jeweilige Handschrift deutlich zutage tritt, wurde das Kapitel Einflussangst und Vatermord dem Thema angemessen von allen gleichsam bearbeitet. Gerade dadurch nimmt dieses Kapitel – nicht nur hinsichtlich der Autorenschaft – eine Sonderstellung ein. Bleibt Daniel Falb sonst in den ihm zugewiesenen Kapiteln als poeta doctus in Philosophiestudien und -reflexionen verhaftet, Hendrik Jackson vermeintlich zurückhaltend und sich seiner Sache scheinbar selbst nicht immer sicher, zögern Ann Cotten, Steffen Popp und Monika Rinck in teils überbordender Fülle von Ideen, Witz, Ironie und Detailreichtum noch etwas, gelingt schließlich in dem Gemeinschaftskapitel die Überwindung der eigenen Signifikanz. Die Zentralmonade des Textes besteht dort »aus dem spezifischen Diagramm der Partikel oder Monaden, die seine Masse bilden«, und gerade dann ist es die Fähigkeit der Affirmation von verschiedenen Texte untereinander, die ein größeres Bild entstehen lässt: Ein Mosaik mit etlichen Strichen und Verweisen.

zurück