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Schreiben in Istanbul
Notizen aus Istanbul, Teil IV von Gerrit Wustmann
Ich habe in Istanbul die Mülltrennung eingeführt. Nicht der Umwelt zuliebe. Seien wir ehrlich: Bei uns in Deutschland wird all das Zeug hinterher ja auch wieder zusammengeschmissen. Der einzige, für den sich’s gelohnt hat, war der Hersteller der bunten Tonnen. Hier in Istanbul kommt niemand auf solche Ideen. Alles in einen Sack (oder mehrere) und raus auf die Straße damit. Jeden Abend zwischen neun und zehn rumpelt die Müllabfuhr durch die Straße … und hat ein Problem. Denn im Grunde wäre es ja einfach, die schön geschnürten Mülltüten dem Zerkleinerer in den Rachen zu werfen und zur nächsten Straßenecke weiterzufahren. Doch was die Müllmänner allabendlich vorfinden ist ein Chaos aus aufgerissenen Tüten und wild verstreutem Müll der nur im Glücksfall noch so etwas wie einen Haufen bildet. An schlechten Tagen sieht es aus, als hätten Kinder ihre noch übrigen Sylvesterböller für ein zünftiges Müllgemetzel verwendet. (Wobei es nicht zwangsläufig Sylvesterböller sein müssten; die Istanbuler finden jeden Abend einen Anlass für ein Feuerwerk, und sei es nur, dass das Essen gut war)
Tatsächlich ist es so: Ganz früh morgens streunen die Hunde umher und wühlen im Müll nach Essbarem. Tagsüber öffnen die Katzen eine Mülltüte nach der anderen in der Hoffnung, etwas zu finden. Nachmittags kommen die Müllsammler hinzu, die Plastikflaschen und - Verpackungen noch zu Geld machen können. Ihr Job ist so mies, dass eine Ladung Pfandflaschen einem Goldfund gleichkommt. Nach all der Wühlerei haben die städtischen Müllmänner dann ihre Mühe, all den Mist wieder einzusammeln und zu verladen.
Folglich stehen in meiner Küche jetzt zwei Tüten und ein Teller. Auf den Teller kommen Essensreste für Hunde und Katzen. Wobei beide sich beeilen müssen, denn so ein Teller weckt auch bei Möwen und Tauben Begehrlichkeiten. Und die Möwen sollte man nicht unterschätzen. Sie legen sich wenn’s ums Essen geht gerne mal mit den Katzen an und entführen die Fressalien erfolgreich in für Vierbeiner unerreichbare Gefilde.
Die eine der Tüten ist für Dosen, Flaschen und Plastikmüll reserviert. In die andere kommt all das, wofür nun wirklich gar niemand mehr Verwendung hat. Der Teller ist in der Regel binnen Minuten leer. Die Flaschentüte verschwindet zumeist im Laufe des Vormittags. Die zweite Tüte … nun ja, die verteilt ihren Inhalt trotzdem über die Straße. Es könnte ja doch noch was drin sein… Der eigentliche Haken an meiner Mülltrennungsidee ist aber der, dass ich der einzige bin, der sie ausführt. Vielleicht habe ich als Dichter einfach nur zuviel Zeit, um mir über solches Zeug Gedanken zu machen…