In meinen Kopf passen viele Widersprüche

Peter Rühmkorf

Autor:
Andreas Greve
 

Peter Rühmkorf

22.08.2012 | ein peter-rühmkorf-abend im Literaturhaus Hamburg

Über Lebensstoff und Himmelsspeise

In einem Artikel über ein Buch mit Texten Peter Rühmkorfs - über lebende und verstorbene Literaten - anderes zu schreiben, als was dieser wunderbare Band an  brillanten oder bösen Formulierungen enthält, wäre höchst überflüssig und töricht. Über Thomas Bernhard etwa steht da: „Eine Art von spezifisch österreichischem Allürentheater und zum Fußaufstampfen ständig bereites Drohverhalten. …Neulich bei Brandauer eine gewisse physiognomische Verwandtschaft festgestellt. Brandauer ein Bernhard nach der Schönheitsoperation.“

Nicht ohne Grund wird der Lyriker und Essayist Rühmkorf auch mit der noblen Nebenberufsbezeichnung „Pamphletist“ geehrt. Über Thomas Mann, den er (selber Anfang Zwanzig) 1953  leibhaftig lesen hörte, schrieb er: „die oblatendünne Ironie genüßlich nachkostend und fast affenhaft in den selbstgemachten Ziericht verliebt. Daß Döblin diesen Mann nicht riechen konnte, (Hans Henny) Jahnn insgeheim sich vor ihm schüttelte, Brecht ihm sarkastisch-kritisch entgegenstand, deutet auf eine doch wohl mehr als privat-persönliche Aversionslinie.

Sein Urteil fällt dann aber Jahrzehnte später  in einem weiteren Essay über den deutschen Großdichter etwas gnädiger aus, sofern es um die kürzeren Werke wie etwa „Das Eisenbahnunglück“ geht. Die Abhandlung „Thomas Mann oder die Lust an der Angstpartie“ erschien in der FAZ unter der Überschrift „Mein neuer Zeitvertreib“.

Peter Rühmkorf, Jahrgang 1929 und zu Lebzeiten auch der größte lebende Lyriker deutscher Sprache genannt, verstarb 2008. Glücklicherweise finden sich einige Spurenelemente Rühmkorfscher Reime und Rhythmen in diesem, seinem Literatur-Lexikon, etwa als er einmal die gesamte Gruppe 47 in vier Strophen so abdichtete: „Weyrauch duftet süß und Bender / und es dämmert Laich und Eich / langsam rutscht der Abendländer / in den sanften Ententeich.“ Damals war er noch nicht Mitglied der Gruppe – das erfuhr ich als O-Ton vom Podium bei der Buchpräsentation.

Rühmkorfs lyrischen Vorbilder, Gewährsmänner und/oder frühe Inspiratoren waren letztlich nur Benn und Brecht, zugleich die Vertreter der zwei Herzen in seiner Brust: Sprachartist und Gesellschaftskritiker. Es waren natürlich über die Zeit etliche mehr und getreu dem Titel des vorgestellten Buches aus dem Wallstein-Verlag „In meinen Kopf passen viele Widersprüche*“ recht verschiedene. All jenen, denen er Vermögen oder Talent oder Substanz sowieso absprach, widmete er sich seinerzeit in seiner weithin bekannten Kolumne „Leslie Meiers Lyrik-Schlachthof“, durch die die „Konkret“ intellektuelles Profil und satirischen Pfiff bekam. Und er tat es immer wieder in Reden und Zeitungsartikeln mit großer Kundig- und Gründlichkeit.

Im Hamburger Literaturhaus lasen an einem August-Abend gleich vier Rühmkorf-Kundige aus der Neuerscheinung: Die Herausgeber Susanne Fischer und Stephan Opitz, der Wallstein-Verleger Thedel von Wallmoden, sowie der Hamburger Anwalt, Vorleser und einstige Rühmkorf-Freund Joachim Kersten. Von Wallmoden hatte nach einer Weile den Eindruck, nur solche Texte zugeteilt bekommen zu haben, in denen die Abgehandelten doch relativ gut weg kamen. Besonders Benn. Der Eindruck war wohl richtig. Im Gegenzug aber hatte der Verleger ausgiebig Zeit, völlig ungeniert vor sich hinzukichern, etwa wenn ein Rilke rund gemacht wurde. Wohlgemerkt unter der zugeneigten Prämisse vom Dichter Rühmkorf: „Ich liebe ihn, aber kann ihn nicht leiden….Was an seinen lyrischen Produktionen hier und da stört, ist eigentlich nur die Anwesenheit eines ziemlich unleidlichen Subjekts“. Und: „Guckt man den Versen noch etwas genauer zwischen die Rippen, dann wird es vollends arg. Das sprechende Ich und das andächtig beschworene Du fallen zusammen und werden austauschbar, Pilgersmann und Wallfahrtsziel verschwimmen in eins, und was das ganze soziale Transvestitentum am Ende an Geheimnissen preisgibt, ist nichts anderes als der ständig mit sich selbst befaßte Narziß“. Also ein typischer Dichter, würde ich hinzufügen mögen, tue es aber aus den oben genannten Gründen nicht.

Ebenfalls im Literaturhaus anwesend war F.W. Bernstein, der den Band mit 32 lockeren Porträt-Zeichnungen versehen hatte. Zufällig saß der Altmeister neben mir und raunte mir zu, dass er „das Buch nicht etwa nur etwas dekoriert habe, sondern – wie ich eben draußen las – ihm eine eigene bildliche Dimension gegeben hätte!!!“ So ein Ding wollte ich natürlich auch: Und Bernstein zeichnete in Nullkommanichts in mein Exemplar sein Konterfei - etwas aus der Mittelachse des Titelblattes gerutscht und mit einem langen Arm ungelenk und fahrig in der Gegend herumkritzelnd. Lustig und treffend. Mein FWB-Original-Unikat der Auflage.

Ganz unverlegen erzählte der Göttinger Verleger auch, wie es dazu kam, dass er ab und an „die Krumen, die vom Tisch des Herrn“ Rowohlt fielen, zu einem Band von und mit Rühmkorf machen durfte, dass das aber  gar nichts daran änderte, dass der eigentlich Heimathafen des Dichters – so wie seit 60 Jahren – Rowohlt in Reinbek bei Hamburg sei, wo auch weiterhin von Bernd Rauschenbach, dem Arno-Schmidt-Spezialisten, kundig an der Herausgabe des Gesamtwerks gearbeitet würde. Genau das spiegelte auch der Büchertisch der Buchhandlung Samtleben an jenem schönen Abend im vollbesetzten Saal des Literaturhauses an der Alster wieder.

Bei aller Zurückhaltung nun doch noch eine entfesselte Kritik: Das handwerklich und ästhetisch so wunderbare Buch hat kein Lesebändchen!! Was sage ich kein – keine! Die vielen betörenden Bosheiten und Hiebe, aber auch die bildungsnahen Passagen über immerhin 60 deutsche Autoren und Philosophen, würden beim Schmökern und Studieren leicht mal ein gutes Dutzend Lesezeichen vertragen. Dazu noch ein halbes Dutzend für die Bernstein-Porträts etwa von Arno Schmidt, Detlev von Liliencron, Klopstock, Elfriede Jelinek, Frisch und Ringelnatz. Einen ganzen Strauß also.

Oh, ja, Ringelnatz: Über ihn hat Rühmkorf mehr als einmal geschrieben, denn es ist die wahre Wahrheit und heißt als Gedicht „Frommerwunsch: Wünsch mir im Himmel einen Platz / (auch wenn die Balken brächen) / Bei Bellmann, Benn und Ringelnatz / und wünschte, daß sie einen Satz / in einem Atem sprächen / nimm Platz!“

Und da sitzt er nun vermutlich auch. Und zu Recht.


© Andreas Greve