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Kurze essayistische Arbeit
Satzbau
Postroman, Postgedicht, postheroisches Management. „Post“ hat uns im Griff. Die Postmoderne, der ich vor fast 30 Jahren im Studium begegnete, glitzerte mächtig, dekonstruierte erfolgreich, hebelte Nichtfranzösischkenner weg. Gedichte waren nicht sonderlich gefragt, sie schienen nicht betroffen - oder waren es immer schon, so dass die Postmoderne und ihr Hang zur semantisch-semiotischen „Verspurung“ sie kaum zu treffen vermochte. Der Roman erfreute sich neuer Bestsellererfolge, das Rededrama blühte. Bildtheorien wurden übereinander gestapelt, Geschichte zerfaserte, PC fand sich als political correctness korrekt installiert, während für die ersten funktionierenden PCs allererste Netzwerke erdacht wurden. Das alles war bereits „post“ und ist „post“ geblieben. Gewachsen. Geblieben.
Der Sommer ist vorbei. Hie und da wurde der Weltuntergang im Dezember 2012 beschworen, der Untergang der Gutenbergwelt, der Buchuntergang und/oder Niedergang der deutschen Sprache. Parallel dazu bekam ich in den letzten Wochen auffallend viele Anfragen, für Websites, Magazine oder Podien etwas zur Zukunft zu schreiben. Insbesondere die Zukunft des Romans scheint hoch im Kurs zu stehen, doch es dauerte nicht lange, da schlossen sich Fragen an nach dem Noch und Nach, dem Post, Ex und Hopp der Poesie in Zeiten sozialer Netzwerke, flottierender Urheberstreitigkeiten und allgemeinen Desinteresses am traditionellen Stilllesegedicht. Die amtliche Post ist selbstverständlich noch schlimmer, sie kommt oder kommt nicht, quetscht, zerbricht, jagt einen dünnster Briefe wegen zur Abholstelle. Doch manchmal, wenn Debatten wie jetzt aufsprießen, könnte man fast glauben, es existiere ein Diskussionsamt Literatur. Jüngst gab es, einmal mehr, die Postparole aus.
Oder lebt man so in Eurokrisenland? Führen wir, angesichts der Nöte der Geldmärkte und Fiskalpolitiken, eine verdeckte Untergangsdiskussion im literarischen Mäntelchen, wenn wir Fragen zur Zukunft der Literatur stellen und zu beantworten suchen? Jeder in seinen Bildern und postmodern gekleidet-entkleidet: der Kaiser, der sich nackt zeigt und bedeckt hält zugleich.
Auf die Frage, was das mit Gedichten zu tun hat, bin ich versucht zu antworten: am besten nichts! Aber das kann nicht sein, hieße es doch, Gedichte hätten nichts mit Gegenwart zu schaffen, mit Gedanken, Begriffen, Diskursen und anderer Literatur. Dabei weiß man nicht, was das Postwesen mit bzw. in anderen Gattungen anstellt. So sprießen sie also doch: Zukunftsdiskussionen, die in der Regel (und sehr post-post) um Netze, Räume und Bedingungen kreisen, sprich: um Formate und Rezeptionsformen. Ästhetische Fragen hingegen scheinen immer irrelevanter zu werden – eine wirbelnde Wolke, bestenfalls smart dust. In nicht wenigen Kultur- bzw. Medienkontexten gilt inzwischen bereits das Wort „ästhetisch“ als elitär.
Was sich ein „post“ voranstellt, definiert sich langsam und negativ über ein „nicht“. Post sagt von sich selbst, was es war und nicht mehr sein möchte. Ich bin, was ich als „nicht“ präfixe. Der Vorteil liegt auf der Hand: Bei erklärtem eigenem Nicht-Sein muss man das Eigene nicht gleich wieder durchstreichen. Kurzum: man nichtet das Nichts, indem man es ernst und auf die Schippe nimmt, ironisch, neoneoromantisch, in Brechungx, metatheoretisch, systemisch und/oder neurologisch abgefedert.
Quelle: MedienKulturWiki
Das „post“, das mich interessiert, sieht anders aus. Man findet es sowohl in Prosa als auch in Gedichten. Es betrifft die Art, wie literarische Texte mit Gefühlen verbunden sind (aus ihnen hervorgehen, sie erzeugen). Oder wenigstens einen Aspekt dieser Verbindung: die Verfugung von Textteilen (Silben, Worten, Sätzen).
Gertrude Stein, selbst deutlich Ante-Post, bringt es in vier Vorlesungen, gehalten 1934 und 1935 an der University of Chicago, klar auf den Satz. Im Nachdenken darüber, wodurch die englische und die amerikanische Literatur sich unterscheiden, obwohl sie doch zunächst dieselbe und in der Zwischenzeit wenigstens die gleiche Sprache benutzen, stößt sie auf etwas, das sie die Art und Weise nennt, wie Worte sich bewegen. Mehreres kommt in diesem „bewegen“ zusammen: mit welcher Art von Lebensenergie sind die Worte aufgeladen? Und in welchen Verkettungen, in welchen Verhältnissen zueinander werden sie in der literarischen Sprache gebraucht?
Das trifft den Nagel auf den Kopf - einen Nagel, der nur allzu gern übersehen wird. Grammatiken geben zu dieser Art und Weise des Gebrauchs kaum Auskunft. Sie setzen den Rahmen, indem sie Regeln nennen. Das Zusammenwirken dieser Regeln aber betrachtet die Literatur. Sprung und Lücke, Ungefügt-Gefügtes, Zusammengebasteltes, Gefundenes. Stein entwickelt die Idee von der Bewegung der Wörter in Abhängigkeit von dem auf sie ausgeübten (Lebens)Druck weiter. Sie verknüpft sie mit der Frage nach der Verbindung von Sätzen und Emotion. Hier führt sei eine spannende Unterscheidung ein: der Satz hat keine Emotion, so Stein. Die Emotion trägt der Absatz. Er kann dies, weil er über Anfang, Mitte und Ende verfügt. Nur Folge und Abfolge erzeugen Gefühl:
„Ein Satz ist in sich selbst drinnen durch sein inneres Halten von Gleichgewicht, denken Sie nur wie ein Satz von seinen Satzteilen gemacht wird, und Sie werden verstehen dass er nicht von einem Anfang einer Mitte und einem Ende abhängt sondern davon, dass jeder Teil seinen eigenen Platz braucht, um sein eigenes Gleichgewicht herzustellen, und aus diesem Grund gibt es im Satz keine Emotion, gibt ein Satz keine Emotion ab. Aber ein Satz nach dem anderen kommend ergibt eine Abfolge und die Abfolge sofern sie einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat wie ein Absatz es hat bildet schafft und begrenzt sehr wohl eine Emotion.“ (Gertrude Stein, Erzählen)
Das Augenmerk fällt auf den Verkettungs-Rhythmus eines Textes. In unserem traditionellen Gattungssystem geht dies offensichtlich die Poesie an, doch folgt man Stein, ist die „Prosa“ nicht minder gemeint und gefragt. Hier begegnen die Gattungen sich; ihre Spielräume mögen unterschiedlich sein. Mit Stein weitergedacht: Auf welche verschiedenen Arten und Weisen, deren groben Umriss die Grammatik definiert und deren Spielraum die Literatur erweitert, kann man sich über diesen Spalt hinwegbewegen? Welche Rolle spielen das Sprachprinzip Satz-um-Satz und seine Auflösung für Gedichte? Wie stark und in welchem Sinn hängt der Gefühlsradius, auch die Gefühlsdichte, eines Gedichtes von seiner Syntax ab?
Das innere Gleichgewicht (Stehen, Blick der Worte/des Satzes nach innen). Die Verkettung (Anschlussstellen, Sprünge, Emotionen): Der immer doppelte Fort-Schritt mit jedem Wort. Denkt Gertrude Stein.
Und sagt Gertrude Stein - durch Ernst Jandl. Es scheint mir kein Zufall, dass gerade er ihre Gedanken zu dem, was sie „narration“ nennt, übersetzte. Denn da ist sie, die Grundspannung von Gedichten: ihr „Schweben in sich“ – das innere Gleichgewicht eines Verses, einer Fügung, Fügung um Fügung – und ihre zeitliche Struktur, ihr „narratives“ oder „absatzhaftes“ Wesen, das nach unseren Gefühlen greift.