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Kurze essayistische Arbeit
Eine Fiktion
Oktober 2012
Am einem 30. Juli tropft in der Küche eines ehemaligen Bauernhofs, sagen wir in der Lövenicher Straße 22 in Linzenich (einem Weiler ungefähr in der Mitte zwischen Köln und Sistig gelegen) ein Wasserhahn. Ein RDB-Experte, nennen wir ihn Norbert Schöne, feiert bei früheren Freunden Rolf Dieter Brinkmanns – dem Künstler Heringson-Fronstart und der Schriftstellerin Tina Trommler – den glorreichen Abschluß einer Doktorarbeit über den 1940 in Vechta geborenen und 1975 in London tödlich verunglückten Brinkmann. Bensch, Kraus und ich gehören zu den vielleicht zwanzig von Schöne persönlich bekochten Gästen, die ab 15 Uhr aus Mainz, Frankfurt, Köln, Sistig und anderen Orten eintrudeln. Ich bewundre den mit gespaltenem Holz, Kübelpflanzen, Skulpturen und mit Öl auf Leinwand gemalten Bildern gestalteten Innenhof, in Wahrheit ein Open-Air-Atelier, rede mit Maria Mies über Hadayatullah Hübsch, rauche selbstgedrehte Zigaretten, betrachte die Bilder aus den 1970er Jahren, die Heringson-Fronstart im einstigen Saustall anläßlich der Feier ausgestellt hat: darunter auch ein erst in den letzten Jahren entstandenes Porträt Brinkmanns sowie ein Selbstporträt des Künstlers, nackt hinter einer dunklen Tür stehend. Derweil tropft irgendwo ein Wasserhahn, unermüdlich, in einem fort, wie tropfende Wasserhähne (bzw. die dazugehörigen undichten Stellen) das so zu tun pflegen. Wasser auf dem Boden der Küche, immer mehr, wie ich feststelle, als ich nach dem Tee sehen will, den Tina aufgegossen hat. Ich knie vor der Spüle nieder und schaffe innerhalb der nächsten fünfzehn Minuten einigermaßen Abhilfe, was die Hausherrin, naturgemäß, sehr erfreut. Und auch sonst ist es eine durch und durch gelungene Feier, während der ich, spontan vor dem Abendessen von Tina Trommler dazu aufgefordert, Gedichte von Rolf Dieter Brinkmann vorlese, die Heringson-Fronstart nicht besonders geglückt findet, was alle anderen wiederum ganz besonders lustig finden, jedenfalls lachen sie (unisono) – warum? Ein lebendiges, ja, temperamentvolles, bisweilen heftig kontrovers geführtes Gespräch in großer Runde setzt ein (ein Franzose ist erschüttert, das wäre in Frankreich impossible), das im kleinen Kreis so gegen Mitternacht zu Ende geht. Am 26. August erhalte ich einen Brief von Tina Trommler, in dem sie u.a. schreibt: Es geht eigentlich auch gar nicht um den Wasserhahn. In Brinkmanns Gedicht Ein Tag an der Grenze (Westwärts 1 & 2, S. 23/24) heißt es: Poetisch: um den kaputten Wasserhahn wird / Hanf gedreht, eine Dichtung. Warum habe ich diese Verse vergessen, die ich am 28. August 2011 (zum wievielten Male?) lese? Am 30. August lese (überfliege) ich zum zweitenmal die jeweils 366 Gedichte für die beiden Lyrikkalender, die Shafiq Naz auch in diesem Jahr herausgibt. Am 31. August schreibe ich, u.a. eingedenk Gottfried Benns Diktum Man muß das Material kalt halten, das Gedicht sichtung · zoff · doch glatt gelogen. Am 18. September lese ich wieder einmal Brinkmanns Gedichtband Gras und stoße im Gedicht 19. Juni 1969 auf den ebenfalls vergeßnen Vers Der Wasserhahn tropfte. – – – So sind wohl manche Sachen, / Die wir getrost belachen, / Weil unsre Augen sie nicht sehn …
sichtung ∙ zoff ∙ doch glatt gelogen
[eine installation]
buchlaus kraus ist baff verwundert:
ein kurioser wildwestern
in dem regen schwappt
am end brennt noch die sonne –
ein sehr furioser lebensabschnitt
startet ∙ gestern
pflügt kraus tief ∙ mit knapp sechzig watt
– das bild hängt schief –
durch hundert und mehr gedichte ∙
von wegen dichtung klappt
falls fasern um kaputten kran gewunden
und werkstoff straff gezogen