Literatürk

Interview

Im Gespräch:
Gerrit Wustmann Semra Uzun-Önder
 

Interview

Deutsch-Türkisches Literaturfestival Literatürk. Gerrit Wustmann im Gespräch mit Semra Uzun-Önder

Deutsch-Türkisches Literaturfestival Literatürk findet 2012 erneut in Essen statt

Zum achten Mal findet vom 1. Bis zum 7. Oktober 2012 in Essen das deutsch-türkische Literaturfestival Literatürk statt. Highlights sind unter anderen Ahmet Ümit und Mario Levi, die aus ihren Werken lesen werden. Im Interview spricht Semra Uzun-Önder, Mitbegründerin des Festivals, über das, was den Zuschauer erwartet.

Literatürk findet im Oktober 2012 zum achten Mal statt – was erwartet den Zuschauer?


Semra Uzun-Önder

Semra Uzun-Önder: Die Zuschauer erwarten in diesem Jahr mehrere Highlights. Zum einen steht Literatürk  in diesem Jahr unter dem Motto Kriminalliteratur, zum anderen geht es um eine literarische und filmische Verarbeitung der deutschen und türkischen Zeitgeschichte, der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es wird eine lange Nacht der SozioKultur mit Literatur, Film und Musikbeiträgen geben, und wir haben Poetry im Programm. Konkret heißt das, um nur einige Programmpunkte zu nennen: Wir eröffnen mit der Premiere des neuen Dokumentarfilms von Can Dündar, einem der renommiertesten Journalisten, Autoren und Filmemacher der Türkei. Gewidmet ist dieser Film dem  Studentenführer Deniz Gezmis und seinen Freunden, die während der 68er-Bewegung in der Türkei das politische Klima wesentlich mitgeprägt haben und in jungen Jahren zum Tode verurteilt wurden. Mario Levi, ein in Istanbul geborener Sohn jüdischer Eltern, setzt sich mit den Folgen der Militärdiktatur der 1980er Jahre auseinander, indem er der Frage nachgeht: „Wo wart ihr als die Finsternis hereinbrach?“ In seinem gleichnamigen Roman schildert er das Leben der Menschen in der Metropole am Bosporus aus der Sicht eines alteingesessenen Juden. Am Sonntag freuen wir uns auf eine ganz besondere Abschlussveranstaltung mit Ahmet Ümit, dem Autor, der den türkischen Kriminalroman literaturfähig gemacht hat, und einer unter der Regie des Dramaturgen und Theaterregisseurs Christian Scholze in Zusammenarbeit mit der Theatergruppe "Des Pudels Kern" inszenierten Lesung des Kriminalromans „Nacht und Nebel“. Ahmet Ümit stellt im Anschluss einen neueren Roman vor, der bisher nicht übersetzt wurde. Eigens für Literatürk haben wir allerdings einen Auszug übersetzen lassen. Von Montag bis Sonntag wird allerorts und allerlei gelesen, vom Krimi zum Sachbuch über Lyrik bis hin zum Roman. Es gibt interessantes zu sehen, gute Musik zu hören und spannende Momente zu erleben.

Wie entstand das Festival, welche Idee steckt dahinter?

Semra Uzun-Önder: Es gab bundesweit kein Festival in dieser Form. Die Kultur der Migranten war unterrepräsentiert,  vor allem im Literatur- und Verlagsbetrieb. Wir haben uns im Veranstaltungsangebot nicht wiedergefunden. Also haben wir beschlossen, dieses Festival zu gründen. Dabei war es uns wichtig, nicht ausschließlich ein Festival von Migranten für Migranten zu organisieren, sondern einen wertvollen kulturellen Beitrag zu leisten, indem alle, die kreativ sind, zu Wort kommen und ihre Werke einem breiten Publikum vorstellen können. Einen Schwerpunkt stellt die Literatur aus der Türkei dar. Es gibt sehr viele Schätze, die  wir unserem Publikum präsentieren, und sie nehmen es mit großem Interesse auf.

Bei Literatürk werden regelmäßig auch Schulen eingebunden – wie reagieren die Schüler darauf? Immerhin gilt Bücherlesen nicht zuletzt im Rahmen des Deutschunterrichts nicht unbedingt zu den hippen Freizeitbeschäftigungen…

Semra Uzun-Önder: Das stimmt. Ich denke aber, es kommt auch darauf an wie das Lesen, wie Bücher vermittelt werden. Wir veranstalten von Anfang an Lesungen an Schulen und bekommen ein sehr gutes Feedback von den Schülern und den Lehrern. Ich führe das darauf zurück, dass die Lesungen aus einem interaktiven Austausch zwischen den Schülern und den Autoren bestehen. Die Schüler identifizieren sich mit den Autoren. Sie stellen fest, sie sind nicht allein mit dem, was sie empfinden und was sie beschäftigt.  Da  sitzt ein Autor, der von ihrer Wirklichkeit berichtet und darüber ein Buch geschrieben hat. Das interessiert  sie natürlich. Wir bemühen uns stets bei der Auswahl der Bücher auf den Bezug zu der Lebenswelt der Jugendlichen zu achten. Hinzu kommt, dass es auch sehr aufregend ist jemanden kennenzulernen, der bekannt oder berühmt ist. Das lässt bei vielen Schülern den Gedanken aufkommen: Das kann ich vielleicht auch.

Eines der Ziele von Literatürk ist auch der interkulturelle Austausch – wie kann es gelingen, Vorurteile abzubauen?

Semra Uzun-Önder: Jeder Mensch hat Vorurteile und diese abzustellen ist oft schwierig. Ich denke, es ist ganz hilfreich, wenn sich die Menschen ihren Vorurteilen ganz bewusst stellen und sie immer wieder einer Realitätsprüfung unterziehen. Dann nämlich stellt man oft fest, dass die Vorbehalte unbegründet sind. Wir bieten eine gute Plattform dafür. Die unterschiedlichsten Menschen treffen sich, haben einen unterhaltsamen Abend, stellen Fragen, tauschen sich aus und am Ende des Abends stellen sie fest, sie hatten gemeinsam eine schöne Zeit und jeder nimmt für sich ganz neue Eindrücke mit nach Hause.

Bisher wird eher wenig türkische Literatur ins Deutsche übersetzt – woran liegt das, und wie kann man es ändern?

Semra Uzun-Önder: Dafür gibt es ganz vielfältige Gründe. Dass bisher wenig türkische Literatur ins Deutsche übersetzt wird ist nur ein Aspekt einer Reihe von Ursachen, die im Idealfall ineinandergreifen und dazu führen, dass ein aus dem Türkischen Übersetzer Titel bei Ihnen oder mir auf dem Nachttisch liegt. Sicher spielt in der Beantwortung dieser Frage auch eine Rolle, welchen Stellenwert Bücher als Kulturgüter insgesamt genießen. Das Lesen nicht hipp sei, denken nicht nur Schüler. Davon abgesehen sind Übersetzungen das A und O in diesem Prozess und ein wichtiges Anliegen des Literatürk-Festivals. Wir nehmen ganz bewusst jedes Jahr ein bis zwei Bücher ins Programm, die bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden und lassen Übersetzungen anfertigen, die wir auch Verlagen zur Verfügung stellen.

Bis auf Orhan Pamuk hatte Literatürk inzwischen fast jeden großen Namen der türkischen Gegenwartsliteratur zu Gast. War es schwierig, Autoren wie beispielsweise Murathan Mungan oder Ahmet Ümit zu gewinnen?

Semra Uzun-Önder: Literatürk ist das erste und renommierteste unter den ganz wenigen türkisch-deutschen Literaturfestivals in der Bundesrepublik, mit einem qualitativ hochwertigen Programm, das auf ein breites Interesse stößt. Das spricht sich nicht nur unter den Zuschauern, sondern auch unter den Autoren rum...



Exklusivbeitrag

Gerrit Wustmann liest am 03.10. um 17 Uhr gemeinsam mit Lütfiye Güzel im Kulturzentrum Grend