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Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha
Madame Schoscha (Barcelona) - Herr Altobelli (Berlin) - 1.Brief
Mit Illustrationen von Gastón Liberto (Barcelona) und Larisa Lauber (Berlin)
Illustration: Gastón Liberto
Barcelona, Oktober 2012
So dankbar bin ich Ihnen, mein lieber und geschätzter Herr Altobelli, für Ihre freundlichen Zeilen, die mich zu den einzig trüben Tagen des Jahres hier erreicht haben. Es ist regelrecht verstörend als Neuling in Barcelona den Jahreszeitenwechsel mitzuerleben. Wo, seitdem ich hier bin, immer nur die Sonne schien, fällt nun der Regen aus einem düsteren Himmel wie ein wildes Tier über die Stadt her. Frisst sich durch Schönwetterdächer, Wände und Zimmerdecken und gurgelt beunruhigend aus überlaufenden Gullydeckeln. Nicht gefasst auf diese klimatische Trostlosigkeit, stürzt man unerwartet aber automatisch in korrespondierende Stimmung: düster und kalt. Jage ich am Fenster lustlos den Vögeln mit meinen Blicken nach. Versuche dabei nicht den Faden zu verlieren. Paradoxerweise jubelt gleichzeitig die heimwehgeplagte Seele. Nach all den Monaten unter diesem ewig leuchtenden Azur, das sich sonst über die Stadt spannt, erinnert sie sich nun an die wettergefärbte Stimmung aus der vermissten Heimat. An das düstere, kalte Berlin im Herbst, Winter und, wenn wir ehrlich sind, meist auch im Frühling. Das einem alljährlich jede Lebensfreude aus der Brust reißt und dennoch, eben dennoch "zuhause" ist. Und alles aus der Heimat, und sei es noch so düster, ist tröstlich wie ein flauschiger Muff, in den man das in der Fremde auskühlende Herz legen mag.
Aber ich will Ihnen nicht schon wieder Ihre bestimmt schon blutenden Ohren beduseln. Viel lieber schreibe ich Ihnen, wie gern ich Ihren Brief gelesen habe. Ich hörte dabei im Geiste Ihre Stimme, sah Sie vor meinem inneren Auge, mit Ihrem verwilderten Haar, ob all der grüblerischen Gesten Ihrer Hände darin. Und dabei fiel mir eine Formulierung bei Thomas Mann ein, „jedes Wort springt ihm so rund und appetitlich vom Munde, - ich muß immer an frische Semmeln denken, wenn ich ihm zuhöre“, die so gut auf Sie, aber auch so überaus vorzüglich zu meinem heutigen Thema passen mag:
Spanien und Katalonien sind sich, wie Sie wissen, in nicht vielen Dingen einig. Gerade jetzt zur glühendsten Wirtschaftskrise, drängt Katalonien auf noch mehr Unabhängigkeit, auf einen selbstständigen, katalanischen Staat. "Wir sind nicht Spanien", steht hier an jede Wand geschmiert, in jedes Gesicht geschrieben. Aus den Fenstern hängt die im Küstenwind flatternde senyera, die katalanische Flagge, gelb-rot gestreift. Und dass ich als Ausländerin höflich bemüht bin, mich auf Spanisch zu verständigen, wird hier weniger mit Wohlwollen, als vielmehr mit der Frage quittiert, wann ich endlich das hiesige Katalanisch (català) lerne. Wann nur, ja, wann? Doch zumindest in einer Sache sind Spanier und Katalanen sich einig. Im Fundamentalsten einer Kultur, dem täglich Brot. In diesem Fall: Dem bocadillo.
Vielleicht erinnern Sie sich, auf einer Ihrer Spanienreisen vor Restaurants, Bars und Kneipen Plakate enormen Ausmaßes gesehen zu haben, auf denen belegte Baguettebrote in allen nur erdenklichen Variationen abgelichtet sind: Mit Schinken, Tortilla, Chorizo, Tintenfischringen ect. Wenn Sie sich hier so etwas bestellen, ist das Brot meist frisch, so dass die Kruste beim Hineinbeißen kracht und die Krümel um ihren Mund splittern, das Olivenöl vorzüglich und die Zutaten à la minute zubereitet, also noch warm. Wenn sie Pech haben, ist das Brot alt und gummigleicher Natur und das Fleisch ein Stück Lende aus einer einäugigen Straßenkatze.
Für uns in Deutschland ist ein solch belegtes Baguette nicht mehr als etwas das man achtlos beim Bäcker kauft und zwischendurch hektisch verschlingt. Aber hier ist das bocadillo mehr. Obwohl es denselben Zweck erfüllt und tatsächlich meist nur als Zwischenmahlzeit (oft zwischen Frühstück und Mittagessen, dem almuerzo, so gegen elf) gegessen wird, ist es hier dennoch ganz anders verwurzelt. Vielleicht ist es mit dem Brauch des Vespers vergleichbar, der in Süddeutschland gelebt wird. Oder mit der, von einigen sehr geschätzten Butterstulle, die seit ein paar Jahren in manchen gastronomischen Bereichen eine gewisse Renaissance erfährt. Dennoch fand ich in Deutschland keine wirkliche Entsprechung. Verstehen Sie mich richtig, das bocadillo ist und bleibt nur ein belegtes Brot. Und dennoch - es ist diese Kombination aus selbstverständlich gelebter, alltäglicher Tradition und einer tief verankerten, unbewussten, beinahe möchte ich sagen, zärtlichen Wertschätzung der Einheimischen im Umgang damit.
Wie zum Beispiel morgens in der U-Bahn jeder Katalane und Spanier, der etwas auf sich hält, sein in Alufolie gewickeltes und in der Kiezbar seines Vertrauens gekauftes bocadillo in der Hand oder unter den Arm geklemmt trägt. Oder wie es verlockend aus ledernen Handtaschen blitzt. Oder wie jeder der bocadillo-Pause macht, in diesen Minuten für niemanden zu sprechen ist, und stürze dabei gerade die Welt ein. Oder wie pünktlich zur Halbzeit im Fußballstadion wirklich jeder sein mitgebrachtes Baguette auswickelt. Wer längere Zeit irgendwohin unterwegs ist, hat in jedem Fall e i n e n Notnagel im Gepäck: Das bocadillo. Oder es wird zwischendurch in irgendeiner Eckkneipe frisch bestellt.