Literatur und Demokratie

Essay

Autor:
Jan Decker
 

Essay

Über den Versuch, ein Gedicht auf Kim Jong Un zu schreiben

Dezember 2012


Literatur muss aus dem Wollen entstehen. Wo sie erzwungen ist, wirkt sie konturlos und fad. Erzwungen wird sie vom Autor selbst, nicht von der Gesellschaft – sehen wir von Huldigungsgedichten an den nordkoreanischen Staats- und Parteiführer Kim Jong Un ab. Dem Gedicht kommt in der Demokratie eine besondere Bedeutung zu, weil es das reinste Wollen ist. Es hat das Poetische selbst zum Gegenstand. Ein Gedicht auf Kim Jong Un hieße, das Unmögliche zu wollen.

Der Literatur sind in der Demokratie ansonsten keine Schranken gesetzt. Sie liegen allenfalls in der Einbildung des Autoren, sein Schaffen sei so und nicht anders erwünscht. Ein Spannungsverhältnis zwischen Wollen und Können besteht in der Demokratie immer fiktional, während es in einem gesellschaftlich-repressiven System real besteht. Wir müssen in der Demokratie von individuellen Maßstäben reden, wenn wir von Literatur reden. Wann gab es in der Demokratie schon einmal eine Massendemonstration für ein Gedicht? Andererseits: Hätte der Autor es einfacher, wenn sein Können von der Gesellschaft vorbestimmt wäre? 

Der Raum, auf dem man es in der Demokratie nun abstellt, wenn man von Literatur redet, hat eine gewisse Flüchtigkeit. Es ist die Stimme des Autors. Die Demokratie wartet ab und lauscht. Das ist ihr vornehmes Recht. Eine Literaturdemonstration meint in der Demokratie nicht das Protestieren auf der Straße, sondern das Präsentieren einer Autorenstimme. Auch hier ist das Gedicht die reinste Form. Eine Probepackung Literatur.

Alle anderen Formen sind in der Demokratie nur Wucherungen und Verwässerungen der Autorenstimme. Sie sind beliebter als das Gedicht, weil sie mit gesellschaftlichen Massenritualen einhergehen, dem Gang ins Theater oder dem Klick beim Online-Buchhändler. Außerdem ist die Demokratie selbst eine verwässerte Form, die aus diesem Zustand eine Tugend macht. In Nordkorea ist die Ungleichheit der Genres aufgehoben. Huldigungsgedichte erleben Massenauflagen. Die Wucherung besteht im immer gleichen Gegenstand: Kim Jong Un.

Was gibt die Demokratie dem Autor also vor? Ein Formdenken vor dem Stoffdenken, das Ausformen der eigenen Stimme, die sich dann an alle möglichen Gegenstände heften kann, und in Kleinst- oder Massenzüchtungen freigesetzt wird. Wirkt Literatur in der Demokratie überhaupt in die Breite? Ja, eben als zartes Echo des Massengeschmacks. In der Demokratie ist der Leser stets unsicher, ob er sich den Namen eines Autors länger als fünf Jahre merken soll. In Nordkorea muss der Leser den Autor lieben.  

Aber nicht nur der Autor steht permanent vor der Gewissensfrage. Der blinde Fleck der Demokratie ist sie selbst. Was sie massenhaft freisetzt, hat sie morgen schon wieder verdrängt. Das Forum, auf dem man eben triumphal demonstriert hat, wird am Morgen schon wieder gekehrt. In der Demokratie ist der Autor von heute der vergessene Autor von morgen. In Nordkorea ist der vergessene Autor von heute der tote Autor von morgen. Der demokratische Zustand hat sein Gutes. Er bringt eine stetige Weiterentwicklung mit sich. Der Autor aus Spanien muss auf den Autor aus Belgien reagieren, und dieser auf den Autor aus Dänemark. Der Autor aus Nordkorea muss auf den Machtwechsel von Kim Jong Il zu Kim Jong Un reagieren. 

Entsteht gleichzeitig nicht eine moralische Harmlosigkeit? Zumindest ist es in der Demokratie kein Vorteil, wenn eine Stimme fest mit einem Gegenstand verbunden ist. Die Politiker werden von der Tagespresse begleitet. Was in den demokratischen Zeitungen zu lesen ist, das ist kein billiges Huldigen, sondern ein merkwürdiges Bestreiten von Abhängigkeiten. Unparteiisch ist auch in der Demokratie niemand, nur die Journalisten müssen es täglich betonen. Autoren haben es einfacher. Mit dem Poetischen selbst haben sie die schweigende Minderheit zum Gegenstand.

Das ist auch die Tücke. Für wen schreibt der Autor: Nur für sich? Dann hört der Spaß schnell auf. Ein Massengeschmack existiert auch in der Demokratie. Der unpopuläre Autor ist ein Widerspruch in sich, und eine prekäre Existenz. Ich will ein Gedicht auf Jean-Claude Juncker versuchen, den Vorsitzenden der Euro-Gruppe. Sollte es mir gelingen, habe ich mich wirksam in die Demokratie eingebracht. Warum sollte man nur in Nordkorea für die Massen schreiben?

Erster Versuch, ein Gedicht auf Jean-Claude Juncker zu schreiben


Du Sohn eines Hüttenwerkspolizisten

Und stolzer Lenker der Euro-Gruppe

Mit 49 Preisen geehrt

Verteidige die Währungsunion

In diesen stürmischen Tagen

Gib uns sicheres Geld

Der wir dir unsere Stimme geben

Dass nicht nur Luxemburg

Sondern ganz Europa Steueroase wird

Dafür wählen wir dich und

Rufen deinen klingenden Namen

Jean-Claude Juncker

 

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