Monatskolumne
Und sie schenkten sich nichts
Neulich traf ich eine Bekannte. Ich war gerade auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken, unter anderem für meine katholische Freundin, und fragte, ob sie denn schon alle Geschenke habe, worauf die Bekannte antwortete, sie schenken sich dieses Jahr nichts. Das hätten „sie“ so entschieden. Sie würden sich einen Wohnzimmertisch kaufen, als gemeinsames Weihnachtsgeschenk. Warum keine gemeinsame Grabstelle, das wäre romantischer gewesen, dachte ich. Dann setzte sie noch hinzu. Letztes Weihnachten hätten sie das auch schon vereinbart, aber Sebastian, ihr Mann, habe sich nicht daran gehalten, und ihr einen Pullover geschenkt, einen roten, obwohl sie schon viele rote Pullover habe. Aber zum Glück konnte man den noch umtauschen.
Sebastian ist ein guter Kumpel von mir. Er heißt aber nicht wirklich so, ich wollte ihm nur den Namen eines aus der Kunst- und Kirchengeschichte bekannten Märtyrers geben. Ich stellte mir vor, wie sich Sebastian trotz des Geschenkverbots auf den Weg machte, um seine Frau mit einer Kleinigkeit zu überraschen. Unterm Weihnachtsbaum sieht sie ein Päckchen liegen, worauf er die erste Rüge erhält, weil er sich nicht an die Vereinbarung gehalten hat. Wie unsensibel von ihm, sie in eine solche Situation zu bringen. Sie habe nämlich kein Geschenk für ihn. Dann wickelt sie das Geschenk aus. Ein roter Pullover! Ob er denn nicht wisse, daß sie schon genug rote Pullover habe. Wenigstens sei der Kassenbon noch da. Paare, die an diesem Punkt angelangt sind, sollten nicht so tun, als wären sie noch eins. Ich kenne das von meinen Eltern. Da gibt es übrigens eine lustige Anekdote: Meine Mutter schenkte meinem Vater auch mal eine Kleinigkeit, obwohl sie ebenfalls vereinbart hatten, sich nichts zu schenken, worauf mein Vater solange rumbrüllte, weil er kein Geschenk für sie hatte, bis meine Mutter zu weinen anfing. Ok, so lustig war die Anekdote jetzt doch nicht. Aber inzwischen schenken sie sich wieder was. Ganz offiziell.
Beim Schenken geht es bekanntermaßen nicht darum, unbedingt viel Geld auszugeben, sondern um diese gewisse Kleinigkeit, für die man ein paar Gedanken an seinen Partner verschwenden muß. Doch wenn man einen Kredit abzuzahlen, Kinder großzuziehen und einen neuen Wohnzimmertisch zu erwerben hat, wäre das vielleicht zu viel verlangt. Ich hörte der Frau meines Kumpels immer noch zu. Mit jedem Satz fielen die zwischenmenschlichen Temperaturen um ein Grad. Wenn ich mir keine Erfrierungen zuziehen wollte, war es jetzt an der Zeit, das Gespräch zu beenden. Mir war klar, mein Kumpel ist in die frostigen Hände einer Eiskönigin gefallen. Als ich einst Thälmannpionier gewesen war, forderten wir Freiheit für Nelson Mandela. Die Generation vor uns Freiheit für Angela Davis. Beide kamen irgendwann frei. Im Fall von Sebastian sehe ich allerdings schwarz.
Sich beim Schenken Gedanken zu machen, muß aber nicht heißen, dem anderen unbedingt etwas Gutes tun zu wollen, dachte ich, als ich die Frau meines Kumpels hinter der nächsten Straßenbiegung verschwinden sah. Wenn ich zum Beispiel merke, jemand liest keine Bücher, kann derjenige sich schon mal über den „Zauberberg“ freuen. Und meine katholische Freundin lebt seit Jahren in der vorweihnachtlichen Bedrohung, daß es dieses Jahr soweit ist mit den Latexstrapsen. Mein Freund Peter wiederum hat sich dieses Jahr von mir ein T-Shirt gewünscht, mit irgendwas drauf, egal was, sagte er noch. Er weiß ganz genau, daß mir das ästhetisch zuwiderläuft. Falls ich T-Shirts als Kleidungsstücke überhaupt in Betracht ziehe, dann einfarbige, ohne Schriftzug, Logo und Bilder. Ich habe im Internet recherchiert. Es gibt Tausende von T-Shirt-Anbietern, die ihre T-Shirts nach Themen kategorisieren. Gewisse Design-Einfälle wiederholen sich aber immer wieder. So sieht man als Aufdruck die Abfolge der Evolution vom Affen, zum knüppelschwingenden Menschenaffen, zum speertragenden Frühmenschen, bis hin zu einem Saxophon spielenden Jetztmenschen. Das fand ich in der Kategorie „Musik“. Diese Idee in Variation kam auch in der Kategorie „Sex“ vor. Was der Jetztmensch dort trägt und schwingt, brauche ich nicht auszuführen. Und langsam formte sich in meinem Kopf eine Kategorie für Menschen, die auf ihrer Stufe der Evolution immer noch in der Lage waren, bedruckte T-Shirts zu tragen. Aber es zeugte von der Tiefe unserer Freundschaft, daß ich ihm schließlich ein T-Shirt bestellte, auf dem ein riesiges Hasengesicht zu sehen war, und in dem er aussehen würde, als wäre er gerade einer Behindertenwerkstatt entlaufen. Es firmiert unter dem Namen „Bunny face“ und ist ein amerikanisches Markenprodukt. Das paßte, wie mir schien, eigentlich ganz gut zu Peter.
Ein paar Tage später traf ich einen sehr eiligen Sebastian. Er hatte Schnupfen und machte einen gestreßten Eindruck. Er habe sich in verschieden Kaufhäusern nach Wohnzimmertischen umgesehen, sagte er. Und jetzt suche er noch eine Kleinigkeit für seine Frau, obwohl sie ja vereinbart hätten, sich nichts zu schenken. Ich weiß, sagte ich, falls ich ihm aber einen Geschenktip geben dürfte, dann würde ich ihr einen roten Pullover schenken, nur den Kassenbon sollte er vorher verschwinden lassen.