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Portrait
Unterwegs mit gespaltenem Schädel
Januar 2013
Die neue Hoffnung der Berliner Lyrik-Szene heißt Max Czollek. Das jüdische Erbe seiner Familie und sein Verhältnis zu Deutschland sind seine großen Themen.
Samstagabend, 19:30 Uhr. Max Czollek steht am S-Bahnhof Charlottenburg und wartet schon. Er ist pünktlich, sogar zehn Minuten vor der Zeit da. Czollek, ein hochgewachsener junger Mann mit festem Händedruck, kommt gerade aus Babelsberg, wo er in den letzten Tagen eine Weiterbildung in „social justice“, einem Kurs in angewandter Antidiskriminierung, gemacht hat. Am Montag soll er in Heidelberg sein, am Dienstag muss er nach Lateinamerika. Jetzt hat er Zeit.
Max Czollek zählt zu den vielversprechendsten Nachwuchsdichtern aus Berlin. Der Lyrikband „Druckkammern“ ist seine erste Einzelveröffentlichung. Sie ist im kleinen Verlagshaus J. Frank erschienen und ging in die zweite Auflage, das ist für einen Lyrikband schon eine Auszeichnung. Auf kleinem Raum schneidet er die großen Themen einer bewegten Familiengeschichte an: Sein Vater starb früh, sein Großvater war im KZ. In Deutschland geboren, fühlt er sich immer in die Ferne gezogen, ist ständig unterwegs.
Was an Max Czollek sofort auffällt, ist das wache, jungenhafte Gesicht, gebrochen durch einen Fusselbart, der den 25-jährigen deutlich älter erscheinen lässt. Die gut eingelaufenen Sneaker und der abgewetzte Rucksack verstärken den Eindruck, dass dieser Dichter sich nicht in seiner Studierstube versteckt. Er ist Gründungsmitglied einer Gruppe von jungen Berliner Lyrikern, die sich vor zwei Jahren unter dem Namen G13 zusammengetan hat. Sie mischen seit Kurzem die Lyrikszene auch außerhalb Berlins auf: Mit einer ersten Anthologie im Gepäck tourten sie bis nach Freiburg, München und Zürich.
„Das hat sich alles einfach so ergeben“, sagt Czollek schulterzuckend. Sein Weg zur Lyrik war in erster Linie ein emotionaler: Als sein Vater, ein DDR-Liedermacher, starb, war Czollek zwölf. Er hatte dem Sohn am Kinderbett vorgesungen und hinterließ ihm nach seinem Tod schließlich einen Stapel unpublizierter Liedtexte, ein künstlerisches Erbe. Schreiben, Singen und Dichten waren schon immer eine Familienangelegenheit. Eine prägende Figur war auch der Großvater, Walter Czollek, als jüdischer Intellektueller in den Konzentrationslagern Lichtenberg, Dachau und Buchenwald interniert, später Leiter der KPD in Shanghai und Lektor für Zeitgeschichte im Verlag Volk und Welt.
Koffer, Eisenbahnschienen, Wald: Diese Bilder aus dem Band „Druckkammern“ sind weniger harmlos, wenn die Familiengeschichte dem Leser bekannt ist. „hast dir den schädel gespalten/eine palme hineingepflanzt“: Mit diesen harten Versen eröffnet der schmale Band. Er führt in drei Teilen durch Deutschland, die Welt und Czolleks ganz eigene Geschichte. Viele Gedichte sind auf den Reisen des jungen Lyrikers entstanden, in Israel, Jordanien, Bosnien, Griechenland und Kurdistan. „Ich reise, weil ich mich in Deutschland nicht wohlfühle, aber gerade auf Reisen merke ich, dass ich das Land auch nicht loswerde.“ Trotz der jugendlichen Ausstrahlung eines Debütanten, der hier erstmals zarte Schritte auf dem Parkett des Literaturbetriebs wagt, zeigt sich Czollek tief in der Vergangenheit seiner Familie verwurzelt. „er hat gute freunde/wenn es sein muss/denkt er an auschwitz.“ Konzentrationslager, Judenvernichtung und Diaspora sind für Max Czollek keine Begriffe aus dem Geschichtsunterricht, und es macht nachdenklich, wenn er Sätze sagt wie „Die deutsche Sprache ist für mich auch heute noch voller Tretminen.“
Wenn seine Freunde aus dem Berlin Lyrikzirkel das nächste Mal auftreten wollen, wird Max Czollek schon wieder auf Reisen sein. Aber neues lesen kann man von ihm in der Anthologie „40% Paradies“, die im vergangenen Herbst im Wiesbadener luxbooks Verlag erschienen ist. Erschöpft vom Unterwegssein wirkt Max Czollek jedenfalls nicht, eher wie jemand, der ein Thema für sich gefunden hat, das ihn so schnell nicht wieder loslassen wird: Sein Leben als junger, jüdischer Dichter in Deutschland.