Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha
Madame Schoscha (Barcelona) - Herr Altobelli (Berlin) - 5.Brief
Cadaqués, Februar 2013
Illustration von Gastón Liberto (Barcelona)
Welche Freude, mein lieber Herr Altobelli, Ihr letzter Brief! Ich habe Ihn mit viel Genuss gelesen. Besonders Ihre Musikanregungen haben wieder einmal fehlerfrei meinen inneren Ton getroffen. Wie machen Sie das nur? Mein gesamter Liedbestand ist bald von Ihren empfindsamen Antennen erspürt und ausgewählt. Es ist, als tragen Sie einen musikalischen Dolmetscher in sich, mit dem Sie mich und meine Vorlieben übersetzen könnten.
Apropos Vorlieben: Ich befinde mich auf Reisen! Verzeihen Sie mir also, wenn dieser Brief etwas hastig und kurzweiliger ausfallen wird. Ich wollte es mir aber dennoch nicht nehmen lassen, Ihnen von unterwegs – oder gerade von dort - zu schreiben. Auch fordern die Ausführungen Ihres letzten Briefes zum Thema Vorsätze und Hoffnungen eine, von mir so empfunden, bedachte Antwort.
Mit diesem ersten Ausflug im neuen Jahr, erfülle ich mir meinen Vorsatz für 2013: Ich möchte mehr reisen. Nicht so sehr, um in der Ferne irgendetwas zu suchen, als viel mehr, um in der näheren Umgebung etwas Ruhe zu finden. Soviel Hoffnung bleibt. Es gibt sie, die Orte der Stille, auch hier in und um Barcelona herum muss es sie geben.
Die andere Hoffnung, die mit dem Reisen meist unwillkürlich verknüpft ist, etwas oder jemanden oder wenigstens Teile von sich auf dem Weg zu finden, oder aber genau diese auf der Strecke zu lassen, habe ich glücklicherweise aufgegeben. „Reise“ ist „die Fahrt an einen entfernten Ort“, heißt es. Es liegt nahe zu glauben, dass dort, an diesem Ort alles in weite Ferne rückt. Die innere Landschaft aber ist nicht zu verlassen. Klebt an uns, wie ein Schatten. Dabei hegen wir alle wohl immer wieder die stille Sehnsucht, unseren Schatten wie einst Peter Pan, und sei es nur für einen Moment, verlieren zu können. Das uns Anhaftende hinter sich lassen, wie einen Koffer in längst vergessenen Räumen. Darin die abgetragenen Schatten, von denen man glaubte, sie passten nicht mehr. Und die man, wenn man wieder wagt an sich herabzusehen, weiterhin Schicht um Schicht fest an der eigenen Haut kleben findet. Mittlerweile nehme ich meinen alten Koffer immer schon im vornherein mit, stelle ihn mir in den Weg, um regelmäßig darüber fallen zu können. Nach all meinen Reisen, und Sie wissen, es waren viele, habe auch ich die nicht mehr neue Erkenntnis gewonnen, dass man zwar reisen, aber nicht vor sich selbst Reißaus nehmen kann.
Wovor man allerdings Reißaus nehmen kann, möchte man meinen, ist Lärm. Diese Stadt hier gestaltet dieses Unterfangen indes recht schwer. Barcelonas Pegel lässt mich permanent die inneren Regler herunter drehen. Bald werde ich mich gar nicht mehr hören. Um also nicht den Kopf in der eigenen Lautlosigkeit zu verlieren, habe ich mir vorgenommen, so oft wie möglich aus der Stadt, in die Natur zu fahren, einen Augenblick durchzuatmen. Sie werden schon hier Ihre Antwort auf Frischs Frage anklingen hören.
Zuerst aber sollte ich Ihnen endlich meine Koordinaten durchgeben: Ich befinde mich in Cadaqués!
Ein befreundeter Journalist hat mich spontan auf seine Recherchereise eingeladen und ich habe ohne zu Zögern die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, besagten Vorsatz einzulösen und diesen sagenumwobenen Ort, das Juwel der Costa Brava nach Jahren ein zweites Mal erwartungsvoll zu bereisen.
Sie werden von Cadaqués gehört und gelesen haben. Ein reizendes, weiß getünchtes Fischerdorf, mit einer Handvoll Einwohnern. Salvador Dalí hat hier seine Kindheit verbracht und später mit seiner Frau Gala gelebt. Er ließ sich an der Bucht von Port Lligat am Hafen nieder, woraufhin sich der Ort mehr und mehr zum Anziehungspunkt für Künstler (und solche, die es sein wollten) entwickelte: Federico García Lorca, Pablo Picasso und Joan Miró ließen sich hier gerne den tramuntana um die Ohren pfeifen. Die Crème de la Crème der Surrealisten, André Breton, Luis Buñuel, Marcel Duchamp, Paul Éluard, Max Ernst, Man Ray, ließ es sich nicht nehmen, Dalí einen Besuch abzustatten. Ich musste beim Lesen dieser Namen an den erheiternden Band >„Recherchen im Reich der Sinne: die zwölf Gespräche der Surrealisten über Sexualität 1928 – 1932“ denken, den ich vor einiger Zeit höchst amüsiert gelesen habe (bitte tun Sie es mir gleich!) und konnte mir daraufhin nur zu gut vorstellen, wie die Treffen in Cadaqués abgelaufen sind. Die Feste sollen legendär gewesen sein.
Davon angelockt fielen Hippies aus allen Herren Ländern auf ihren VW-Bussen reitend in das Dörflein ein, in der Hoffnung an ihrem Sehnsuchtsort vom großen Meister persönlich entdeckt zu werden. Bis heute sitzen alternde Aussteigertypen deren Dreadlocks an den Hinterkopf gewandert sind, gestrandet am Straßenrand, drehen aus zerknitterten Tabakpäckchen ihre Blättchen zusammen, kraulen das staubige Fell heimatloser Streunerkatzen und verkaufen selbstgeschraubte Armbändchen aus Gabeln und Dosenblech. Sie scheinen weltvergessen akzeptiert zu haben, dass ihre Reise hier zu ende ging.