eingekreist - die Monatskolumne September 2013

Monatskolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Monatskolumne

Die elektrische Fliegenklatsche

September 2013 | Hamburg

Ich habe vor einiger Zeit von meiner katholischen Freundin eine elektrische Fliegenklatsche geschenkt bekommen. Warum? Weil sie mich liebt und weil sie meine leuchtenden Augen im Wohnzimmer ihres Schwagers gesehen haben muß, als dieser nämlich an einer widerrechtlich herumflatternden Motte mit Hilfe dieses Gerätes, das äußerlich einem Tennisschläger glich, ein Exempel statuierte. Er schwang das Ding durch die Luft, als wollte er, Boris Becker imitierend, einen Aufschlag ins gegnerische Feld platzieren. Plötzlich gab es einen Blitz und einen Knall, und dann kreiselten wie ein abgeschossener Doppeldecker im Ersten Weltkrieg die Überreste des vormaligen Flatterlebens Richtung Boden. Welch eine Demonstration! Hatte ich den Schwager für seine Vorliebe für allen möglichen elektronischen Schnickschnack bisher belächelt, mußte ich nun zugestehen, wenngleich erstmal nur still vor mir selbst, daß er da etwas in der Hand hielt, was große Begehrlichkeit in mir weckte.

Zu meinem Geburtstag und zu meiner Überraschung lag jedenfalls die elektrische Fliegenklatsche auf meinem Gabentisch und ich freute mich, wie ich mich schon lange nicht mehr gefreut hatte, auf eine geradezu kindliche Weise über mein neues Spielzeug. Ich riß die Plastikhülle herunter, steckte die Batterien ins Fach und drückte auf den Knopf, sodaß ein Lämpchen aufleuchtete und ein Sirren erklang, worauf mir nun die elektrische Aufgeladenheit des Gitternetzes sowohl optisch als auch akustisch ins Bewußtsein rückte. Da war jetzt Strom drauf! Ich betrachtete entzückt den Schläger und dann meine Umgebung, während ich weiterhin den Knopf gedrückt hielt. Mein Geburtstag ist jedoch im März. Der Frühling hat kaum begonnen. Flora und Fauna sammeln sich noch mühsam zu neuem Leben. Auch keine alte und gebrechliche Fliege war zu sehen, die vielleicht hinter dem Küchenschrank den Winter überlebt hätte, um jetzt durch mich auf elektrische Weise ins Jenseits befördert zu werden. Ach, welche Mordgelüste! Glaubte ich, dergleichen Gefühle nicht sublimiert zu haben? 

Elektronische Fliegenklatsche, Source: Wikipedia

Als Kind war ich ja nicht zimperlich mit Insekten umgesprungen. Dachte man, ich würde im Garten einem friedlichen Spiel oder der staunenden Naturbeobachtung nachgehen, so befand ich mich mal wieder auf einem Feldzug gegen Ameisen, deren Kolonie ich mit einem Stöckchen anbohrte, und deren herausstürmende Verteidigungsarmee ich, sobald die vordersten Spitzen die Betonwegplatten erreichten, mit einem auf sie einstupsenden Lederball dezimierte. Schau mal, wie konzentriert er mit dem Ball spielt. Und dann, plattgestupst klebten die Ameisenkrieger auf dem Beton. Mein Vater schüttelte nur den Kopf über das Verhalten seines Sohnes. Inzwischen schüttle ich ebenfalls den Kopf, weiß aber, seitdem ich diese elektrische Fliegenklatsche besitze, daß die Zivilisiertheit nur eine dünne Hautschicht über dem Rohling darunter ist. Ich war aber auch oft von Insekten geplagt worden. Insbesondere von Wespen. Sie stachen mir in die Lippe, als ich aus meinem Glas trank, und in den Hintern, als ich mich auf die Klobrille setzte. Das war hinterhältig und grausam.

Es verging die Zeit und der August rückte heran. Aus der friedlichen Absicht, unbelästigt ein Stück Kuchen zu essen, entwickelte sich eine Abwehrschlacht, in der ich, wild herumfuchtelnd, meinem Gegner mal wieder nicht viel entgegenzusetzen hatte, bis ich mich an mein Geburtstagsgeschenk erinnerte, die elektrische Fliegenklatsche, die V2 unter den Fliegenklatschen, das Instrument meiner nun folgenden Rache. Ich holte das Gerät, und ja, ich mußte nicht viel tun, die Wespe, in einer Mischung aus Neugier und Aggression, schwebte an das aufgeladene Gitternetz heran, ich machte einen dezenten Schwenk und zack, da klebte sie auch schon dran, noch nicht tot, gewiß, für Insekten dieser Größe ist ein einmaliger Stromschlag kaum ausreichend, bei jedem weiteren krümmte sich ihr Unterleib, und der Stachel stieß ziellos in die Luft, also hielt ich beherzt den Knopf gedrückt, bis es knisterte und, was soll ich sagen, bis es sogar rauchte, doch eine Wespe hat eine gute Kondition, die Spannung meiner Batterien war möglicherweise nicht stark genug, ich mußte an einen Film denken, der die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl so eindrücklich wie möglich den Zuschauern nahebringen wollte, weshalb der Todeskandidat erst nach mehreren Anläufen verschied, ich hielt inne, roch den aufsteigenden Rauch von verbrutzelter Wespe, unsicher darüber, ob und wieviel Leben sich inzwischen darin befand, dann schleuderte ich den Chitinkörper in hohem Bogen vom Balkon, die Ameisen würden die nötige Sterbehilfe schon nicht verweigern.

Es könnte die Geschichte vom Saulus zum Paulus folgen, wenn ich jetzt schriebe, daß ich mich danach nicht unbedingt gut gefühlt hätte und die elektrische Fliegenklatsche aus unserem Haushalt verschwunden wäre. Das ist sie aber nicht. Ich nahm mir stattdessen, wie ein guter Henker, vor, den Übergang vom Leben in den Tod bei der nächsten Wespe so schnell wie möglich geschehen zu lassen, und kaufte frische Batterien. Keine unnötigen Leiden gebietet die Humanität. Obwohl, bei mancher Wespe ist es zumindest denkbar, daß das Leiden auch nötig sein könnte. Was sagte meine katholische Freundin zu diesem Treiben? Ehrfurcht vor dem Leben, sicher, aber eine insektenfreie Wohnung hat auch was für sich. In dieser Hinsicht ist sie eher eine pragmatische Pazifistin. Und dieses Jahr, da diese agilen Mückenmütter förmlich überall zu sein scheinen, lange Wegstrecken auf sich nehmen, um unser Blut anzuzapfen, und, flexibel wie die ostdeutsche Weiblichkeit nun mal ist, alles für ihr Fortkommen tun, bin ich längst zu einem geübten Kleininsektenjäger geworden. Sobald ein nervtötender Fiepton mein Ohr erreicht, schreite ich katzenartig durch den Raum, in der Hand meine elektrische Fliegenklatsche, die ich mit den zielsicheren Bewegungen eines Ninja über meinem Kopf bewege, während rechts und links die Mücken fallen. Killbill ist nichts dagegen. Dies erfordert übrigens eine völlig andere Kampftechnik als mit einer herkömmlichen Fliegenklatsche, mit der man ja voller Wucht auf das anvisierte Insekt drischt, sodaß ein Fleck dort, wo es gesessen hat, fast unvermeidlich ist. Meinem Kumpel Peter jedoch, dem ich zum Geburtstag auch eine Elektrische geschenkt hatte, denn mir schien, er habe nichts dagegen, alle Flattertiere der Nacht, die ihn wie ein pubertierendes Mädchen aufjuchzen lassen, sobald sie um sein kahles Haupt schwirren, tödlich zu elektrisieren, war sie gleich beim ersten Einsatz zerbrochen. Ausnahmsweise hat er von mir eine neue Klatsche bekommen, da kann man mal sehen, wie nett ich bin, und obendrein eine ausführliche Unterweisung in die Taktik des elektrischen Fliegennahkampfes.   

Gott, ja, inzwischen war ich bereits auf Internetseiten unterwegs, in denen ausgiebig erörtert wird, was theoretisch wohl passieren würde, wenn man den 0,1µF-Hochvolt-Kondensator gegen einen 1,0µF-Hochvolt-Impuls-Kondensator beispielsweise der Firma WIMA auswechselte. Vermutlich ließe sich die Klatsche nach dem „Tuning“ auch effektiv gegen Hunde und Jugendliche einsetzen. Aber das ist nicht wirklich mein Begehr. Ich habs doch nur auf die Kleinen abgesehen. Außerdem kann ich nicht löten.[1]

 


[1] Stimmts! Sie haben gelesen, ich könne nicht „töten“. Das ist selektive Wahrnehmung. Sie schätzen mich dankenswerter Weise so ein, daß ich es nicht könnte.