Mein nächtliches Privatkino

Prosa

Autor:
Manfred Chobot
 

Prosa

Mein nächtliches Privatkino - eine Live-Vorstellung

Sommer ist es und heiß ist es auf der Insel Korcula. Das Fenster steht offen. Damit keine Nachtfalter vom Licht angelockt ins Zimmer herein flattern, werden sie von einem grünen Gitter daran gehindert. Jede Nacht eine Live-Vorstellung, wenn ich vor meinem Laptop sitze, um zu arbeiten. In meinem Kino wird allemal geboten: „Gummi-Bärli gehen auf Jagd.“ Die Rahmenbedingungen bleiben zwar gleich, jedoch verläuft die Darbietung immer anders. Mit ihren klebrigen Beinen rennen sie auf dem Fliegengitter umher. Andere lauern am Rand des Rahmens, man sieht bloß ihren Kopf hervorgucken. 90 mal 100 Zentimeter misst meine grüne Kino-Leinwand. Oder sollte ich besser „Bildschirm“ dazu sagen?
Ich nenne die Mini-Krokodile „Gummi-Bärli“ da ihre Unterseite rosa durchschimmernd ist, fast durchsichtig. Den graubraunen Rücken sehe ich nur selten, wenn eines der Geckos unten am Rahmen lauert. Die Kroaten haben ihnen den Namen „Macaklica“ gegeben. Für den Fachmann sind es Schuppenreptilien, soviel weiß sogar der Laie. Heute zähle ich acht Darsteller, sechs lauern auf dem Fliegengitter, zwei lugen vom Rand herein. In meinen Augen sind das die Feiglinge.

Die Falter schwirren umher, bevor sie sich zur Ruhe setzen. Für viele die letzte Ruhe. Manche sehen aus wie fliegende Spitzentücher feinster belgischer Produktion. Andere sind braun oder grünlich von verschiedener Größe. Ein Hechtsprung vorwärts, und die Flügel schlagen umsonst. Kaum jemals gibt es für das Opfer ein Entkommen. Bloß den Anfängern fällt die Beute wieder aus dem Maul, sie müssen schleunigst ihre Fangtechnik verbessern, sonst sind sie demnächst verhungert. Wie im Kasperltheater möchte ich mitunter einem Krokodil zurufen: Dreh dich doch um! Oder: Geh zwanzig Zentimeter weiter! Siehst du nicht den fetten Happen?

Geckos beobachten ist, als würde man das Verhalten von Menschen studieren. Wie unsereins besitzen sie fünf Zehen. Da gibt es den Mutigen, den Draufgänger, der sich sogleich auf das Gitter wagt, während andere noch zögern, vorsichtig mit ihren Beinen das Terrain sondieren. Einer ist ein Zauderer, er läuft lieber weg als auf den Falter zu. Die Frechen schnappen einem anderen den Fang aus dem Maul, bevor der ihn geschluckt hat. Die Gierigen erkennt man leicht, sobald sie in ihrem Bauch bereits zwei „Knödel“ haben, das sind gefressene Insekten. Der Verfressene bekommt nie genug und verjagt einen Mageren, der noch keine Beute erlegt hat. Womöglich ist Darwin dereinst vor einem ähnlichen Kino gehockt und hat zugeschaut und daraus seine Lehren der „natürlichen Auslese“ gezogen. Ich muss nicht die ganze Zeit hindurch zusehen, den Fangsprung hört man, wie im Kino, wenn die Musik dramatisch wird.

In Nächten, wenn nur wenige Falter sich blicken lassen, herrscht eine aggressive Stimmung. Wird einer zornig, hebt er seinen Körper von der Unterlage hoch, macht einen „Buckel“, indem er die Beine ausstreckt wie eine Katze, und bewegt dazu seinen Schwanz bedrohlich. Sogleich zieht der Unterlegene ab und überlässt dem Sieger das Revier. Die frechsten beißen den anderen ins Bein. Das sind die „Wadel-Beißer“. Leider kann ich die Männchen nicht von den Weibchen unterscheiden.

Heute war’s besonders spannend, eine dramatische Szene möchte ich schildern: Auf meinem „Bildschirm“ schwirrt ein fetter Falter. Zwei GBs verfolgen ihn, versuchen ihn zu fangen. Einer schlägt schneller zu. Ein Dritter kommt hinzu, reißt dem Fänger den Falter aus dem Maul. Auftritt eines Vierten. Er reißt dem Dritten den Falter aus dem Maul. Während er ihn frisst, beißt ihn der langsame Zweite ins Bein.

In Hawaii sind Geckos „heilig“. In meinem Kino sind Getränke und Rauchwaren erlaubt. Inzwischen kenne ich alle und werde ihnen entsprechende Namen verpassen!

 

diese Glosse erschien als Originalbeitrag beim ORF