Metaphysik in Anführungszeichen

Interview

Im Gespräch:
Walter Helmut Fritz und Matthias Kehle
 

Interview

Metaphysik in Anführungszeichen - im Gespräch mit Walter Helmut Fritz

Am 9. Juni 1994 führte ich mit Walter Helmut Fritz in dessen Wohnung in der Karlsruher Waldstadt ein kurzes Interview. Hintergrund war, dass eines meiner Prüfungsthemen zur Magisterprüfung sein Gesamtwerk war. Es war meine erste Begegnung mit Walter Helmut Fritz, seine Telefonnummer fand ich im Telefonbuch, er willigte sofort ein, der ihm unbekannte Prüfling durfte ein paar Fragen stellen. Das Gespräch habe ich per Diktiergerät mitgeschnitten, erhalten ist leider nur das Transkript des Interviews. Walter Helmut Fritz konnte das Interview aufgrund seiner Erkrankung leider nicht mehr autorisieren und korrigieren. Sprachliche "Unschärfen", bedingt durch die Gesprächssituation, wurden belassen.

Frage: Sie schreiben: "Jedes Ding, jede Erscheinung, jeder Gegenstand, jeder Vorgang, auch der alltäglichste, jeder ist Aufmerksamkeit wert." Sie beobachten die Dinge sehr genau. Ist es dann nicht ein Widerspruch, wenn Sie schreiben, "aber je genauer man hinsehe, desto mehr ziehe sich das, was man beobachte, zurück"?

Fritz: Das ist tatsächlich der Eindruck, und das wird ja auch immer wieder bestätigt. Von Physikern zum Beispiel, die sagen, dass in dem Augenblick, wo man im mikroskopischen Bereich beobachtet,  sich das Beobachtete unter dem Blick entzieht.

Frage: Beschäftigen Sie sich mit Physik oder Naturwissenschaften?

Fritz: Soweit man als Laie da mitkommt. Ich habe einiges mit Faszination gelesen, ganz früh. Zum Beispiel von Pasqual Jordan ein paar Bücher. Der wird heute für Sie auch kein Name mehr sein. Und dadurch, dass ich regelmäßig in der Akademie der Wissenschaften in Mainz Kollegen treffe - da sind wir einmal im Jahr ein paar Tage zusammen - da sind Physiker dabei, und da geht es oft auch um naturwissenschafte Dinge. Ich erhalte manche Anregung durch Gespräche. Dort wo die Physik ihre philosophischen Ränder hat.

Frage: Verweisen einige Ihrer Texte auf Metaphysik? Gibt es jenseits von Werden und Vergehen eine Metaphysik?

Fritz: Ich denke schon. Es wird allerdings für mich sozusagen nur im Gedicht fassbar, also nicht auf diskursivem Weg. Das ist das Problem jetzt. Obwohl ich manchmal heftige Zweifel habe, ob man überhaupt trennen sollte zwischen Physik und Metaphysik. Ob das unter einem bestimmten Blickwinkel nicht zwei Begriffe für ein und dieselbe Sache sind. So wie es bei anderen Worten auch der Fall ist: Was ist nah, und was ist fern? Was ist Leben, was ist Tod? Dieser Verdacht drängt sich häufiger auf. Es gibt Worte, denen kein wirklicher Sachverhalt entspricht, das heißt nicht dieser Unterschied, den diese Worte zu formulieren scheinen. Die einfachsten Naturvorgänge, wenn man lange genug hinschaut, werden sie gewissermaßen von selbst zur Metaphysik in Anführungszeichen. Ich lese immer wieder, dass die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes für 'Theorie' eben nicht irgendein abstraktes Etwas ist, sondern heißt zunächst 'Anschauung'. Also gerade das Gegenteil von dem, was man erwartet, wenn man den Begriff heute hört. Alle Erkenntnis liegt in der Anschauung, im Blick. Da ist alles ohne Umwege, man sieht viel mehr, tausendmal mehr, vor allem viel rascher, als jede versuchte Erklärung es begrifflich durchdringt undsoweiter. Dieses Sehen zu lernen, ist eine lebenslange Übung. Wahrscheinlich eine Übung, die nach einiger Zeit so selbstverständlich wird, dass man gar nicht mehr anders kann. Es gibt sogar ein oder mehrere Goethe-Zitate, die das sehr schön formulieren, dass in der reinen Anschauung schon alle Theorie, alle Erkenntnis eingeschlossen ist.

Frage: Gibt es nicht auch Dinge, die man zerstört, indem man sie beschreibt oder wenn man über sie redet?

Fritz: Das ist eine Gefahr. Da gibt es wahrscheinlich keine wirkliche Lösung. Wenn man ganz konsequent wäre, müßte man aufhören, Worte zu machen. Aber ganz konsequent ist man ja natürlich nicht. Dadurch ist es noch möglich, durch einen winzigen Überschuss an Inkonsequenz. Das wären zum Beispiel alle Dinge, die innere Vorgänge angehen oder aber Beziehungen zwischen Menschen.


Originalbeitrag


 (mit Dank an Matthias Kußmann für die Vermittlung der Genehmigung zur Veröffentlichung)

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