Kolumne
Die Lyrik Roberto Blancos
Ich hatte mir natürlich Üppigeres erhofft als Salat, wenn es schon kein Honorar gab. Im Entrée traf ich Andreas Holz wieder und die Autorenkollegen, die sich rechtzeitig zum Essen eingefunden hatten. So unterschiedlich wir waren, in der Entlohnungsbereitschaft, und sei es in Naturalien, glichen wir uns. Nach kurzer Begrüßung und erstem Beäugen gingen wir hoch. Der Speisesaal ist auf den Begriff Eierschalenweiß zu bringen. Die Seitenwände sind zum Teil vollverspiegelt. Tisch an Tisch reihte sich auf. So ziemlich in der Mitte nahm ich vor Weißheit der anderen Dinge anfangs gar nicht den warmweißen UdoJürgensFlügel wahr (später um so mehr, als so ein Typ drauf rum klimperte). Auf den Tischen standen goldene Lampen mit milchglasigen Schirmen. Der Blick aus den Fenstern ist mit Seeblick treffend benannt, so heißt das Hotel schließlich. Der ganze Raum glich dem Zwischendeck auf einem Kreuzfahrtschiff. Freunde der Fernsehserie „Das Traumschiff“ kommen hier auf ihre Kosten. Als kritischer Geist, der um so kritischer wird, je geringer das Honorar ausfällt, kam ich auf meine Kosten, indem ich das Ganze als Alptraumschiffatmosphäre bezeichnete. Ich saß in abgeschubbelten Courthosen und T-Shirt am Tisch, betrachtete die verschiedenen Bestecke vor mir, das Tellerchen mit Brötchen und einem Stück Butter drauf, samt Streichmesserchen, und fragte mich, wozu diese Bestecke gut sein sollen, wenn wir nur Salat essen, eine Gabel hätte doch gereicht. Ich folgte mit meinem Teller den anderen zum Salatbüffet. Diverse Schüsseln mit geraspeltem oder in Scheiben und Stückchen zerkleinertem Gemüse standen da, zum Glück auch Wurst und Käsestreifen. Es gab vier verschiedene Sorten von Dressing, rote Bohnen und Linsensalat, Oliven, Rucola und Blattsalat, gehäckselte Radieschen und geschredderte Möhren und alles konnte man sich auf den Teller legen, wobei die Kombination der Zutaten nicht wenig über den Kombinierer verriet. Ob er ein Kenner der geschmackvollen Salatkombination war oder jemand, der sich den Teller mit Wurst und Käsestreifen voll häufte und zur Garnierung noch ein paar Radieschenschnipsel darüber streute. Damit ging ich zurück an meinen Platz, schnitt das Brötchen auf und aß. Der Autor mir gegenüber hatte auch von dem Sushi genommen, ich erkannte ihn, er ist ein erfolgreicher Autor beim C.H.Beck Verlag. Ich bin beim Mitteldeutschen Verlag und mit den Wurststreifen gut bedient. Neben mir saß eine ältere Autorin mit rotgefärbten Haaren. Auch der Mund war sehr rot. Während des Essens zog sie ihn mehrmals rot nach, so daß er nichts von seiner Röte einbüßte. Es stellt sich heraus, daß sie die Autorin des GROßEN BENIMMBUCHES war. In den ersten vier Sekunden entscheide sich, welchen Eindruck wir auf jemanden machen, meinte sie. Da kann ich ihr nur Recht geben. Sie gab auch Motivationskurse auf Kreuzfahrtschiffen. Zu was mußte man motiviert werden auf einer Kreuzfahrt? Ist es nicht die Gelegenheit, einmal völlig unmotiviert in einem Liegestuhl aufs Meer zu schauen. Zumindest scheint dieser Motivationskurs etliche Leute zu motivieren, Geld für einen Motivationskurs auszugeben. Kaum hatte ich meinen Wurst und Käsesalat aufgegessen, kam ein Kellner herangeschnipst und nahm mir den Teller weg. Ich hätte das Bedürfnis haben können, mir einen Salatnachschlag zu holen. Dieser Gedanke wurde unterbrochen von einem weiteren Kellner, der mir einen Teller mit Spätzle und einer Art Gulasch (der sich dem Alter der Hotelgäste entsprechend als extrem salzarm entpuppte) hinstellte. Jetzt war klar, wozu das Besteck da war und sich die andern so wenig vom Salat aufgetan hatten. Mein Lohn stand vor meiner Nase und ich war satt. Denn vom Büffet hatte ich mir ein zweites Brötchen mitgenommen, um den Abend zu überstehen. Ich stocherte im Gulasch herum, der die Wortsilbe lasch verdiente, und salzte kräftig nach. Dann setzte ein dezentes darmtätigkeitsunterstützendes Klavierspiel ein. Ein Medlay aus Evergreens. Der Mann am Klavier war, was nicht mehr verwunderte, mit einem weißen Anzug bekleidet. Er tauchte unauffällig auf, spielte, und verschwand irgendwann wieder hinter dem Dekor. Applaus hätte mich, und wahrscheinlich auch ihn, nur blamiert.
Zwanzig Uhr war die Lesung angesetzt. Andreas Holz meinte, im Vergleich zum letzten Showtalk seien die Vorbestellungen sehr gering ausgefallen. Die schlechte Statistik liege wohl am Fußballweltmeisterschaftsspiel Frankreich gegen Mexiko, gegen das wir heute antreten mußten. Ich denke, es lag an Roberto Blanco, der im letzten Showtalk aufgetreten war. Eine Veranstaltung, die „Acht erfolgreiche Autoren lesen im Showtalk“ hieß, konnte gegenüber Roberto Blanco so erfolgreich sein, wie Nordkorea gegen Portugal. Immerhin wurde ich als Lyriker zu einem erfolgreichen Autor umetikettiert. Die Idee mit den acht Autoren sei übrigens eine spontane Idee gewesen, weil eine andere Veranstaltung ausfallen mußte. Ich war also die dritte Wahl bei einer Veranstaltung, die eigentlich nie stattgefunden hätte. Ich befand mich demnach in einer hochunwahrscheinlichen Situation, und hätte ich bei meinem Soziologiestudium besser in Statistik aufgepaßt, könnte ich sogar die Wahrscheinlichkeit dieser Unwahrscheinlichkeit ausrechnen. Ich fragte Andreas Holz, wie es mit den Freigetränken aussehe. Selbstverständlich seien die Getränke für die Autoren frei, sagte er. Das hob meine Stimmung etwas. Das Publikum, ab sechzig aufwärts, besetzte mäßig die Clubsessel. Die Autoren hatten zwei Tische für sich. Ich bestellte erstmal ein großes Bier. An meinem Tisch saß wieder die rothaarige Benimmbuchautorin, die ihre Hände um ihren Hals gelegt hatte, wegen der Klimaanlage. Sie fürchte, ihre Stimme könne versagen. Wir schwiegen und das war mir auch ganz recht. Mit am Tisch saß eine Krimiautorin, die neben sich einen Papierbeutel mit geschätzt zwanzig Exemplaren ihres neuen Krimis dabei hatte. Damit konnte sie an jeden Gast mindestens ein Exemplar verkaufen. Ich hatte zehn Exemplare meines Gedichtbandes in meiner Reisetasche mitgeschleppt. Ich würde es auf dem Rückweg nicht leichter haben. Nun ließ der Mann an der Technik eine Begrüßungsmelodie laufen. Das Moderatorenduo betrat die Bühne. Sie hatte ein weißes Glitzerkleid an und er einen dunklen Anzug. Es wäre auch umgekehrt in Ordnung gewesen. Sie hätte so intelligent gewirkt, wie sie tief in ihrem Inneren womöglich ist und er seine femininen Seiten noch stärker betonen können. Ich trank meinen ersten Schluck Bier, was mich versöhnlicher stimmte. Ich würde gleich auf die Bühne treten in einem Ambiente, das den Charme eines Puffs aus den späten Siebziger versprühte. John Travolta hätte hier auftreten können, Udo Jürgens war hier aufgetreten, und Roberto Blanco ist es im letzten Monat, und wenn Rex Guildo noch lebte, er würde noch kurz vor Lebensschluß versucht haben, sein Lied von dieser Bühne zu singen. Gleich würde ich dort Gedichte vortragen. Doch vor mir war die Benimmbuchautorin dran. Sie hatte einen neuen Ratgeber geschrieben, der im August erscheinen wird: „Zweiundfünfzig Verträge mit dir selbst“. Ich hatte danach immerhin einen Vertrag mit mir selbst: Lese kein Buch mit dem Titel „Zweiundfünfzig Verträge mit dir selbst“. Als nächstes kam ein Journalist auf die Bühne, der aus Texten seiner überflüssiges Wissen verbreitenden Wissensradiosendung ein Buch gemacht hat.
Hier möchte ich kurz innehalten und geloben, weitere kolumnistische Blutgrätschen gegen meine Kollegen vermeiden zu wollen. Am Ende denken Sie als Leser noch, ich sei unsympathisch, womit sie nicht ganz unrecht hätten.
Zwanzig Uhr war die Lesung angesetzt. Andreas Holz meinte, im Vergleich zum letzten Showtalk seien die Vorbestellungen sehr gering ausgefallen. Die schlechte Statistik liege wohl am Fußballweltmeisterschaftsspiel Frankreich gegen Mexiko, gegen das wir heute antreten mußten. Ich denke, es lag an Roberto Blanco, der im letzten Showtalk aufgetreten war. Eine Veranstaltung, die „Acht erfolgreiche Autoren lesen im Showtalk“ hieß, konnte gegenüber Roberto Blanco so erfolgreich sein, wie Nordkorea gegen Portugal. Immerhin wurde ich als Lyriker zu einem erfolgreichen Autor umetikettiert. Die Idee mit den acht Autoren sei übrigens eine spontane Idee gewesen, weil eine andere Veranstaltung ausfallen mußte. Ich war also die dritte Wahl bei einer Veranstaltung, die eigentlich nie stattgefunden hätte. Ich befand mich demnach in einer hochunwahrscheinlichen Situation, und hätte ich bei meinem Soziologiestudium besser in Statistik aufgepaßt, könnte ich sogar die Wahrscheinlichkeit dieser Unwahrscheinlichkeit ausrechnen. Ich fragte Andreas Holz, wie es mit den Freigetränken aussehe. Selbstverständlich seien die Getränke für die Autoren frei, sagte er. Das hob meine Stimmung etwas. Das Publikum, ab sechzig aufwärts, besetzte mäßig die Clubsessel. Die Autoren hatten zwei Tische für sich. Ich bestellte erstmal ein großes Bier. An meinem Tisch saß wieder die rothaarige Benimmbuchautorin, die ihre Hände um ihren Hals gelegt hatte, wegen der Klimaanlage. Sie fürchte, ihre Stimme könne versagen. Wir schwiegen und das war mir auch ganz recht. Mit am Tisch saß eine Krimiautorin, die neben sich einen Papierbeutel mit geschätzt zwanzig Exemplaren ihres neuen Krimis dabei hatte. Damit konnte sie an jeden Gast mindestens ein Exemplar verkaufen. Ich hatte zehn Exemplare meines Gedichtbandes in meiner Reisetasche mitgeschleppt. Ich würde es auf dem Rückweg nicht leichter haben. Nun ließ der Mann an der Technik eine Begrüßungsmelodie laufen. Das Moderatorenduo betrat die Bühne. Sie hatte ein weißes Glitzerkleid an und er einen dunklen Anzug. Es wäre auch umgekehrt in Ordnung gewesen. Sie hätte so intelligent gewirkt, wie sie tief in ihrem Inneren womöglich ist und er seine femininen Seiten noch stärker betonen können. Ich trank meinen ersten Schluck Bier, was mich versöhnlicher stimmte. Ich würde gleich auf die Bühne treten in einem Ambiente, das den Charme eines Puffs aus den späten Siebziger versprühte. John Travolta hätte hier auftreten können, Udo Jürgens war hier aufgetreten, und Roberto Blanco ist es im letzten Monat, und wenn Rex Guildo noch lebte, er würde noch kurz vor Lebensschluß versucht haben, sein Lied von dieser Bühne zu singen. Gleich würde ich dort Gedichte vortragen. Doch vor mir war die Benimmbuchautorin dran. Sie hatte einen neuen Ratgeber geschrieben, der im August erscheinen wird: „Zweiundfünfzig Verträge mit dir selbst“. Ich hatte danach immerhin einen Vertrag mit mir selbst: Lese kein Buch mit dem Titel „Zweiundfünfzig Verträge mit dir selbst“. Als nächstes kam ein Journalist auf die Bühne, der aus Texten seiner überflüssiges Wissen verbreitenden Wissensradiosendung ein Buch gemacht hat.
Hier möchte ich kurz innehalten und geloben, weitere kolumnistische Blutgrätschen gegen meine Kollegen vermeiden zu wollen. Am Ende denken Sie als Leser noch, ich sei unsympathisch, womit sie nicht ganz unrecht hätten.