Plaudereien auf dem Prosanova II
Juan S. Guse und ich haben vier Jahre lang in verschiedenen WGs miteinander gewohnt. Wir haben eine Küche geteilt und ein Bad und eine X-Box und die unverbrüchliche Leidenschaft für die Currywurst am Real im Hildesheimer Industriegebiet. Ich habe diesen Mann mehr als einmal und öfter als mir lieb ist in meinen Unterhosen gesehen. Ich kann kein normales Interview mit ihm führen. Da ist es ganz gut, diesen Fragenkatalog zu haben. Der trifft alle gleichermaßen, egal in welchen Unterhosen er oder sie steckt.
Andreas: Was ist dein Problem mit Asterix?
Juan: Ich hab‘ nie die Comics gelesen, sondern nur die Sendung geschaut, und da passiert ja im Grunde immer dasselbe. Einerseits gefällt es mir natürlich, dass es so eine Widerstandsgeschichte ist. Aber es ist dann doch jedes Mal dasselbe. Aber das hab ich ja gerade schon mal gesagt. Am Ende räumt der Dicke auf und dann fliegen alle rum wie Team Rocket.
A: Ja, aber das macht ja mega Spaß.
J: Vielleicht wenn man blöd oder ein Kind ist. Oder weil man irgendwas Beruhigendes draus zieht, immer dasselbe zu sehen, kein Plan.
A: Was findest du dann besser?
J: Als Asterix und Obelix? Fast alles. Basketball, Mangos, unbefristete Arbeitsverträge.
A: Schlümpfe?
J: Nein.
A: Die Schlümpfe sind angeblich eine funktionierende kommunistische Utopie.
J: Wieso?
A: Weiß ich nicht. Ich kenn‘ die Schlümpfe eigentlich nicht, aber das hab‘ ich mal auf der Wikipedia-Seite gelesen.
J: Klingt ja immer gut, wenn man sagt: Pinnochio ist eigentlich eine Metapher für die schleichende Entstehung protofaschistischer Strukturen.
A: Ja und Gargamel ist eine antisemitische Figur.
J: Echt?
A: Ja, der hat die Locken und die Nase und so.
J: Achso, er ist nicht selbst Antisemit, sondern antisemitisch. Ja, das macht absolut Sinn, dass jemand, der die Schlümpfe erfindet, Antisemit ist. Wenn du jetzt so lachst, schreibst du dann auch „lacht“ in Klammern dazu?
A (lacht): Ja, vielleicht, wenn es laut genug ist. Okay, also: Wie geht’s?
J: Schwitze viel. Schreibst du in Klammern: „Riecht unter seinen Achseln“?
A: Nein, ich schreibe: „Juan Doppelpunkt Schreibst du in Klammern riecht unter seinen Achseln“. Trinkst du genug, bist du hydriert?
J: Bevor ich aus Hannover hier her gefahren bin, habe ich mir bei Rossmann noch einen Liter Medium-Wasser gekauft. Davon habe ich jetzt die Hälfte getrunken. Das klingt jetzt erstmal nicht viel, aber ich habe auch noch eine Cola getrunken.
A: Dann geht’s. Erzähl mal, warst du überhaupt auf der Bühne? Ich war da noch nicht da. Hast du was gemacht oder nur die Computer?
J: Ich habe hier de facto nichts gemacht. Es gab erst eine Lesung von Michelle Steinbeck. Und ich hatte im Vorfeld zusammen mit Fabian Habecker ein Text-Adventure-Game basierend auf Michelles Roman geschrieben. Das Game konnte man dann nach der Lesung spielen. Es funktioniert nach dem Prinzip, dass man Texte liest und immer wieder vor die Entscheidung gestellt wird, was die Figur als nächstes machen soll. Geht sie in die Innenstadt und kauft die Süddeutsche, geht sie in ein Haus rein, bewirbt sie sich um ein Volontariat oder bringt sie ein Kind mit einem Bügeleisen um? Das kann man dann entscheiden und wird entsprechend in ein Labyrinth der Möglichkeiten geführt, das unbekannter Tiefe ist. Man konnte sich also an Laptops setzen und ein alternative Version von Michelles Text lesen, die schon sehr stark vom Original abweicht. Es hat eigentlich gar nichts mehr damit zu tun. Naja.
A: Ist es jetzt dann blöd, dass diese Sachen, die du produzierst hast, quasi „weg“ sind oder nimmst du die dann einfach wieder für andere Projekte?
J: Erstmal sind die ja nicht weg, man kann das Spiel immer wieder spielen.
A: Ja, aber du hast es quasi einer anderen Autorin zur Verfügung gestellt.
J: Es wird gar nicht klar, welche Sachen von ihr und welche von mir sind. Außerdem habe ich auch noch aus anderen Büchern zitiert. Das komplette Kommunistische Manifest ist da drin zum Beispiel. Oder Gedichte von Jacobo Fijman. An einer Stelle kann man die Entscheidung treffen, das Zeug zu lesen und dann kommt das einfach. Würde schätzen, dass vielleicht 60 Prozent von mir sind, 10 von Michelle und der Rest aus Drittquellen.
A: Wie viele Arbeitsstunden waren das?
J: Weniger als es vielleicht aussieht. Hatte nicht so viel Zeit. Vielleicht zwanzig. Man kann da aber unendlich Zeit reinstecken. Es funktioniert ja immer nach dem Entscheidungsbaum-Prinzip, das heißt, im Grunde hört es nie auf. Man muss sich eher dazu zwingen, Sackgassen einzubauen oder Schleifen zu schlagen. Es gibt deshalb unter anderem einen Punkt im Spiel, an dem man entscheiden kann, im Internet zu surfen. Da kann man dann unendlich Schleifen schlagen und immer wieder dasselbe machen.
A: Dein erster Roman ist draußen, dein zweiter kommt irgendwann. Wenn dich jemand fragt, ob du Schriftsteller bist, ist das problematisch oder irgendwann normal?
J: Also zuerst einmal würde ich sagen, dass dich ja auch niemand auf der Straße anspricht und fragt, ob du Journalist bist. Das ist sehr unrealistisch, Andreas.
A: Wenn ich das Diktiergerät und den Block dabei hab. Also, wenn du so einen Stift hinterm Ohr hast zum Beispiel…
J: (grübelt) Ich erwähne das eher nicht. Gibt ja viele Informationen über mich, die ich keinem sag, zum Beispiel, dass ich ganz gut Tischtennis spielen kann, aber auch nicht sehr gut. Aber wenn mich jemand fragt, was ich so mache, habe ich bis vor kurzem immer gesagt, ich studiere Soziologie. Jetzt sage ich, ich bin Redakteur. Und das ist ja auch nicht gelogen.
A: Okay, aber warum nimmt man das dann so als Problem wahr, bzw. als weniger normalen Beruf als Redakteur? Warum ist das ein größerer Widerstand?
J: (grübelt) Die erste Antwort ist, glaube ich, dämlich. Die erste Antwort wäre, dass man ja diesen westlichen Kulturmythos auf eine Weise anerzogen bekommen hat, dass Kunst auch eine Leugnung ökonomischer Sachzwänge impliziert. Weil: Geld stinkt nach Bürgertum und die tragen peinliche Klamotten und überhaupt kommt sowieso alles aus mir intrinsisch raus, denn ich bin so ein hartes Individuum und zu null Prozent aus irgendwelchen Strukturen hervorgegangen. Da gibt es tolle Arbeiten zu, die das besser aufschlüsseln als ich jetzt gerade. Und jedenfalls diese kollektive und reflexartige Verdrängung ist natürlich irgendwie lächerlich, aber andererseits hat sie insofern ihre Berechtigung, da man andernfalls womöglich wahnsinnig und unendlich traurig wird, wenn man die ganze Zeit nur Bourdieu liest. Das will ja nicht jeder hören, weil diese Verdrängung so festsitzt, aber jetzt drehe ich mich im Kreis. Okay. Das wäre jetzt meine dämliche Antwort. Meine normale Antwort ist: Es ist einfach nervig, weil dann sagen die Menschen vielleicht: „Ach ja…? Und… worum geht’s da so?“ Es ist einfach zu umständlich. Es ist einfach blöd.
A: Gut, dass die schlaue Antwort „Es ist einfach blöd“ war. Gibt es Sachen, die du vielleicht gerne in einem Gusebuch drinnen hättest, an die du dich aber vielleicht nicht traust oder wo es einfach nicht funktioniert?
J: Ne.
A: Wie viel recherchierst du, wie nervig ist das?
J: Beim ersten wie ein Bekloppter. Jetzt würde ich es nicht als Recherche bezeichnen, jetzt lese ich einfach viel, aber nicht mit der Idee, mir Wissen anzueignen, sondern eher mit der Idee, mir Zeug anzueignen. Das heißt, davor war es schon eher faktenbezogene Recherche, jetzt geht es so darum, das Vokabular zu erweitern. Weiß nicht, ob das Sinn macht. Ich lese jedenfalls gerade viele Sachen, die ich mir vorher nicht unbedingt reingestellt habe, Akira zum Beispiel. Das hat mir so weitergeholfen wie vielleicht noch nichts. Und so geht das dann, ich lese dies und das und schaue jetzt auch wieder mehr Filme, obwohl ich Filme eigentlich blöd finde. Nein, Moment, das stimmt gar nicht!
A: Drei Filme, die du nicht blöd findest.
J: Vielleicht was mit Menschen. Was ist denn ein guter Film?
A: Waterworld?
J (lacht): Cars, Cars 2! Keine Ahnung.
A: Okay, was mit Menschen, Cars 2. Das heißt aber auch, also, es gibt ja Leute, die sagen, wenn sie ein Buch schreiben, können sie nichts anderes mehr lesen…
J: Wer sagt sowas?
A: Weiß ich nicht mehr, hat mal einer in einem Interview gesagt. Und bei dir wäre das dann die gegenteilige Arbeitsweise, wie so ein Trichter.
J: Also grundsätzlich ist das, was ich den ganzen Tag über lese, der Sprit für wenn ich dann um 6 aufstehe und mich hinsetze. Die Bücher oder die ausgedruckten PDFs liegen dann meistens schon auf dem Schreibtisch mit den ganzen Markierungen und dann gehe ich das nochmal durch und Feuer. Ohne lesen, das wäre völliger Wahnsinn.
A: Ist das dann auch was Sportliches, dass es dich abfuckt, wenn du nur fünf Seiten gelesen hast?
J: Keine Ahnung, Andreas. Vielleicht.
A: Weißt du in Lärm und Wälder einen Satz oder eine Formulierung, ein Wort oder irgendwas, was ärgerlich ist.
J: Tausende Sachen. Besonders bescheuert sind alleinstehende Wörter. Weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Zum Beispiel: Sie trug ein Shirt mit vielen kleinen Hakenkreuzen drauf. Punkt. Interessant. Punkt. Das „interessant“ ist doch komplett daneben.
A: Ja? Ich weiß es immer nicht. Ich hatte mir das mal komplett abgewöhnt, aber jetzt mache ich es glaub ich wieder.
J: Kommt drauf an. Gibt auch noch andere Sachen. Manche Dialoge sind irgendwie missraten. Fällt mir jetzt nichts Konkretes ein. Aber ja. Wäre irgendwie auch kacke, wenn man behaupten würde, eigentlich habe ich alles sehr geil gemacht.
A: Wann zuletzt in die Amazonkommentare gekuckt?
J: Nie gelesen.
A: Das sagt jeder. Ich würde jeden Tag reinschauen.
J: Ich hab mal die Sterne gesehen, weil ich gucken wollte, was das Buch gebraucht kostet. Mein Vater hat mir außerdem mal einen Screenshot von seinem Kommentar geschickt. Meine Schwester auch. Mein Vater heißt ja aber nicht „angeldust_berlin54“, sondern Jörg Guse und dann steht da halt unter meinem Buch: „Wahnsinnsbrett“, fünf Sterne, oder so. Und eine drunter oder irgendwo meine Schwester, Ana Guse: „Bewegendes Brett, weiter so!“
A: Was ist das Schlimmste, was jemand über dich sagen könnte?
J: Die Stimme seiner Generation.
A: Wäre es dir auch recht gewesen, hier eine normale Lesung zu machen oder möchtest du sowas lieber komplett vermeiden und deine Ruhe haben?
J: Das war heute die beste Lesung meines Lebens. Nein, auch das stimmt nicht. Das Beste ist meistens, und das hat man vorhin auf der Lesung von Fatma (Aydemir) und Florian (Kessler) gesehen, wenn man mit Leuten, die man gut kennt, auf der Bühne ist, und das Geschehen auf der Bühne eine Fortsetzung von dem ist, was davor schon stattgefunden hat, immer. Ich dachte mir heute aber auch, eigentlich könntest du nur noch Computerspiele schreiben, das ist auch angenehm.
A: Newsletter auch…
J: Newsletter! Newsletter sind die Zukunft, und E-Mails. Ich hab gerade eine bei Tegel Media veröffentlicht, um auch nochmal die Lanze für die Mail als Kunstform zu brechen..
A: Das wichtigste Buch.
J: Des Jahres?
A: Der Welt.
J (grübelt): Schade, dass ich jetzt nicht schneller reagiert hab, dann wäre mir vielleicht was Witziges eingefallen.
A: Asterix.
J: Was wäre eine witzige Antwort, Andreas? Hast du jedem die Frage gestellt?
A: Ja.
J: Das wird unangenehm viel zu transkribieren. Aber da kommt ja nicht alles rein, oder?
A: Ja, doch, vor allem waren die anderen so zehn Minuten und das sind jetzt zwanzig.
J: Ok, scheiße, also, das wichtigste Buch ist Das Elend der Welt (Pierre Bourdieu).
A: Gut, warum?
J: Ist halt das wichtigste Buch.
* * *
Um Alina Herbing schleiche ich drei Tage herum. Ständig ist sie im Gespräch mit irgendwem. Oder liest gerade etwas vor. Am Samstagnachmittag dann Zugriff. Ob ich sie kurz mal ausleihen darf. Jemand beschwert sich, dass er nie interviewt wird. Alina und ich suchen uns zwei Liegestühle auf der Wiese.
Andreas: Alina, wie geht’s?
Alina: Ganz gut. Bisschen müde gerade, aber das wird wieder.
A: Wie sehr hast du das Festivalwochenende denn bisher ausgenutzt?
Alina: Ich glaube, sehr gut. Ich habe versucht, es so angenehm wie möglich zu gestalten, was die Anzahl der Veranstaltungen und die Erholung zwischendrin betrifft.
A: Hast du, dadurch, dass du hier studiert hast, jetzt nostalgische Rückkehrgefühle oder eher weniger?
Alina: Also, ich finde es schön, viele Leute zu treffen und wieder hier zu sein. Aber ich bin auch froh, dass ich nur zu Besuch bin.
A: Dein Buch ist dieses Jahr erschienen. Hast du irgendwann angefangen, dich selbst als Autorin oder Schriftstellerin zu bezeichnen oder ist das schwierig?
Alina: Ich finde es eine schwierige Sache. Im Nachhinein würde ich sagen, eigentlich hätte ich mich ja schon viel eher als Schriftstellerin bezeichnen können und ich kenne ja auch einige, die machen das einfach, egal, wie viele Bücher oder ob sie überhaupt schon ein Buch veröffentlich haben. Aber es ist ja auch die Frage, wie wird man wahrgenommen und das beeinflusst dann wieder das, wie man sich selber fühlt und bezeichnet und ich glaube, jetzt fühle ich mich langsam auch mehr als Schriftstellerin. Als ich mehr Zeit mit Kellnern als mit Schreiben verbracht habe, habe ich mich eher in dieser anderen Rolle gefühlt.
A: Bist du dann nach dem ersten Roman auch gleich im Schreiben drin geblieben?
Alina: Nö, überhaupt nicht, weil ich gerade gar keine Zeit habe. Ich habe nach dem Überarbeiten des Romans viel gearbeitet und Zusatzkram gemacht, den man machen muss, wenn man einen Roman veröffentlicht. Jetzt bin ich mit Lesungen unterwegs und habe ich auch nicht so viel Zeit zu schreiben, aber das heißt nicht, dass ich nicht schon viel nachdenke und recherchiere für das nächste Projekt.
A: Gibt es für dich Themen, die du gern behandeln würdest, an die du dich aber nicht traust oder es funktioniert einfach nicht…?
Alina: Das werde ich jetzt herausfinden. Es gibt auf jeden Fall, ich würde es nicht als Themen bezeichnen, sondern eher Geschichten oder so diffuse Gefühle oder Figuren, mit denen ich mich gern im nächsten literarischen Projekt beschäftigen würde. Da ich das aber noch nicht ausprobiert habe, weiß ich noch nicht genau, wie es funktioniert. Ich hoffe, dass es irgendwie funktionieren wird.
A: Kannst du dazu schon etwas Konkretes sagen oder möchtest du das lieber nicht?
Alina: Lieber nicht. Also, ich könnte es natürlich, aber ich lasse es lieber.
A: Wie rechercheintensiv ist deine Arbeit und wie nervig ist das?
Alina: Es geht so. Ich habe mir diesmal eigentlich vorgenommen, mehr im Vorfeld zu recherchieren und nicht erst zu schreiben und dann zu merken, dass ich irgendwas recherchieren muss. Aber ich merke jetzt, dass ich das wahrscheinlich einfach nicht so gut kann. Der Text entsteht für mich einfach auch beim Schreiben. Mir fällt es schwer, vorher etwas zu recherchieren und zu planen und zu plotten und danach einfach nur zu runterzuschreiben. Das ist glaube ich einfach nicht meine Art, an Literatur ranzugehen.
A: Ist das auch so ein Teil dieses Werdungsprozesses, erstmal rauszufinden, was für eine Art von Schreiberin man überhaupt ist?
Alina: Ja, garantiert. Ich weiß es nicht so genau, weil ich erst einen Roman geschrieben habe. Wahrscheinlich ändert sich das aber auch von Text zu Text. Für den einen muss man mehr das machen, für den anderen das. Ich glaube, dass es wahrscheinlich immer wieder ein neues Austarieren ist, wie gehe ich an diesen Stoff ran?
A: Kannst du sagen, was der Moment oder Aspekt des Schreibens ist, der dir Spaß macht?
Alina: Eigentlich fast alles. Ich mag es, mich jetzt mit diesen Themen zu beschäftigen, ich mag es, mich in Figuren reinzudenken, ich mag das Schreiben selbst und ich mag auch das Überarbeiten. Was ich nicht so mag, ist vielleicht Mails zu beantworten, was einen geistig manchmal nicht so herausfordert. Aber ich bin niemand, der sagt, Schreiben ist schrecklich und man muss da so durch. Mir macht das alles Spaß.
A: Weißt du einen Satz, eine Formulierung, irgendwas in deinem Buch, worüber du dich heute ärgerst?
Alina: Ich glaube nicht, dass es Sätze sind, aber mir fallen beim Vorlesen immer wieder so Kleinigkeiten auf: Wieso hört der Satz da auf? Wieso habe ich da einen Punkt gemacht? Die Sachen streiche ich dann durch und lese ich auch anders. Ich habe auch ein paar Sachen schon für die zweite Auflage geändert. Es sind keine dramatischen Sachen. Andererseits glaube ich, dadurch, dass ich jetzt mit den Reaktionen auf diesen Roman konfrontiert werde, hätte ich wahrscheinlich, wenn ich die vorher mitgedacht hätte, einen ganz anderen Roman geschrieben. Ist aber vielleicht auch ganz gut, dass ich die vorher nicht hatte.
A: Ist es schwierig, dann eine Distanz dazu zu bewahren, was andere Leute sagen? Schützt du dich davor? Schaust du in die Amazonkommentare rein zum Beispiel? Das wird jetzt eine sehr große Frage… Liest du Rezensionen?
Alina: Nicht so intensiv. Ich kriege die ab und zu von meiner Presseagentur zugeschickt in so einer Art Konvolut. Dann klicke ich das vielleicht mal an, überfliege es kurz, meistens steht immer wieder das Gleiche drin. Ab und zu ist ein bisschen Kritik dabei, dann finde ich das aber auch nicht schlimm, weil ich auch schon viele gute Sachen gehört habe, die das ein bisschen aufwiegen. Und weil ich sowieso denke, dass das viel mit Geschmack von Einzelpersonen zu tun hat. Sie beschäftigen mich also nicht besonders lange. Letztens hatte ich etwas von einer Bauernzeitung, da dachte ich, ach, cool, dass die Bauernzeitung etwas über meinen Roman geschrieben hat, da muss ich mal reinkucken…
A: Wie groß sind die Selbstzweifel in deinem Schreiballtag?
Alina: Die gehören auf jeden Fall immer dazu. Ich versuche, sie nicht zu groß werden zu lassen. Aber sie sind immer wieder da und waren auch bei dem Roman total da. Es ist halt immer wieder ein Wechsel: Manchmal denke ich, das ist alles total scheiße und danach findet man es wieder gut. Manchmal denkt man auch, nur ein Teil davon ist scheiße… Das ist ja eigentlich auch total hilfreich, weil es beim Überarbeiten hilft.
A: Das wichtigste Buch für dich.
Alina: Gibt es einfach nicht. Ich würde mich niemals auf ein Buch festlegen. Es ändert sich ja auch im Laufe eines Lebens immer wieder, welche Bücher man gut und wichtig findet.
A: Dann vielleicht das letzte, das dich tief beeindruckt hat.
Alina: Das war glaube ich, Das Ende von Eddy von Édouard Louis.
* * *
Und dann, Sonntag. Mich trennen noch vier Stunden Autofahrt von der Heimat. Es ist bereits Nachmittag. Und immer noch stehen die jungen Literaturmenschen Schlange vorm Aldi, weil drin eine junge Literaturveranstaltung stattfindet. Auch wenn die meisten von ihnen ganz kleine Augen haben. So wie Shida Bazyar, die jetzt fast behutsam aufs Gelände tappt. Sie hat nur eine Stunde geschlafen und trotzdem ihre eigene Taxilesung verpasst. Passiert. Ich frage, ganz vorsichtig, ob sie vielleicht trotzdem Lust hat, mir ein Interview zu geben. Mein letztes. Damit ich heute auch noch was arbeite. Hat sie.
Andreas: Shida, wie geht’s?
Shida: Ziemlich, ziemlich gut, aber auch total müde und immer noch nicht so ganz in der echten Welt zurück.
A: Wie war die Nacht?
S: Es war eine sehr schöne Nacht. Es wurde getanzt, aber ich habe eigentlich nicht mitgetanzt, weil es für mich immer nur ganz kurz coole 90er-Hits gab, zu denen ich mich bewegen konnte und dann gab es wieder etwas anderes, das hat mich eher irritiert. Es lief dann auf draußen stehen und quatschmachen und sehr viel lachen und morgens um halb 10 zum Bahnhof gehen und ein mit Ei belegtes Brötchen frühstücken hinaus… Und jetzt sind wir schon beim Morgen: Duschen und zum Prosanova gehen.
A: Warst du jetzt seit Donnerstag da? Was hast du alles gemacht?
S: Ja, ich war seit Donnerstag da. Am ersten Tag durfte ich das Programm genießen, am zweiten hatte ich eine Veranstaltung, bei der ein Text von mir von einer Studentin diskutiert wurde. Und am dritten Tag hatte ich eine Veranstaltung, in der wir unsere Schätze an Rückmeldungen abseits des Feuilletons ausgebreitet haben. Das hat großen Spaß gemacht.
A: Dein Buch ist letztes Jahr erschienen. Gab es für dich einen Moment, in dem du angefangen hast, dich als Schriftstellerin zu bezeichnen oder ist das schwierig?
S: Ich habe erst relativ spät verstanden, dass das schwierig ist für Menschen und was so die Thematik dabei ist. Ich bin davon voll überrascht, weil ich mich auch schon vor dem Roman als Autorin bezeichnet habe. Weil ich habe ja geschrieben und das reicht in meiner Welt total.
A: Du hast ja, zumindest so ein bisschen, über die Geschichte deiner Eltern geschrieben. War es für dich schon lange zuvor klar, dass das dein Thema ist?
S: Ich glaube, eigentlich war es für mich schon lange klar, ich habe mich aber nicht rangetraut. Ich schreibe seit ich fünf bin Geschichten, die Themen, die im Roman drin sind, politische Dinge, Perspektivwechsel, Geschlechterdringe, Migration, kam erst relativ spät. Aber ich hatte die schon länger umkreist und hatte die Idee, dass die Iranische Revolution und dieser Schatz an Erfahrung, die zum Beispiel meine Eltern gemacht haben, wert wären, in Literatur umgewandelt zu werden. Aber ich könnte nachträglich nicht sagen, wie lange und wie intensiv das da war. Für mich war schon klar, dass das Studium in Hildesheim der Anlass ist, das dann machen zu können. Ich hätte es auch ohne Hildesheim geschrieben, aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Die Entscheidung, hier noch den Master dranzuhängen und mir die volle Dröhnung zu geben, war schon daran gekoppelt, dass ich mich an diese wahnsinnige Recherchearbeit und so ranmache.
A: Waren das dann viele Gespräche mit deinen Eltern oder woraus bestand das?
S: Auch viele Gespräche mit meinen Eltern, aber auch total viel, wie man das hier so schön lernt, andere Romane lesen und gucken, wie machen die das? Ob das dann Familiengeschichten waren oder Migrationsgeschichten, Literatur, Romane, Internet, superviel Youtube natürlich, einfach um Bilder vor Augen zu bekommen, von einer Zeit, in der ich nicht gelebt habe. Und auch Familien-Bildmaterial, Videoaufnahmen und Fotos. Nicht, weil ich das dann so umgesetzt hätte, es war ja nicht der Plan, das autobiografisch aufzuziehen und von diesen Fotos zu erzählen. Aber einfach, um Gefühle dafür zu kriegen und Inspiration aus diesen Bildern zu ziehen.
A: Hast du das deinen Eltern während des Schreibens auch gezeigt oder erst als das Produkt dann da war?
S: Erst als es fertig war. Das war keine bewusste Entscheidung, ich habe gar nicht gemerkt, dass ich es ihnen nicht zeige. Es ging einfach nicht so oft darum. Erst, als es dann das Manuskript und den Verlag gab, habe ich sie darum gebeten, das auf Fehler oder die Momente, in denen ich mich als Nicht-Zeitzeugin entlarve, gegenzulesen. Da gab es auch viele Kleinigkeiten und es war total wichtig, dass sie da so wahnsinnig aufmerksam mit mir zusammengearbeitet haben.
A: Was ist der Aspekt oder Teil des Schreibens, der dir Spaß macht?
S: Ich finde sehr, sehr viel am Schreiben macht überhaupt keinen Spaß und ist total furchtbar und die Hölle. Aber wenn es läuft und seinen eigenen Sog hat und man gar nicht so genau weiß, was passieren wird, gibt es, finde ich, verschiedene Momente, die Spaß machen. Ich weiß, die Handlung vorher nicht, sondern entwickle sie erst beim Schreiben. Wenn es auf einmal einen Bogen und Sinn macht, das ist super. Und auch, wenn Figuren selbst Entscheidungen treffen, die total Sinn machen. An einer Stelle bestellt eine Figur an der Bar ein Getränk. Das ist einfach eine Stelle, die man so schreibt, ich fand es aber so stimmig, dass diese Figur dieses Getränk bestellt. Und das war so ein supergutes Gefühl. Das sind einfach fertige, unsichtbare Wesen, ich muss einfach nur aufschreiben, was sie mir sagen. Bisschen esoterisch… (lacht)
A: Weiß du einen Satz, eine Formulierung, irgendwas in deinem Buch, worüber du dich heute ärgerst?
S: Ja, auf jeden Fall. Eine Figur, die gar nicht wichtig ist, wird immer mit der körperlichen Erscheinung beschrieben, weil er eben dick ist. Es heißt immer „der dicke Genosse“. Und immer wenn ich das vorlese, ärgere ich mich wahnsinnig darüber, einfach weil ich es blöd finde, das als Merkmal zu definieren. Es wird nicht bewertet oder so, aber „dick“ ist, so wie die Gesellschaft funktioniert, ja schon eine Bewertung, wenn man das als sich ständig wiederholendes Charaktermerkmal verwendet.
A: Wirst du das dann in einer neueren Auflage rausnehmen?
S: Ich habe es mal mit dem Verlag besprochen, die fanden aber „dürrer Genosse“ auch nicht so richtig gut. Und ich hatte auch keine richtig gute Idee, mit der ich die Stelle nicht komplett hätte ändern müssen. Und dann ist das so ein bisschen im Sande verlaufen. Ist ja auch kein Drama.
A: Wann hast du zuletzt in die Amazonkommentare reingeschaut?
S: Das ist schon eine Weile her, weil es eh gar nicht so wahnsinnig viele gab, obwohl ja schon relativ viel drüber gesprochen wurde. Irgendwann habe ich dann aufgehört zu kucken. Also so vor zwei Monaten.
A: Kannst du gut damit umgehen, wenn Leute dumme oder gemeine Sachen sagen?
S: Worum es bei unserer Veranstaltung ja auch ging, waren Onlinekommentare zu Artikeln. Damit könnte ich überhaupt nicht umgehen, deswegen lese ich die nicht. Auch weil sie mich persönlich treffen, das wollen sie ja auch. Ich finde, das ist so ein kleines Schlachtfeld. Daran lerne ich nichts, deswegen interessiert es mich auch nicht. Amazonkommentare dagegen sind ja wirklich Rückmeldungen zum Buch und da ist die Szene ein bisschen anders und da sind auch die Kommentare anders. Das lese ich total gerne, weil ich das so superwichtig finde, wie Leser mit dem Text umgehen. Auch wenn das Sachen drinstehen, wo ich denke, oh Mann, das kannst du dem Buch jetzt nicht vorwerfen, weil das hast du einfach nicht gecheckt. Das ist so. Man schreibt ein Buch und jeder fasst es anders auf und wenn jemand etwas nicht gecheckt hat, liegt es vielleicht nicht an der Person, sondern am Buch oder eventuell an beiden. Das gehört dazu und das finde ich auch okay.
A: Was ist das wichtigste Buch für dich?
S: (grübelt) Das ist so schwierig, weil ja in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Bücher wichtig waren… Wahrscheinlich Persepolis.
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