Kolumne

Wenn Texte lebendig werden

Das AUFTAKT Festival geht in die dritte Runde und überzeugt durch Authentizität und Engagement

Vor drei Jahren riefen die Kölner Lesereihe LAND IN SICHT und die NRW-weite Theaterinitiative CHEERS FOR FEARS das AUFTAKT Festival ins Leben.

auftakt köln mai 2019

Ziel war und ist es, junge Kulturschaffende aus verschiedenen Bereichen zusammen zu bringen, um gemeinsam szenischen Texten auf der Bühne Leben einzuhauchen. Das Konzept ist einfach: Junge Schreibende unter 35 dürfen Texte einsenden, aus denen die besten (in diesem Jahr vier an der Zahl) ausgewählt werden. Daraufhin kommen Autor*innen, Schauspielstudierende, Künstler*innen der darstellenden Künste und Sprecher*innen in Köln zusammen, um innerhalb von drei Tagen das Geschriebene als kurze Theaterstücke zu inszenieren. Am Abend des letzten Tages werden die Stücke (jedes Jahr woanders) aufgeführt.

Wie gut sich dieses Experiment bereits etabliert hat, konnte man bei der diesjährigen Hauptveranstaltung am letzten Samstag zweifelsfrei erkennen. Volles Haus in der tANZfAKtUR in Köln/Deutz, reger Austausch zwischen Gästen, Schauspieler*innen, Veranstalter*innen und Autor*innen; und schlussendlich ein jubelndes Publikum.

Foto: Holger Rogge

Das freut umso mehr, da es in Köln zwar viele Möglichkeiten für Künstler*innen gibt, diese jedoch zumeist dann doch eher einem kleinen Kreis vorbehalten sind, in dem man nur schwer Fuß fassen kann. Innerhalb der letzten Jahre gründeten sich immer mehr Initiativen, um dem entgegen zu wirken. Dass hierbei das AUFTAKT Festival besonders heraussticht, ist kein Zufall: Zum einen schaffen es die Begründer, Theater und Text erfolgreich zu kombinieren und bringen somit viele sehr unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Sparten zusammen, wodurch wieder ein ganz neues Netzwerk entsteht. Zum anderen ist alles bis ins kleinste Detail durchkonzipiert, sodass weder Fehler noch böse Überraschungen auftauchen. Und last but not least, verschmilzt Arbeit mit Herzblut und Spaß an der Sache - und das spürt am Ende das Publikum.

Wer an diesem Samstag bei der Ankündigung des zweieinhalb-stündigen Abends befürchtete, es könnte langatmig oder auch unverständlich werden, täuschte sich. Jedes der vier Theaterstücke schaffte es, durch eine eigene Atmosphäre, engagierte Darsteller*innen und überraschende Spezialeffekte oder spontane Tanzeinlagen zu überzeugen und die Gewinner-Texte somit lebendig werden zu lassen.

Foto: Holger Rogge

Während bei der ersten Inszenierung ("Erdmännchen" von Max Smirzitz) hauptsächlich mit Licht und Stimme gearbeitet wurde, um eine leicht bedrohliche, wenn auch irrwitzig-humoristische, Stimmung aufkeimen zu lassen, wurde beim zweiten Stück ("Cockpit" von Klara Kayser - der erste lyrische Text beim AUFTAKT) mehr Wert auf Klang gelegt. Durch Geige, Folienrascheln und Gesang entstand ein eigener Raum, der noch dadurch untermalt wurde, dass das Publikum im Kreis auf der Bühne saß. So fühlte man sich ein wenig, als sei man in einem Film von Lars von Trier gelandet. Als einem der Darsteller dann noch eine Plastiktüte über den Kopf gezogen wurde, er anschließend Sand aß (und man beim Knirschen und Knacken befürchtete, die Zähne könnten brechen) - und all das mit einer Handkamera von einer weiteren Schauspielerin live gefilmt und auf eine Leinwand übertragen wurde, spürte man die Gänsehaut am gesamten Körper.

Foto: Holger Rogge

Das dritte Schauspiel barg eine besondere Überraschung: Das Publikum durfte mitmachen und entscheiden. Sei es durch Klatschen, Pfeifen oder Drücken des von den Darsteller*innen platzierten Buzzers - die Zuschauer bestimmten, wie und ob es beim "Malaga Becher" von Jona Spreter weiterging. So wurden Sprechpassagen abrupt unterbrochen, Tanzeinlagen performt (u. a. zu MIAs "Hungrigem Herz") und selbstgedrehte Youtube-Videos der Schauspieler*innen auf Leinwand abgespielt. Wenn es auch zwischendurch ein paar Einzelne ein bisschen zu gut meinten und quasi nur noch leicht überdreht klatschten oder pfiffen, tat es dem Stück doch keinen Abbruch und überzeugte durch Authentizität der Komödie, die mit ausgelassener Heiterkeit und lautem Lachen im Publikum belohnt wurde.

Der Abend endete mit einem Saalwechsel ins Untergeschoss, wo sich die Zuschauer kreuz und quer im gesamten Raum zwischen Betonpfeilern auf dem Boden verteilten. Der erste Teil (die Vorgeschichte, wenn man so will) des Textes "Beton" von Vera Schindler wurde von verschiedenen Stimmen aus dem Off vorgelesen, bevor die einzelnen Darsteller*innen nach und nach hinter einem Vorhang hervortraten und eine Vernissage mimten. Es wurde Sekt ausgeschenkt und eine Rede vom "Galeristen" gehalten, der zuvor mit sich und seiner fehlenden Hose gehadert hatte.

Foto: Holger Rogge

So unterschiedlich die einzelnen Aufführungen waren, hatten sie doch eine Gemeinsamkeit: Sie alle befassten sich mit gesellschaftlichen Krisen und setzten sich kritisch mit Mensch und Menschlichkeit auseinander. Die überzeugende Darstellung aller Mitwirkenden sorgte dafür, dass man sich dabei nie vorkam, als würde man belehrt oder gar gescholten werden. Und der kleine "Tick zu viel", der im Theater üblich ist, überschritt nie die Grenze zu "übertrieben". Umso erstaunlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass es nur knapp drei Tage zum Einstudieren und Proben gab.

Ein gelungener Abend, der zurecht mit standing ovations und langem Klatschen bejubelt wurde.

Nach den Inszenierungen wurde im Foyer der tANZfAKtUR von Mario Frank (Land in Sicht) Musik aufgelegt, um zur Afterparty einzuladen. Lichteffekte, Getränkeverkauf und eine aufgekratzte Stimmung sorgten für einen dementsprechend heiteren Ausklang der Veranstaltung. So kamen am Schluss nochmal alle zusammen, um sich auszutauschen, anzustoßen, über Texte und Stücke zu diskutieren - und zu tanzen.

Man wünscht sich mehr solcher Initiativen in Köln, mehr solches Engagement. Nicht nur bekommen junge Künstler*innen somit viel mehr Chancen und die Möglichkeit, gesehen (oder gar entdeckt) zu werden - auch "kulturscheue" Skeptiker können so an Kunst herangeführt und eines Besseren belehrt werden. Und nicht zuletzt ist es doch die Kunst, die sich stets kritisch mit den Problemen unserer Gesellschaft, unserer Welt, unseres Daseins, auseinandersetzt und somit die große Aufgabe hat, immer wieder Augen zu öffnen. Dafür müssen Augen aber erstmal vorhanden sein. Beim AUFTAKT Festival waren es viele - und sind bald vielleicht noch viel mehr.

Foto: Holger Rogge

 

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