Briefe an P wie Plath
(Geschrieben am 17.5.2013)
Liebe Sylvia Plath!
Letztes Jahr habe ich deinen runden Geburtstag vergessen. Ich weiß nicht warum, hab ich doch sonst alle Jahrestage, die mir wichtig sind, immer parat. Niemand hat mich daran erinnert, nirgendwo eine Meldung. Kein einziger Hinweis, keine Notiz, die mich erreichte. Dieses Jahr nun, am 27.Oktober 2013, könntest du 81 Jahre alt werden. Deine Literatur entsprechend jünger. Als Dichterin hast du dich einst unter Mühen und heftigem Gegenwind auf den Weg gebracht. Und würdest unter anderen Umständen auch heute noch dichten. Hättest ein gewachsenes Werk hinter und vielleicht ein kleines vor dir. Was hätte alles noch werden können, was wurde und was blieb? Ein rascher Lebenslauf. Wenig Vergangenheit. Postum eine Zeit lang das Flackern von etwas wie Ruhm. Doch heute und hier keine Zukunft. Kaum etwas wie Gegenwart. Erstaunlich. Ist man immer so schnell vergessen?
Die Glasglocke, natürlich. Manchmal erwähnt, so nebenbei. Viel seltener deine Gedichte. Die gehören nicht zum deutschen Bildungskanon. Gewiss, sie sind Thema auf den Hochschulen, manchmal zumindest. Aber außerhalb des universitären Rahmens? Bei „Ariel“ denken die meisten reflexartig an ein Waschmittel. Möglicherweise der eine oder andere auch an die Mythologie. Doch wer kauft heute noch Bücher mit Gedichten, außer für die Schule solche von Goethe oder Heine oder vielleicht Hölderlin? Und wer von den potentiellen Käufern liest dann diese Lyrik wirklich? Wer vor allem aber liest heute dich, erarbeitet sich deine dichte Poesie?
„Vollendung ist furchtbar“, schriebst du in einem Gedicht. In einem anderen: „This is what it is to be complete. It is horrible”. Eine Vorwegnahme. Als Dichterin warst du nicht vollendet, sondern auf dem allerersten Stück eines Wegs. Und hast dein Dasein gleich wieder beendet, ehe dein Dichterinnenleben so richtig beginnen konnte, da deine „Selbste“ sich auflösten. Keine Rettung in Sicht, nur „Schwärze und Schweigen“, als die Welt von deiner Seite glitt und du „gefallen, tief“.
Am 11.2.1963 dein Freitod, wie man gern beschönigend sagt. Frei. Als hättest du frei von allen Zwängen deine Entscheidung zum Tode gefällt, sie wirklich frei dann so und nur so fällen wollen und können. Hast du geahnt, mit welch ungeheurer Willkür Ted Hughes über dein Werk verfügen würde? Auch diese Vollendung ist furchtbar, ja.
Neuerlich also ein runder Gedenktag. Er jährt sich zum 50.Mal. „Sterben / Ist eine Kunst, wie alles. / Ich kann es besonders schön“, dichtetest du. Ich widerspreche. Nichts ist schön am Sterben, nichts an deinem vorzeitigen Hinscheiden und nichts am Tod. Und wieder keine Meldung, kein noch so kleiner Hinweis, keine Notiz. In einem Jahr da man der Titanen Wagner und Verdi gedenkt aber kaum verwunderlich. So war es, ist es, wird es immer sein. Dass andere größer, wichtiger, deshalb mehr wert zu sein scheinen, da man ihnen mehr (Be)Achtung schenkt. Doch solange noch ein Mensch, und sei es ein einziger, deine Gedichte liest, ist das Echo deiner Stimme nicht verloren, sondern wird, wenn auch allzu leise, weiter, weiter, weiter wehn.
Danke
Monika Vasik
Fixpoetry 2014
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Kommentare
Ein sehr gelungener Brief wie
Ein sehr gelungener Brief wie ich finde, auch wenn ich ihn erst so spät gelesen habe.
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