Eingekreist

Dor Näschinnl

Neulich habe ich an den Nationalen Poetry Slam Meisterschaften in Dresden teilgenommen. Kurz und englisch „national“ genannt. Für einen Lyriker, der etwas auf sich hält, nicht unbedingt, also, wie soll ich mich da ausdrücken, vielleicht wäre es angemessener gewesen, lieber an einer Sexorgie mit Minderjährigen teilzunehmen oder wahlweise an einer NPD-Veranstaltung. Denn immerhin hat Novalis eine Dreizehnjährige geliebt und Ezra Pound Benito Mussolini verehrt. Aber ausgerechnet Slam, der Tabledance der gefallenen Reimer. Hat mich deshalb Apollo, der Gott der Dichtkunst, für diesen Sündenfall mit einem grippalen Infekt bestraft? Nach dem Motto: Wenn du schon dort auf der Bühne stehst, dann sollst du es mit verstopfter Nase und im Fieberschweiße deines Angesichts tun. So ging ich durch die Straßen von Dresden Neustadt, Richtung Scheune, dem zentralen Veranstaltungsort, wo ich mich akkreditieren sollte, und fühlte mich wie dieser Aschenbach aus Thomas Manns berühmter Novelle. Die Neuauflage, Tod in Dresden. Besonders neben Josephine, die den Schlagworte-Slam-Halle mitorganisiert, für den ich in Dresden an den Start ging. Ich könnte beinah ihr Vater seyn. Sie strahlte eine jugendliche Energie aus, daß ich je nach Tagesform auch als ihr Großvater durchgegangen wäre. Einmal las sie ein Gedicht von mir, in dem das Wort „Genuß“ vorkam, und sie sagte, das wird aber mit doppel S geschrieben. Ach Kind, dachte ich, im Grunde hast du ja Recht.

Bei der Akkreditierung wurde mir ein rosafarbenes Bändchen an meinem Handgelenk befestigt. Wie putzig. Ich wollte schon fragen, ob ich damit kostenlos in alle Schwulenklubs der Stadt komme, aber man muß ja nicht jeden blöden Scherz machen. Dann bekam ich noch einen Beutel. Darin befand sich ein Flaschenöffner, ein T-Shirt, ein Feuerzeug, eine seltsame Büchse mit dem Abbild eines Indianers und der Aufschrift „Aus Respekt vor der Umwelt“, wenngleich sich mir nicht ohne weiteres erschloß, wie ich meinen Respekt mit Hilfe dieser Büchse zum Ausdruck bringen sollte, und eine Schachtel Zigaretten einer besonders gern von jungen und gesundheitsbewußten Menschen gerauchten Sorte ohne Zusatzstoffe, die das ursprüngliche Geschmackserlebnis von Tabak, das in Richtung getrockneter Lamascheiße geht, verfälschen würden. Trotzdem eine sehr sympathische Begrüßungsgeste. Doch erst eine Woche später war es mir gelungen, die Büchse unter großem Kraftaufwand, und beinah wäre mir dabei ein Fingernagel abgebrochen, zu öffnen. Die Büchse der Pandora war leer. Daß man nur leicht den Deckel eindrücken muß, um dieses Ding zu öffnen, das anscheinend ein Taschenaschenbecher darstellen soll, wäre eine neue Kolumne, die sich mit dem Mythos der sogenannten zwei linken Hände beschäftigte.   

Mit letzter Kraft schleppte ich also Beutel und mich ins Hostel. Das Wort „Hostel“ hat leider einen Buchstaben zu viel, um meinen Ansprüchen noch gerecht zu werden. Das Zimmer erinnerte mich an meine Grundwehrdienstzeit. Zwei Doppelstockbetten, ein Schrank, ein Tisch. Auf dem Flur ein Duschraum für alle. Ich hätte mich jetzt bereit für die Landesverteidigung fühlen können, fühlte mich aber einfach nur zu alt für so was. Mein Zimmergenosse, ebenfalls ein Slammer, war allerdings sehr nett. Er fragte mich sogar, was ich studieren würde, und meinte nicht das Seniorenkolleg. Dann hab ich unauffällig Fieber gemessen, so alle fünf Minuten. Aber es wurde dadurch nicht weniger als siebenunddreißigeins! Der Schupfen hatte in meinen Nasennebenhöhlen ein Kalifat des Schreckens errichtet. Ich schluckte Sinupret, das so wirksam war wie die amerikanischen Luftschläge. Ich weiß, der Vergleich ist unangemessen, denn letzten Endes sind diese ganzen Schrecklichkeiten auch gar nicht in Worte zu fassen, die dort vor sich gingen, tief in meinen Nasennebenhöhlen. Ich schmeckte auch gar nichts mehr. Dabei gab es Essensmarken in meinem Slam-Beutel, für die ich in verschiedenen Lokalitäten des Viertels eine leckere Mahlzeit bekam. Zum Beispiel einen Burger in einer Kneipe die Jim Beams hieß, die aber aussah, als hätte sie problemlos Jack Daniels’ heißen können. Und während ich meinen Burger aß, der vermutlich nach Burger schmeckte, sprachen zwei Typen an der Bar in einer Lautstärke, daß ich trotz Ohrendrucks und Kaugeräuschen mitschreiben konnte. Der eine von Geschäften in Polen, Rußland etc., und der andere davon, daß er gerade ein megageiles Boxtraining bei einem ehemaligen Personenschützer absolviere. Denn wenn Du boxt, schallte es zu mir, dann gehst Du anders, irgendwie aufrechter. Aber wenn du schreibst, hätte ich zu ihm gesagt, wenn ich boxen könnte, dann redest du anders, irgendwie klüger. Ich wischte meinen Mund ab und ging aufrecht, soweit mein Rundrücken das erlaubte, an ihnen vorbei auf die Straße meinem Auftritt entgegen.

Über meine Slamperformance ließe sich viel Schönes sagen, wenn man sich etwas Mühe geben würde, ich will mich aber auf das Wesentliche beschränken. Ich flog in der Vorrunde raus. Lag natürlich nur an meinem Schnupfen. Ohne Schnupfen sähe die Rangfolge im deutschsprachigen Slam heute ein bißchen anders aus. Aber das glaubt einem ja wieder niemand.

An meinem zweiten und letzten Tag in Dresden bemühte ich mich abends zu einem Halbfinale. Die Luft im Raum konnte man nicht mehr schneiden, man mußte sie mit einer Kettensäge zerteilen und stückweise einatmen. Als Micha Ebeling eine 3,4 bekam und somit die schlechteste Bewertung des Abends, gab ich meine Zurückhaltung auf und habe laut gebuht. Anschließend kamen all jene Slammer dran, die ihre Texte so schön auswendig hersagen können, wie meine Mutter zu mir sagte, als sie zufällig mal einen Slam im Fernsehen gesehen hatte und dachte, so sei Slampoetry immer, und mich dann fragte, wie ich eigentlich an so was überhaupt teilnehmen wolle, da ich doch meine Texte gar nicht auswendig könne.

„Geht trotzdem“, brummte ich, „man kann auch ablesen. Es gibt ganz großartiger Ableser unter den Slammern“.

„Und, warum hat er dann verloren?“

„Wer?“

„Na dieser Herr Ebeling“, würde meine Mutter jetzt nachhaken, wenn ich ihr mitgeteilt hätte, daß Micha Ebeling verloren hat, was ich aber zum Glück unterlassen habe. Außerdem hat er nicht verloren, er ist nur der Erste an diesem Abend gewesen, der seinen Text vortrug, und der Erste wird beim Slam oft unterbewertet. Und solange immer mit dem Ersten begonnen wird, obwohl die Reihenfolge gerechterweise erst beim Dritten oder Vierten anfangen sollte, sind alle Ergebnisse sowieso nicht aussagekräftig. Das müßte man zumindest bei den Meisterschaften 2015 ändern. Ansonsten kann ich der Organisation nur ein großes Lob aussprechen, sie konnten ja nichts dafür, daß ich so verschnupft war.

„Eine Frage hätte ich noch.“

„Mutter, die Kolumne ist schon zu Ende.“

„Du hast gar nicht erwähnt, daß du als Letzter in deiner Runde aufgetreten bist.“

„Ja, und?“

„Dann müßtest Du doch die besten Gewinnchancen gehabt haben.“

„Ähm, so wichtig ist die Reihenfolge nun auch wieder nicht. Außerdem sollten wir jetzt den Leser nicht weiter mit unseren Dialogen nerven.“

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