zu Gast: Mónika Koncz
Der Fülle des lyrischen Textes steht die besonders hingegebene Lektüre gegenüber. Wie es den Text zu neuen, erleuchtenden Wortverbindungen treiben kann, wenn er sich den Spielen, Zwängen und Anforderungen eines lyrischen Einfalls hingibt, so kann auch die Lektüre durch Beschränkung in neue Richtungen wachsen: und an Aufmerksamkeit gewinnen, wenn die Sicherheit gewohnter Fangnetze fehlt. In dieses Wagnis will sich die Reihe In Augenschein begeben, indem sie im Gespräch mit Lyrikern über Lyrik Namen und Titel verdeckt. Der blinde Fleck über dem Namenszug der Autoren soll einen freieren Blick auf das erlauben, was die Signatur ihrer Texte ausmacht. Da geht es um Stile, mehr als um Inhalte; gerade deshalb geht es um Beobachtungen und nicht um Wertungen. Kein Quiz, sondern ein Spiel, dessen Regeln sich im Moment erst formen. Nur das Material ist gegeben und älter als wir. Wir bleiben familiär, wir wollen spazieren, die Augen, Ohren und Hirne weit aufsperren. Deutlichkeit und Lösung können dabei selbstverständlich nicht in unserem Interesse liegen.
Mónika Koncz, 1985 in Senta (Serbien) geboren, studierte zunächst Germanistik und Geschichte in Freiburg, bevor sie ans Deutsche Literaturinstitut nach Leipzig wechselte. 2005 und 2006 veranstaltete und moderierte sie die LesebühneSlam Deluxe in Freiburg. Obwohl es sich bei Mónika Koncz um eine überzeugte Lyrikerin handelt, wurde sie auch für ihre Erzählprosa und ihre dramatischen Arbeiten bereits ausgezeichnet, unter anderem mit dem Paula Rombach-Literaturpreis (2008) und dem Drehbuchpreis Ansichtssache 3(2011). 2012 erhielt sie zudem Stipendien des Künstlerdorfes Schöppingen und der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, 2013 das Elf Perlen Stipendium der Stiftung Brückner-Kühner.
In der Rede über zeitgenössische Lyrik wird ja immer wieder die Bedeutung der "Zentren" der "Szene" hervorgehoben. Gibt es Züge, die Texte aus Berlin, Leipzig, Hildesheim etc. unterscheidbar machen, oder ist diese Geographie eher nebensächlich?
Diese Frage ist interessant, aber es wäre fast schon vermessen, darauf zu antworten, da ich ja keinen Überblick über alle Schreibschulen und Gruppierungen habe. Für Leipzig, wo man die Dichterkollegen gebündelt an einem Ort hat, kann ich sagen, dass jeder unterschiedlich schreibt. Es gibt keine Leipziger Schule. Es gibt aber durchaus einige Modeerscheinungen, wie die hartnäckige Kleinschreibung oder das Kaufmanns-Und oder einen Trend zur Unverständlichkeit, oder besser gesagt dem, was ich leserunfreundliche Lyrik nennen würde.
Also nicht die Unverständlichkeit, auf der das Heil der Familien und der Nationen beruhet, wie es bei Friedrich Schlegel heißt?
Da ist öfters eine Verspieltheit zu beobachten, die trotzig zeigt, dass sie nicht verstanden werden möchte und glaubt, dass das zur Modernität gehört. Aber dass an den Schreibschulen Gleichförmigkeit entstehen würde, wie man es oft hört, kann ich im Falle von Leipzig nicht behaupten. Eine allgemeine Adjektivarmut beklage ich. Ansonsten herrscht momentan ungeheure Vielfalt. Natürlich arbeitet sich das meiste an der hundertjährigen Tradition der Moderne ab, aber es gibt von allem beruhigende Ausnahmen, es gibt einen konstanten Bezug zur Antike, es gibt betont verständliche und zugleich komplexe Gedichte, es gibt ausgereiftes Handwerk. Aber es gibt eben auch Leute, die den Eindruck erwecken, als hätte es vor ihnen überhaupt gar nichts geben, als hätten sie den Unsagbarkeitstopos neu erfunden. Das scheint oft einen sprachkritischen Hintergrund zu haben, man will zeigen, dass die Sprache als ganze nicht trägt und nicht verstanden werden kann. Was aber ein ganzer alter Hut ist. Die Texte, die so entstehen, haben eben etwas Trotziges: Das Gedicht tut so, als wäre es ein Gedicht, verweigert sich dann aber völlig, sodass man sich fragt, warum man es überhaupt liest. Beziehungsweise, warum es geschrieben worden ist. Viel spannender als das Scheitern finde ich ja die Frage, warum es uns manchmal dennoch gelingt uns zu verstehen. [lacht]
Kann Unverständlichkeit auch eine Hoffnung nach Individualität beinhalten, als besonders subjektive Färbung, die den Text in der verwirrenden Vielfalt des anything goes unterscheidbar werden lässt?
Nein, das glaube ich nicht. Da sind mindestens zwei Aspekte wichtig. Auf der einen Seite gibt es den Hermetik-Vorwurf oder das Hermetik-Vorurteil der Leser, zeitgenössische sei Lyrik nicht genießbar, weil sie nicht verständlich ist und eine abnehmende Bereitschaft sich auf das Wagnis Gedicht einzulassen. Auf der anderen Seite vollzieht sich die Gegenbewegung der Lyriker: Dadurch dass immer weniger Leute Lyrik lesen und das Publikum noch nie sonderlich groß war, bekommt man zuweilen den Eindruck, dass nur noch Leute, die Lyrik schreiben, Lyrik lesen und deshalb nur Lyrik für Leute, die Lyrik schreiben, geschrieben wird. Dadurch wird es ein anspielungsreiches Elfenbeinturmgeschwurbel, voll mit philosophischen Ideen, die nur ein kleiner Kreis versteht. Ich glaube, da geht es vor allem darum, sich untereinander zu beweisen, wie gewitzt und modern man ist und wie sehr man sich der Außenwelt verweigert. Außenseiter sein, etwas Besonderes sein, nur noch für sich selbst verständlich sein. Das ist sehr schade und auch Unsinn. Es herrscht fast schon die Angst, dass ein verständliches Gedicht ein oberflächliches, unkluges und schlechtes Gedicht ohne Tiefe wäre. Ich schätze es ganz im Gegenteil sehr, wenn ein sehr komplexer und schwieriger Sachverhalt einfach und klar ausgedrückt wird. Einfache und banale Sachverhalte so auszudrücken, dass es kein Mensch mehr versteht, ist noch keine Kunst. Das ist ein Grundirrtum.
Dieser Rückzug ins "Private" schützt natürlich auch vor Kritik.
Ja, sobald man "verständlich" ist, ist man auch verletzlich und angreifbar. Ich habe den Eindruck, dass viele schreibende junge Menschen Angst haben, die Dinge, die sie sagen wollen, klar auszusprechen - sie müssten sich entblößen und könnten sich nicht mehr hinter intellektuellen Konstrukten verbarrikadieren. Aber alle großen Gedichte, die ich kenne, sind auf der Oberfläche zugänglich, während auf der Unterfläche unheimlich viel passiert und nie Mangel an Rätseln herrscht.
I.
Kegelberge mit Hüten und
Mützen. Im See da unten
Wohnet der Drach.Auf dem Eis geht ein Alter
Barfuß in Holzschuhn indessen
Sieben Paar Handschuh – o wie esMich an den Fäusten friert so
Ruft er im Donner der
Kleinen Lawinen.
Ich würde das spontan in die 20er-Jahre datieren, Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hutund andere haben einen Schnupfen, der Text erinnert mich an Jacob van Hoddis. [liest nocheinmal] Ja, das ist total grotesk. [lacht] Es hat drei Strophen à drei Verse, die Versanfänge sind großgeschrieben, aber gegen diese formale Strenge steht der tendenziell dadaistische Inhalt. Ich verstehe nichts. Es könnte heutig sein, es könnte aber auch schon fast hundert Jahre alt sein. Da ist schon etwas Rebellisches. Aber was für Lawinen? Wozu diese seltsamen Archaismen und wer spricht da? Ich habe das Gefühl, dieses Gedicht führt mich aufs Glatteis. [lacht] Die archaischen Worte und Verbindungen sind schon sehr eigentümlich: Im See da unten / Wohnet der Drach. Ist das von Bertram Reinecke? Nein, wahrscheinlich nicht. Es ist absurd. Wieso indessen?
Indessen ist schon ein unerwartet sachliches Wort an dieser Stelle.
Aber die Kausalitäten sind absurd. Wo sind denn diese vielen Handschuhe, wenn es den Alten an den Fäusten friert? Was sind diese kleinen Lawinen? Das ist höchst merkwürdig, ich kann nach wie vor nur sagen: drei mal drei Verse. Ein bisschen märchenhafte Zahlenversessenheit, drei und sieben und Drachen. Berge, Seen, Donner, große Begriffe werden bemüht, aber ich weiß nicht, wo sie herkommen. Ich habe ja hermeneutische Zähne und die beiße ich mir gerade an diesem Text aus, ohne zu einem befriedigenden Punkt zu kommen. Es gibt Texte, an denen man sich diese Zähne auch ausbeißt, die aber dennoch so geschlossen sind, dass es Spaß macht und in Ordnung ist, sich die Zähne auszubeißen. Hier aber geschieht nichts. Ich könnte das Gedicht auch als lustig begreifen, bleibe aber ratlos.
II.
In die Mitte des Sees flottierend, setzen sie Segel,
dröhnend die Aale, wenden sich ab vom Genus, haltenBrocken, bereit die Jagd in die Schonung zu räumen,
zu angeln, nahe Saragossa, Aragonien, Inseln des Atlas’,die Fische zu rufen, die Begriffe aus den Augen zu reiben,
zu Tisch mit milchigen Speisen und tanzenden Pilzen.Den Schnee rette, den Schnee rufe in armen Nächten,
die Undurchsichtigkeit kippt es ins nächste Vorspiel,die windschiefen Welten, Überschüsse triezen den Kopf,
setzen die Fahrt schmackhaft fort, mittig den Rissschließt er ein, wendet die ausgebeulte, grobe Furcht,
am Rande der Nebelklassen setzen die Vibrationen über.
Auch dieses Gedicht scheint recht streng gebaut, regelmäßige Verspaare, es wirkt aber stärker antikisiert.
Antikisiert?
Damit meine ich Elemente wie den Genus, die Inseln des Atlas, Hinweise auf den antiken Mythos, Andeutungen. Ich frage mich, was Nebelklassen sind, das erschließt sich mir nicht ganz. Aber es gehört irgendwie zum Bereich der Schifffahrt, die hier in ihrer alten Tradition als Metapher aufgerufen wird: als Metapher für das Leben, für die Dichtung selbst. Ein lyrisches Sie begibt sich hinaus auf Fahrt, die Fische zu rufen, den Schnee zu retten. Es könnte ein barockes Gedicht sein, auch wenn es kein barockes Gedicht ist. Vor allem die Verschiebung am Ende, setzen die Vibrationen über, das ist eine sehr moderne Bewegung, die in einen Kontrast mit den gesuchten, alt wirkenden Formulierungen und auch Konzepten in den vorhergehenden Strophen tritt. In der Mitte setzt die Kippbewegung ein. Es gibt in diesem Gedicht noch die alte Vorstellung von mehreren, verschiedene Welten, die man entdecken kann - und nicht nur eine einzige globalisierte Welt, die schlichtweg vernetzt ist. Fische und Schnee können noch angerufen werden. Das ist sehr schön.
Aber eine gewisse Distanz wird schon eingenommen: es wird berichtet, dass der Schnee angerufen werden kann. Das Gedicht selber hält sich von Anrufungen fern. Oder?
Das Gedicht beschreibt eine Abkehrbewegung von den Anrufungen, den alten Gewissheiten, dem heimatlichen Hafen. In der Mitte kippt das ganze, und im letzten Vers, löst es sich auf und gewinnt plötzlich Gegenwart. Die alte Sicherheit des Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt, die Götter des Ortes, bricht plötzlich weg. Die Auflösung hat sich schon damit vorbereitet, dass die Begriffe aus den Augen gerieben werden. Da klingt auch eine gewisse Sehnsucht mit. Der sichere Hafen wird verlassen, hinaus in Offene. Zugleich ist da eine Tendenz zur Verpuppung: Welten in den Welten und ein Vorspiel vor dem Vorspiel vor dem Vorspiel, eine Art mise en abyme. Überschüssiges, Windschiefes, es geht um eine Reisebewegung, in der verschiedene Welten ineinander kippen, um sich am Ende in Nebeln und Vibrationen aufzulösen. Vom Ende her wird auch die unklare Bedrohung klar, in die man hineinfällt, sobald man den Hafen verlassen hat, sobald auch die Anrufungen vielleicht nicht mehr funktionieren. Furcht und Bodenlosigkeit werden spürbar. Nach Aufbruch vom klassischem Boden, hinaus aus dem Hafen, bleiben nur Vibrationen, die übersetzen - wohin auch immer. Ich finde, das ist ein ausgezeichnetes Gedicht, und es ist unmöglich zu sagen, ob ich damit fertig bin.
III.
Ich kann mir diese Landschaft denken jederzeit
die Natriumdampflampe der Dorfstraße entlang
die feucht wird vom Tau, wo der Lehm klebt
schillernde Rinnsale Benzin den Gräben entgegensickern.In den Hecken wachsen dem Dunkel Ohren
und die Paare mit kundigen Händen buchstabieren
den Sommer durch. Wolfsmilch im Nacken
auf dem Spielplatz beim Naturfreundehaus.
Auch hier wieder formale Strenge auf der Oberfläche, zwei mal vier. Ein lyrisches Ich evoziert eine Landschaft, sehr wahrscheinlich eine erinnerte Landschaft, auch wenn wir das nicht sicher wissen. Es beginnt sehr konkret mit der Natriumdampflampe und der Dorfstraße. Zugleich scheint hier jemand Assonanzen zu mögen, Dampf/Lampe oder Lehm/klebt. Der Zusammenhang der Elemente wird lautlich gestiftet. Die konkrete Schilderung der Siedlung bricht mit der zweiten Strophe plötzlich ab, da wird es nun vielmehr poetisch, wenn dem Dunkel Ohren wachsen - eine schöne Personifizierung, eine gelungenes Bild. Was mich allerdings stört sind die kundigen Hände. Kundig worin? Wie sähe das mit unkundigen Händen aus? Welche Fähigkeit braucht man denn, um den Sommer zu buchstabieren? Das wüsste ich sehr gerne. Der Vers gibt in diesem Sinne zu viel und zu wenig gleichzeitig. Es sagt nichts über die Hände, ich würde es streichen.
Die Paare mit Händen buchstabierenwäre allerdings eine ziemliche Irritation.
(lacht) Ja, irgendein Adjektiv braucht man an dieser Stelle schon. Aber es interessiert mich gar nicht so sehr, was diese Hände können müssen, als vielmehr was das für Hände sind. Gerade weil es Paare sind! Mir fehlt da der Liebesakt; das scheint zwar angedeutet, aber zu schüchtern, zu wenig. Der Schlussvers hingegen erscheint mir als ein sehr typischer Dreh für die zeitgenössische Lyrik: die abrupte Verschiebung aus einem sehr poetischen und uneigentlichen Sprechgestus, mit großen, bedeutungsschwangeren Worten, in eine konkrete und vollkommen banale Situation. Die Kraft der Metaphern löst sich auf, muss ganz konkret verortet werden. auf dem Spielplatz beim Naturfreundehaus. Das wirkt fast wie ein ironischer Einwurf, der alles zerbricht. Dieser total belanglose Nicht-Ort wird zwar einerseits durch das Vorhergehende, die Erinnerung poetisiert, aber er zieht auch seinerseits einen Bruch durch das Gedicht, nimmt es zurück. Am Anfang wird die Landschaft vom Ich evoziert: Ich öffnet die Landschaft, Ich ist das erste Wort. Aber es taucht nicht mehr auf und so wird mir mehr und mehr schleierhaft, wo das Gedicht eigentlich mit sich hin will. Warum und für wen evoziert dieses Ich seine Erinnerung? Der literarische Mehrwert ist mir noch nicht ganz verständlich. Das Gedicht hat schöne Wendungen, aber der Spaß endet recht plötzlich, endet beim Naturfreundehaus.
Hat nicht jede Erinnerung diesen Zug ins private, vielleicht privatistische?
Natürlich, aber die Frage bleibt, warum eine Erinnerung, ein evozierter Ort bedeutsam ist - für den Leser. Was an diesem Gedicht meint mich, was zeigt es mir noch über die konkreten Begrifflichkeiten hinaus? Was bedeutet deine Erinnerung für mich? Das würde ich als "literarischen Mehrwert" bezeichnen und das fehlt mir hier. Zudem ist der Text sprachlich nicht homogen, befindet sich in einer seltsamen Mischung: das technische und botanische Vokabular, sehr deutlich und sachlich, stößt zusammen mit einem Sommer, der durchbuchstabiert wird, mit einem Dunkel, dem Ohren wachsen.
IV.
der leere raum mit schwarz und
blau und dem bisschen welt am rand,
geviertelt hinter glas. die schatten
wie zum trocknen an der wand, der atem
sichtbar in der hohlen hand. und draussen
bellt ein hund, schrecken tauben aus dem schlaf.
schlagen tauben, die ich niemals sah, mit flügeln
schwarz und blau.
Sehr schön. Schönes Gedicht. Fertig. [lacht] Soll ich noch mehr dazu sagen? Ich finde es wirklich sehr schön, es ist homogen, die Bewegungen der Sprache und der Bilder sind sehr gut gemacht. Im Anfang ist der leere Raum, wie das weiße Blatt, das am Anfang jeder Dichtung steht: erstmal Nichts. Damit fängt alles an und damit kann man immer anfangen. Die Welt wird dann nach und nach im Schreibvollzug erschaffen, von den Rändern her stellt sie sich ein. Durch die Wiederholung von schwarz und blau wird das Gedicht abgerundet, es ist einmal abgelaufen. Es hat seinen Raum geöffnet und einmal abgeschritten und endet als Rund. Als Bewegung ist das ein Idealfall. Zwischen klarem Anfang und klarem Ende vollzieht sich eine Art Erkundung, die Inventur eines Raumes. Ich würde das Gedicht auch als ein poetologisches lesen. geviertelt hinter glas. Man teilt sich die Welt ein und ordnet sie unter dem Blick, durch die Betrachtung; durch das Aufschreiben wird es konserviert und liegt gleichsam hinter Glas. Das ist ein Beiklang von Museum in der Wendung geviertelt hinter glas. Auch die Schatten wirken angehalten, fixiert, ausgestellt, und gehören zu diesem Raum, in dem es scheinbar keine vergehende Zeit gibt. Sogar der Atem wird sichtbar und kann gehalten werden. Neben dieser Raumabschreitung aber gibt es auch ein Draußen, das nur akustisch und durch ein Tier hineindringt. Draußen erwachen Natur und Leben. Im Bezug auf dieses Draußen taucht auch plötzlich das lyrische Ich im Raum auf, die ich niemals sah, mit flügeln
schwarz und blau.Da ist ausgesprochen interessant, die Verschiebung ist sehr schön. Denn das ist ja im Grunde Poesie: das, was ich evozieren kann, obwohl ich es vielleicht nie gesehen habe, obwohl es vielleicht gar nicht da ist. Ich finde es sehr schön, zu sagen: etwas, das ich niemals sah, ist genau so und so. Es gibt eine geschaffene Welt und eine vorgestellte Welt und die beiden schieben sich langsam ineinander, entlang der räumlichen Markierungen von drinnen und draußen. Die Phantasie evoziert die Tauben und plötzlich sind sie trotzdem tatsächlich da, schwarz und blau. Die vorgestellte Welt des Endes kommt zur Deckung mit der konkreten Welt des Beginns. Die Frage, welche dieser beiden Welten denn nun wirklicher ist als die andere, stellt sich gar nicht mehr, weil deutlich wird, dass sie sich gegenseitig stützen. Das Gedicht ist eigentlich ein Ouroboros aus Wirklichkeit und Dichtung. Das gefällt mir sehr.
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