„als wäre alles verschwunden“
„von uns wird nichts bleiben außer dieses gedicht“ heißt es in dem Zyklus „Ich komme aus den wäldern“. Und dieser Vers markiert deutlich, in welchem Gebiet sich diese Gedichte bewegen: Sie vermessen eine unsichere Landschaft, einen erinnerten Raum des Verschwindens und Vergessens, einen Abschnitt, der zeitlich und räumlich ins Unfassbare gleitet und nur in dieser Gedichtansprache noch zu halten scheint. Alles deutet darauf hin, dass alles schon fort ist und doch bleibt da stets ein Ausgenommenes, ein Abwarten, das in der Ansprache der Landschaft, der Dörfer, eines Du noch konkret und zugleich ausgeklammert bleibt.
Die titellosen Gedichte teilen sich in sieben Zyklen, die in sich und über den gesamten Band hinweg eine fortschreitende Bewegung und Auflösung vollziehen und diese an unterschiedlichen Landschaften und Körpern ausbuchstabieren. Die Gedichte von Andra Schwarz begehen ein Terrain, in dem Fixpunkte ausbleiben: Keine Kommata und Punkte verhelfen zur Gliederung dieser Nichtorte, sie gleiten ineinander, verlaufen konstant. Und doch sind dort ganz deutlich die Risse auszumachen: „jede schwelle ein rand der uns bricht“. Und es sind Orte erkennbar, Szenen, die historisch markiert sind. Der erste Zyklus „Von hier gibt es keine Bilder“ spricht von dem Konfliktgebiet der Türkischen Republik Nordzypern. Er erzählt von einer Kindheitserinnerung, den Narben, der Hoffnung nach dem Krieg und der Ausweglosigkeit:
es gibt kein fortkommen mehr
in den östlichen gebieten schleicht ein fuchs
und verbeißt sich nächtlings im geraubten tier
auf der karte rote streifen: wir waren hier
In „Wir bauen zurück ins Leere“ begeht Andra Schwarz die Landschaft ihrer Kindheit, die Oberlausitz an der deutsch-polnischen Grenze, und erinnert an die Auswirkungen des DDR-Kohlewerks „Schwarze Pumpe“ auf die sorbische Bevölkerung. Die Natur trägt die Spur des Kohlestaubs und auch die sorbische Sprache weicht der Germanisierung.
enteignete schätze eure stimmen aus kohle & stein gebrochen
als gäbe es euch nicht aus dem blickfeld geschwundene dinge
wir graben noch immer untertage drüben renaturierte flächen
auseinandergerissene seilschaften es gibt nichts, was euch hält
Diese räumlichen und historischen Bewegungen erinnern an Johannes Bobrowskis „Sarmatien“, worin er Heimatverlust und die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs im Raum zwischen Weichsel und Wolga thematisierte. Die Landschaften von Andra Schwarz sind die einer anderen Generation, die ihre Kindheit in einem Land verbrachte, das sich mit der Wende auflöste. Aber sie gehen auch darüber hinaus, nach Osteuropa und in Gebiete, die sich ganz aktuell in Konfliktsituationen befinden, bis zur Türkei: hier „pulsiert ein halbmond mit stern“.
Das Oszillieren zwischen Auflösung und Konkretion misst sich an den Personalpronomen: Die Vermessung des Raumes zwischen du und ich fasst sich immer wieder im wir, das ein Fluchtpunkt ist, der zumindest sprachlich bestehen bleibt. Am deutlichsten wird die unsichere Bewegung zwischen den beiden Körpern in dem Zyklus „Gespinste aus Luft“, für den Andra Schwarz dieses Jahr den Leonce- und Lena-Preis erhielt. Hier wird die unaufhaltsame Auflösung des Anderen (und damit des Wir) auf anatomisch genaue Weise nachvollzogen. Wo andernorts der Krieg historisch und landschaftlich erinnert wird, geschieht hier das Verschwinden am eigenen Leib:
Wo fing es an die wundersame stelle hinter deiner stirn
das graue ding ich kanns nicht sagen es war schon da
und machte faxen noch nicht laut genug noch nicht groß &
ausgewachsen der drache in deinem mund darin gelähmt
die zunge schon infiziert da wars noch eine kleine helle
im system ein funken erst spät dann das phantom
das dich verbunden macht im raum die dunkle energie
noch unbestimmt das vakuum in das wir stürzen
Gänzlich verschwunden ist das Du in den fünf Gedichten des Zyklus „Nächtliche trabanten“. Hier wird es unheimlich, hier sind kleine tote Tiere, Spinnen, Fliegen und Schimmel, hier ist selbst „ödnis zwischen den beinen“. Hier ist die Grenze erreicht, die zuvor nur schemenhaft auszuloten war: „Sieh diesen riss der durch mich hindurch geht“.
Was dann, im letzten Kapitel mit dem Titel „Das ist das ende“ noch gesagt werden kann, ist die ernüchternde Feststellung, dass alles Sprechen und Erinnern doch in ein Nichts übergehen muss. Programmatisch heißt es da: „der horizont ist bloß eine rhetorische figur für anwesenheit“. Und auch im Wir kann die belebende Sprache, die bis hier her gereicht hat, keine Entsprechung mehr finden:
du spurst hinein in den schnee es hält uns nichts mehr
in dieser verwaisten gegend außer die sicht auf die sterne
erscheint ein nordlicht über der atmosphäre schwebe
solange der puls schlägt zaudern wir vor der tiefe: geh
Immer wieder sind Phrasen und Wörter kursiv gesetzt, für die sich diese typografische Setzung jedoch nicht ganz erschließt; auf Zitate, wie eventuell zu vermuten wäre, wird nicht anmerkend verwiesen. Auch greift Andra Schwarz immer wieder auf ein Vokabular zurück, das alles und nichts fassen kann, und somit vereinzelt zur Floskel tendiert. Vielleicht erklärt sich dies aus der Not und Notwendigkeit der Sprachfindung in diesem raren Gebiet heraus:
nach dem anschnitt eine wunde aus der alles herauswill
ein baum und sein leben dein erstes vergehen
Andra Schwarz legt mit „Am morgen sind wir aus glas“ ein Debüt vor, das sehr feinfühlig und genau beobachtend gesellschaftlich virulente Gräben mit denen zwischen ich und du verbindet. Dabei gleitet die sprachliche Dringlichkeit gleichsam in ein sehr Sanftes. Diese Gedichte machen die Notwendigkeit poetischen Sprechens als tastende und widerständige Bewegung in ungewissem Gebiet unverkennbar sichtbar.
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