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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Wasser Gläser

Hamburg

Stets wieder erfreulich an der Hauszeitschrift des poetenladens, "poetin", ist ja die berechenbare, gleichbleibende Gliederung in Geschichten – Lyrik – Gedichte und Kommentare – Gespräche. Sie ist so berechenbar wie der Umstand, dass gerade dieser Rezensent (=ich) mit grade dieser Art von Prosa, wie grade dieser erste Teil sie jedes Mal beinhaltet, wenig anfangen kann. Da braucht (=sollte) in jenem Zusammenhange gar kein Generationen- oder selbst Geschmacksdissens ausgerufen werden – da geht es um ein instinktives Misstrauen gegenüber dem allzu Greifbaren, allzu optimiert Allgemeinverständlichen, dem vorbegrifflich organisierten Stoff; um Mißtrauen gegenüber der Übernahme – als "Psychologisieren" – von Selbstverständlichkeiten aus den besseren US-Fernsehserien in die Prosa, selbst und gerade, wo diese Prosa intelligent, gut gemacht, formal oder inhaltlich komplex ist … was hier natürlich durch die Bank zutrifft. (Würde man freilich gleich so naheliegend wie taxfrei was von "Durchprofessionalisierung" und "Schreibinstituten" schimpfen, wenn einen dieses Misstrauen übermannt, fände man sich, sehr zurecht, zu den unsystematisch schimpfenden Senior-Muppets auf die Galerie gesetzt.) (Meine subjektiven) Lichtblicke diesmal: Lea Sauer – thematisch laaangweilig, aber formal und storymäßig zwingend – und das Autor*innenteam Astrid Dehe/Peter Engstler, deren Prosa sich als einzige hier zumindest nicht komplett bruchlos zu identifikatorischem Lesen eignet.

Im Lyrikkapitel fällt eines der Gedichte von Lioba Happel besonders auf –

der präsident ist ein
verbindungsassistent.
vermählt mit sich, wird deutlich,
ist er lieber gott. ein würde, werde, war
bin immer ich. ein schläfer, ein beweg dich nicht
ein bilderbuch (…)

– genau weil es in so unauffälliger form so vieles in sich aufnimmt. Ansonsten: Wer Tom Bresemanns Langgedicht gewordener Schnitzeljagd "von jeglichem wort" folgt, von dem (der) seit einigen Monaten an verstreuten Orten sukzessive immer mehr publiziert wird – finden sind wieder ein paar Seiten. (Bresemann, Czollek … wird das jetzt Mode, sehr ok-e Gedichte, mit aber ungewohnt deutlich religiösen Unter-/Obertönen?) Ronya Othmann gebührt schließlich das Verdienst, in einer Reihe von Gedichten ganz im Ernst das literarische Motiv eines scheuen Rehsquesting beast und alles – so einsetzen, dass es funktioniert, dass es nicht zur Parodie aufreizt, sondern zur Lektüre ihres im Herbst erscheinenden Debütbands. Respekt.

Die stete Präsenz der Gedichtkommentare als Form ist so erfreulich wie die Gelegenheiten zahlreich sind, im Einzelnen anderer Meinung als die Kommentatoren Michael Braun und Michael Buselmeier zu sein; nicht zuletzt dürfen wir an dem Kapitel die Option auf das Offenhalten von Zeithorizonten schätzen, gegen den Aktualitätszwang, dem Zeitschriften wie diese ansonsten unterliegen (wir finden Cibulka, Hilde Domin, …).

Das Thema der Gespräche im vierten Abschnitt schließlich lautet ca. "Wie geht Ihr mit dem setting der Wasserglaslesung um?", featuring u. a. so weit voneinander entfernte ästhetische und betriebliche Positionen wie die von Nora Gomringer und von Bertram Reinecke. Leider verschwimmen allen angesprochenen bei dem Thema – Andreas Heidtmanns Vorwort stimmt uns darauf nolens-volens ein – die Sprachregister zwischen "Ästhetikdiskurs" und "Managementseminarweisheit". Wobei: Soll Schlimmeres passieren; Schlimmeres auch, als dass das Thema nicht von zwingender Aktualität ist. Man fragt die richtigen Auskunftspersonen, und wo die Gespräche künstlerische Praxen betreffen – Themen von Körperlichkeit vs. Text, synchron/diachron und so, sind sie überaus brauchbar, gerade in der vorgelegten Zusammenstellung.

 

***
Mitwirkende  Redaktion: Katharina Bendixen, Michael Braun, Michael Buselmeier, Andreas Heidtmann, Martina Weber. Autoren: Michael Braun, Tom Bresemann, Michael Buselmeier, Astrid Dehe, Lydia Dimitrow, Nora Gomringer, Lena Hach, Lioba Happel, Bettina Hesse, Kabeljau & Dorsch, David Krause, Birgit Kreipe, Nicolas Mahler, Tristan Marquardt, Jürgen Nendza, Andreas Noga, Ronya Othmann, Mikael Vogel, Saskia Warzecha, Stefan Wieczorek, Daniel Zahno.

Andreas Heidtmann
poetin Nr. 24 / Literatur & Wasserglas
poetenladen Verlag
2018 · 216 Seiten · 9,80 Euro
ISBN:
978-3-940691-91-0

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