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Kritik

Eine wahre Geschichte von Annette Mingels

Hamburg

Abrupt wie die eigene Genealogie beginnt Annette Mingels' Roman Was alles war, ihre Mutter will die Ich-Erzählerin – adoptiert – kennenlernen. Daß das bitte schön autobiographisch ist, geht aus dem Klappentext hervor, wobei jedenfalls ich an Lichtenberg denke: „Es war vor einiger Zeit Mode, und ist es vielleicht noch, auf die Titel der Romane zu setzen: eine wahre Geschichte.” Das ist verstaubt, das ist aber vor allem eine Art von Entschuldigung, falls das Buch sonst nicht gut genug – oder nicht genug wahr – wäre, es also nichts oder wenig sagte. Immerhin, suggeriert das dann, der Blödsinn ist aber doch passiert..!

Hat das dieses Buch das notwendig? – Es ist solide runtererzählt die Reflexion darüber, was menschliche Beziehungen im Allgemeinen und speziell, wo es um Familie geht, sein könne. Also wird fröhlich gepatchworkt, es werden Briefe geschrieben, sehr international mit den Einsprengseln, die auch dem nicht-native speaker passieren könnten, let’s be honest, und vielen Details wie der norddeutschen Krankenschwester, die kurz charakterisiert werden muß, ohne zur Konstruktion beizutragen. Horoskope gibt es auch – nichts gegen extravagante Heuristiken, aber da hat man dann schon ein Ensemble dessen, was Mittelmäßigkeit verheißt.

Daß es später mit „der Forschungsgruppe Parasitologie der Humboldt-Universität ins Watt geht”, wobei ein Student weder weiß, was gesucht wird, noch warum, sorgt für die Bildungsbürgerlichkeit, immerhin geht es um einen Text für Leute, die ein Buch gekauft haben oder geschenkt bekamen. Der Professor, immer mit Titel, „braucht kein Megaphon”, damit sind dann alle Proponenten der Bildung irgendwie karikiert, fertig.

Und Nachwuchs gibt’s, muß ja sein. Dazu wird ein kleines Jäckchen gestrickt, echt niedlich, wobei der werdende Vater den Wink blitzschnell entschlüsselt – er paßt halt zur Auserwählten, der „Geschmack paart die Dinge und Menschen, die zueinander passen, die aufeinander abgestimmt sind, und macht sie einander verwandt”, wußte Pierre Bourdieu:

„Ratter, ratter, ratter.
Ratter, ratter, ratter?
Das ist der Groschen – bevor er fällt.”

Irgendwie ist das dann auch die Antwort auf alle Fragen, die sich (oft eigentlich eher nicht) stellen, natürlich mit metaphysischem Bombast und ein wenig Verzögerung, fast 300 Seiten, aber zum Schluß hat sich’s irgendwie alles gefunden. Eine wahre Geschichte. Eh schön.

Annette Mingels
Was alles war
Knaus
2017 · 19,99 Euro
ISBN:
978-3-8135-0755-3

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