Vor dem Verschwinden
2018 war ein gutes Jahr für David Fuchs. Er war als Lyriker erfolgreich, da sein „handbuch der pflanzenkrankheiten“ den Feldkircher Lyrikpreis gewann, ein Zyklus, mit dem er „der Sprachfindung auf überzeugende und höchst eigenständige Weise auf der Spur“ sei. Er wurde für seinen Prosatext „Das Salz ist zu schade“, in dem ihm „eine sehr feine und niemals bloßstellende Beschreibung von Menschen“ gelinge, mit dem Alois Vogel Literaturpreis ausgezeichnet. Vor allem aber hat Fuchs mit „Bevor wir verschwinden“ sein Debüt als Romanautor vorgelegt. Ein Auszug aus diesem Werk hatte ihm bereits 2016 den Sieg beim FM4-Kurzgeschichtenwettbewerb eingebracht, nämlich die Geschichte „Fingerfallen“, die von der Jury als „beeindruckend und auch sehr berührend“ bezeichnet wurde, „ein Kondensat von ein paar wirklich sehr starken kleinen Anekdoten und Bildern, die zu einer ganz großen Lebens- und Liebesgeschichte werden.“
Worum geht es in den 64 kurzweiligen Romankapiteln? Die Handlung spielt an wenigen Tagen im August 2002. Benjamin Maier ist 24, steht am Ende seines Medizinstudiums und hat ein vierwöchiges Praktikum zu absolvieren.
Onkologie interessiert mich nicht. Es war mir immer egal, wie sich die Chemotherapien von achtzig verschiedenen Lymphomarten unterscheiden.
Und doch landet er ausgerechnet auf einer Krebsstation, weil Ed hier als Krankenschwester arbeitet und ihm den Praktikumsplatz vermittelt hat. Er kennt sie von Diensten in einem Tierversuchslabor, wo beide sich ein wenig Geld dazuverdienen. Auf der Onkologie wird er nun täglich mit schwerkranken PatientInnen, ihrem Sterben und dem Tod konfrontiert werden. Gleich am ersten Tag begegnet er Ambros Wegener wieder, mit dem ihn einige Jahre Schulzeit und eine Liebesbeziehung verband und den er lang nicht gesehen hat.
Dünn sieht er aus. Er war schon damals in der Schule nicht dick, aber jetzt ist er richtig abgemagert. Aber er hat Haare. Sie sind kurz und schütter, aber es sind Haare. Ich habe nicht geglaubt, dass auf einer Onkologie jemand noch Haare haben kann.
Ambros ist krank, sein Körper ist nach einer Melanomerkrankung voller Metastasen und es ist klar, dass er nicht mehr lang leben wird. Auch andere PatientInnen werden im Lauf der Handlung sterben: Frau Follert an ihrem Wangentumor, Herr Otto an seinem Lungenkrebs und auch „der tote Kobicek“, der noch lebt, aber nicht mehr ansprechbar im Bett neben Ambros liegt. Ambros blickt auf seine eigene Endlichkeit nüchtern, scheinbar abgeklärt.
Der Neurologe hat gesagt, der Schwindel wird immer schlechter werden, ... Das ist der Punkt, sagt er, an dem es bergab geht. Ab dem alles, was noch kommen kann, schlecht ist. Im besten Fall bleibt alles noch eine Zeitlang so, wie es jetzt ist. Und jetzt ist es auch schon schlecht.
„Was soll ich jetzt sagen“, denkt Benjamin. Der Roman ist aus seiner Sicht erzählt und durch seinen Blickwinkel begrenzt. Fuchs bleibt ganz bei ihm, lässt uns seine Arbeit auf der Station erleben und am Erinnern an die Schulzeit und seine Liebesbeziehung teilhaben, die einst von Ambros ausging und irgendwann von Ben beendet wurde.
Von Ambros erfahren wir wenig. Es sind knappe Sätze in den Gesprächen, die uns sein Denken und Fühlen ahnen lassen. Er ist bemüht, seinen ehemaligen Geliebten zu schonen, ihn nicht mit Symptomen oder seinem Sterben zu belasten. Geduldig wartet er, dass ihm Ben die Fernsehkarte endlich aufladet, und gibt ihm unter einem Vorwand den Schlüssel zu seiner Wohnung, auch jenen zu seinem Auto, weil er selbst keine Verwendung mehr dafür hat.
Ambros ist leidenschaftlicher Fotograf. Hat er früher mit seiner Polaroidkamera „Kunstfotos“ gemacht und sich geweigert, Landschaften, Aussichten und Menschen aufzunehmen, so wird ihm nun der „Moment ... vor dem Verschwinden“ zur Obsession, den er mit seinem Apparat festhält. Neben Alltagsgegenständen, die er danach aus seiner Wohnung entfernt, sind es Gesichter von Sterbenden, die er auf Fotos bannt, weil es, sagt Ambros,
weniger weh tut, wenn es ein Foto gibt. Das Verschwinden tut dann weniger weh.
Es kommt schließlich zu einer Art Showdown, als die beiden aus dem Spital ausbüchsen und in die Wohnung des Schwerkranken kommen. Ben macht von Ambros gegen dessen ausdrücklichen Willen ein letztes Foto für das Projekt, ehe er ihn wieder ins Krankenhaus zurückbringt. Wenig später stirbt Ambros.
Auf dem Klappentext steht „David Fuchs ist Autor, aber auch Arzt“, zudem wird darauf verwiesen, dass er „als Onkologe und Palliativmediziner“ arbeitet. Allerdings steht nicht dabei, welche Legitimation sich daraus für einen Autor ergibt und was Lesende davon ableiten sollen? Etwa: Hey Leute, da spricht ein Arzt! Eigentlich erstaunlich, diese Art Werbetext. Mir Ignorantin ist sein Beruf völlig gleichgültig, wenn ich sein Buch lese, denn schließlich will ich mich nicht von ihm behandeln lassen. Wichtig ist allein die Tatsache, dass Fuchs Schriftsteller ist und ein vielversprechendes Debüt vorgelegt hat. Seine Sprache ist einfach, knapp und präzise, sein Vorgehen ökonomisch, wenn er konzentriert erzählt und leicht lesbare Anekdoten ineinander verwebt, aus denen der Alltag auf einer onkologischen Station auflebt. Insbesondere die kleinen, wie nebenbei gemachten Beobachtungen und Überlegungen nehmen ein. Etwa, wenn der Oberarzt ihm empfiehlt, einmal mit einer Psychologin zu sprechen, und er für sich feststellt:
Ich spreche nicht mit einer Psychologin. Sicher nicht. ... Wenn ich jetzt zur Psychologin laufe, bin ich kein gutes Material als Arzt.
Oder wenn er sich bemüht, mit den Schwestern gut auszukommen und dabei mit vereinbarten Arbeitsteilungen in Konflikt kommt. Fuchs glänzt beim Erzählen mit Lakonie und trockenem Humor, der dem gewichtigen Thema die Schwere nimmt. So ist etwa die Szene, in der Ben seine erste Pleurapunktion machen soll und seine Unsicherheit und Angst greifbar wird, realistisch aus dem (Spitals)Leben nacherzählt und lässt schmunzeln.
Weniger überzeugt die dramaturgische Verengung beim Personal und der märchenhafte Duktus. So scheint es auf dieser Onkologie nur zwei Angestellte zu geben, die offenbar rund um die Uhr auf der Station anwesend sind: Da ist der gute Vater in Person des Oberarztes Wendelin Pomp, der den medizinischen „Lehrling“ Ben (hebräisch: der Sohn) gleichsam an der Hand nimmt und über ihn wacht. Da ist die gute Mutter Ed, die fürsorglich und fachlich versiert für ihre PatientInnen da ist, alles im Griff hat und neben ihrer anstrengenden Arbeit auch noch in der Tierversuchsanstalt jobben kann. Man möchte solchem Personal lieber nicht in die Hände fallen, dem jede Freizeit und Erholung fremd ist. Hier fehlen andere ÄrztInnen und vor allem ausreichend Pflegepersonal, ohne das keine Station aufrechterhalten werden kann. Und schließlich geht dem Roman im letzten Teil ein wenig die Luft aus, wenn Fuchs ihn in einer verkitschten Abschiedsszene enden lässt. Dennoch: Er legt mit „Bevor wir verschwinden“ ein lebensnahes, literarisches Debüt vor, das aufmerken lässt.
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