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Kritik

Kekse und Kuscheln

Frauke Finsterwalders und Christian Krachts gemeinsames Film- und Drehbuchdebüt „Finsterworld“
Hamburg

Finsterworld. Durch dieses zur Groteske erstarrte Deutschland schicken Frauke Finsterwalder und Christian Kracht ihre Figuren. Den Fußpfleger Claude Petersdorf, der als Liebesbeweis die abgeraspelte Hornhaut einer Kundin als Kekszutat verbäckt. Den Polizisten Tom, der seine Leidenschaft für Tierkostüme nicht mit seiner Freundin, der erfolglosen Dokumentarfilmerin Franziska, teilen kann und sich mit Gleichgesinnten auf so genannten Furry-Conventions trifft. Das neureiche Pärchen Georg und Inga Sandberg, die Liebe mit Geld verwechseln und deren arroganter Schnösel-Sohn Maximilian soeben mit seiner Klasse eine Stufenfahrt zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald unternimmt. Dort erlaubt er sich einen miesen Scherz und sperrt seine Mitschülerin Natalie in einen Verbrennungsofen. Anschließend schiebt er die Schuld daran seinem oberkorrekten Lehrer Nickel in die Schuhe. Eine bittere Metapher für eine Pädagogik, die vorgibt, den Nazi-Terror sinnvoll aufzuklären und dabei eine Widerholung heraufbeschwört.

Finsterworld, ein dunkles Deutschland. Die Szenen des Films spielen in Plattenbauten, Seniorenheimen, Gedenkstätten oder Autobahnraststätten. Das ist ein Deutschland emotional weit unter Null. In diesem Land scheint alles falsch, alles verzerrt, keiner dieser Figuren ist zu normalen Gefühlen oder Bindungen fähig. Und doch sehnen sich alle danach. Für den Zuschauer im Kino ist dieser Film ein zumeist beklemmendes und gnadenloses Erlebnis. Aber auch ein lustiges. Wenn man denn über bitteren Humor lachen mag. Das Drehbuch zum Film schrieb die Regisseurin gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem nicht ganz unumstrittenen Schriftsteller Christian Kracht („Faserland“, „Imperium“). Im Anhang des Buches finden sich drei Essays von Dominik Graf, Michaela Krützen und Oliver Jahraus, der den Film ein modernes bürgerliches Trauerspiel nennt, sei es doch ein „Reflexionsmedium für die bürgerliche Gesellschaft, für ihr Selbstverständnis, für ihre Abgründe“.

Die Abgründe einer faden Wohlstandsgesellschaft, die Egomanie und Überheblichkeit ihrer Protagonisten. Die herrlichen Dialoge, die im Film schon einmal an einem vorbeirauschen, kann man nun im Drehbuch in Ruhe nachlesen. Wie zum Beispiel das Gespräch zwischen Georg und Inga Sandberg, die in einem gemieteten Cadillac auf dem Weg nach Paris durch abgelegene Industrielandschaften rauschen. „Man sitzt in der Blase und hört nichts außer diesem angenehmen Schnurren“, sagt Georg und Inga antwortet: „Wunderschön. Beruhigend. Alles Störende bleibt draußen. Gott, ist das hier häßlich.“ Wann ist es in diesem Deutschland eigentlich mal schön? Kitschigerweise wenn die Figur des Einsiedlers Tagebuch schreibend am grünen Weiher liegt oder wenn Schüler Dominik durch ein leuchtend gelbes Rapsfeld wandert und mit einem Käfer spricht: „Wo gehst du denn hin? Ich? Ich bin auf der Flucht.“

Was ist dieses Deutsch-Sein? Der Film versucht dem nachzuspüren und changiert dabei zwischen verschiedenen Genres, als könne er sich nicht entscheiden, ob er Märchen, psychologische Studie, Satire oder Komödie sein will. Auch wird nie so recht deutlich, welches Deutschlandbild die Autoren eigentlich suchen. Belächeln sie den weinerlichen und offensichtlich von Komplexen belasteten Deutschen? Oder wünschen sie sich mehr ernsthafte Identifikation der Menschen mit ihrem Land? Die politische Stoßrichtung des Films bleibt unklar und hinterlässt zuweilen einen merkwürdigen Beigeschmack. Am Besten ist der Film, wenn er sich eher um die Befindlichkeiten und Merkwürdigkeiten seiner Charaktere kümmert. Wenn man Claude in seiner olivgrünen Einbauküche dabei zuschauen darf, wie er seine leckeren Hornhaut-Kekse bäckt, oder wenn Tom glücklich und schwitzend in seinem Bärenfellkostüm auf dem Sofa sitzt. Kurz, wenn der Film keine Antworten sucht, sondern etwas zeigen will. Dabei wird ganz von selbst deutlich, wie schnell Menschlichkeit in Barbarei, wie schnell Liebe in Zurückweisung umschlagen kann. Und wie jeder einzelne damit umgeht.

 

Frauke Finsterwalder · Christian Kracht
Finsterworld
S.Fischer
2013 · 12,90 Euro
ISBN:
978-3-596-18690-7

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