Standardwerk New Journalism
Hoffman und Campe setzt in seiner Reihe Tempo die Veröffentlichungen von Gay Talese fort. Nach Der Voyeur aus dem letzten Jahr kommt mit High Notes eine Sammlung neuer und alter Reportagen der 1932 geborenen Journalistenlegende heraus. Darin auch das unsterbliche Frank Sinatra ist erkältet, sowie Taleses Nachschrift zur Entstehung dieses außergewöhnlichen Textes. Doch lohnend nicht nur dies, sondern alles andere nicht weniger. Mit Ausnahme vielleicht der überlangen und durch Insidernamen und -verhältnisse etwas aufgeblähten beiden Hommagen an die New York Times und ihre langjährigen Chefredakteure. Aber selbst die kurzen Portraits Taleses aus seiner Kindheit, oder an eines seiner Stammlokale mit schriller Zebratapete oder über die Obdachlose mit den zwei Häusern lesen sich respektvoll und auf das Wesentliche, Menschliche reduziert. Wie eine Kamera mit Schreibfunktion setzt Talese in immer ähnlichen, niemals ausschlagenden Sätzen nur mithilfe ausgefeilter Kompositions- und Montagetechnik, wie bei gelungenen Fernsehdokumentationen, die Bilder hintereinander. Seine eigene Rolle dabei nicht aussparend, der stille Anwesende, der, wie im Fall der russischen Operndiva, auch durchaus das Zeug hat, auf die Nerven zu gehen mit "seiner bloßen Anwesenheit".
Lange Passagen aus seinen Erfolgsbüchern des investigativen Journalismus Ehre deinen Vater und Du sollst begehren sind Glanzstücke der Informationsbeschaffung und ihrer Aufrollens. Präzise und psychologisch, ohne zu kommentieren. Einfach die Tatsachen als Szenen zu beschreiben, schafft fesselnde Einblicke in nicht-alltägliche Vorgänge oder Vorgänge, die den meisten von uns fremd sein dürften. Beeindruckend die Schilderung des fast blinden Besitzers der Pferderanch, auf der Charles Manson und seine Family ender der 60er "einziehen". Aus seiner eingeschränkten Perspektive schildert Talese die Abläufe und Bewegungen des Clans. Ohne jedes Wissen der späteren Fakten, geschieht nicht vieles und doch im Rückblick Rätselhaftes an dem Ort, und dann plötzlich die Flucht der pferdeverliebten Helfer von der Farm mit Eindringen der Polizei und der unfassbaren Aufdeckung des mysteriösen Doppellebens der vermeintlich "schrulligen" Aussteiger.
Zwar ist auch diese Ausgabe nur ein Abriss von Taleses umfangreichen Schaffen, – die vor Jahren erschienene Sammlung bei Zweitausendeins bietet nicht weniger interessantes Material über Boomers, Muhammad Ali auf Kuba o.ä. –, doch wartet High Notes besonders mit den neueren Reportagen auf, wie zum Beispiel das Portrait Tony Bennetts und Lady Gagas im Studio auf ein Duett-Einsingen bestellt, das wie ein kleines Update der bedeutenden Sinatra-Story aufwartet, Bennett knapp zehn Jahre älter nur. Ein Treffen der entfernten Generationen.
Der Band ist im Wesentlichen ein Panorama der letzen 60 Jahre. Privates und Dunkles, wie Öffentliches und Offensichtliches versammelt und kompiliert High Notes so elegant wie Taleses eigener Stil. Bei den hierzulande relativ wenigen Veröffentlichungen des literarischen Journalisten sollte das Buch schnell Hochstatus erlangen.
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